Materialien 1993

Wir alle kennen und schätzen Radio Lora ...

den unerschrockenen Wellenritter auf der 92,4. Der Kampf um diesen Sender währte Jahre, fast keine Nummer von Schwabing Extra seit Lesergedenken, in der nicht auch der Heldenmut jener braven Kämpfer für ein Alternativradio in München gerühmt wurde. Harte Sträuße wurden ge-
fochten mit würdigen und furchtbaren Gegnern: CSU-Politikern, Medienfritzen, abgefeimten Ge-
schäftsführern von entsetzlichen Dudelsendern; ja selbst die Jazzwelle Plus (mit der sich Lora heute friedlich die 92.4 teilt) versuchte eine Weile mit schrill-schrägen Kadenzen, die Landung von Lora (spanisch: Papagei) auf der Welle zu hintertreiben. Arg gerupft krächzt Lora nun aber doch seit dem 1. März auf jener Frequenz, jeweils von 18.00 bis 21.00 Uhr.

Der Stotterrekord konnte seitdem immer wieder verbessert werden, die Versprecher erheiterten Hörer und Macher ein ums andere Mal. Und doch: Lora eroberte sich die Herzen der Szene. Immer wieder hört man Sendungen, die – wie versprochen – „aus dem Rahmen fallen“. Kommentare, Be-
richte, Diskussionen und Musik, wie man sie so in München nirgendwoanders um die Ohren kriegt. Liegt es an dem massierten Aufgebot von Deutschlehrern, die da angetreten ist, die alten Jugendträume vom Basisradio eigenlippig zu verwirklichen? („Radio Lehrer“ hieß es da nicht ganz von ungefähr bisweilen). Oder liegt’s an den frischen neuen Kräften, die Lora, nachdem es einmal in und on the air war, anzog wie das Licht die Motten? (Und die sich dann, wen wundert’s? flugs zur neuen und echten Basis ernannten.) Oder liegt’s gar an der Mischung von frischen Motten und altem Licht, die da entstand und so etwas wie einen alternativen Generationenvertrag anzudeuten schien?

Wie auch immer, Lora bot vielen etwas, und vor allem gab es, wie sich das gehört, jede Menge Ärger. „Fundis“ und „Linkssektierer“ wurden entlarvt und dingfest gemacht, Abmahnungen, Mi-
krofon- und Hausverbote exekutiert. Die Abgewatschten wehrten sich mit „Streiksendungen“ und wütenden öffentlichen Protesten. Die „autoritären“ und „patriarchalischen“ alten Herren wurden als „Gauweilerfreunde“, „Kapitalisten“ und „Tyrannen“ geoutet. Die außerordentlichen Mitglieder-
versammlungen gerieten zu unappetitlichen Geschäftsordnungshickhacks mit jeder Menge gegen-
seitiger Denunziation und Diffamierung. Es ist, als hätten die Aktiven vor lauter Sendungmachen verlernt, überhaupt noch auf Empfang zu schalten.

Daß inzwischen der ganze Sender durch eigene Blödheit an den alten Wellenkonkurrenten Hit-FM 25.000 Mark zahlen muss – weil trotz einer Verpflichtungserklärung einen Monat lang kein ver-
nünftiges Impressum gesendet wurde – scheint die Kampfhähne kaum zu interessieren. Warum sich um Geld kümmern, wenn doch Toben viel schöner ist? Um Loras willen – ehe der Kindergar-
ten in den Brunnen gefallen ist: Hört endlich auf mit der Streithanselei – weniger Schaum vor dem Mund und mehr Sahne auf die Welle!

tp


Schwabing extra. Zeitung der Schwabinger Friedensinitiative 7/1994, 1.

Überraschung

Jahr: 1993
Bereich: Medien

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