Materialien 1993
Ehemalige Gefangene aus der RAF
zu Manfred Schlickenrieder
zu dem videofilm „was aber wären wir für menschen“ und
der agententätigkeit von manfred schlickenrieder („gruppe 2“)
Dezember 2000 hat die gruppe „revolutionärer aufbau“ in der schweiz bekannt gemacht und durch die veröffentlichung zahlreicher dokumente im internet belegt, dass manfred schlickenrieder mindestens seit 1982 agent des bayrischen landesamtes für verfassungsschutz und später des bundesnachrichtendienstes war.
Wir kannten schlickenrieder. 1992 hat er kontakt zu uns – einigen ehemaligen gefangenen aus der RAF – aufgenommen. Wir wollen hier nicht wiederholen, was die gruppe „revolutionärer aufbau“ in der schweiz und „kein friede“ aus frankfurt bereits recherchiert und veröffentlicht haben. Aber für den kontext, in dem wir mit schlickenrieder zu tun hatten, ist manches noch mal wichtig zu sagen: Er spähte die linke szene in der BRD, schweiz und italien aus, peripher checkte er auch, in frankreich, belgien und spanien reinzukommen. Ein schwerpunkt der ausforschungen waren ehemalige gefangene aus bewaffnet kämpfenden gruppen in westeuropa und militante mit marxistisch-leninistischer ausrichtung.
Die „gruppe 2“, ausgegeben als dokumentations- und videostelle für die linke bewegung, existierte nicht. Es war ein geheimdienstgebilde: manfred schlickenrieder und ein zugängliches büro. Die fassade für seine geheimdiensttätigkeit. Sein job war nicht in erster linie, als einzelner linke gruppen zu infiltrieren, sondern über ein eigenes projekt, in dem dann auch filme über die widerstandsbewegungen produziert wurden, langfristig anerkennung zu bekommen. Das war die basis seiner agententätigkeit.
Das erste „flugblatt“, die allererste veröffentlichung dieser „gruppe 2“, war 1982 zu den festnahmen von brigitte mohnhaupt, heidi schulz und christian klar – militante aus der RAF. Dieser auftakt zeigt eine richtung, in die die ausforschung gehen sollte. 1983 nahm schlickenrieder kontakt zu den gefangenen innerhalb der „grußaktion“ auf. Das war eine breit angelegte verschickungsaktion von informations- und dikussionsmaterial in die knäste zur durchbrechung der politischen zensur und isolation. In der zeit darauf verschickte schlickenrieder weiter broschüren, die er herausgab, zum beispiel zum revolutionären kampf in italien, in die knäste. 1986 war schlickenrieder am antiimperialistischen kongress in frankfurt/main beteiligt. Wie weit er in die strukturen damals eingebunden war, wissen wir nicht.
Sein cover war von da an „gruppe 2“, dokumentations- und filmstelle, „solidarität mit politischen gefangenen der militanten linken“, ohne persönlich kontakt mit ihnen aufgenommen zu haben.
Nachdem er schon 10 jahre lang die „gruppe 2“ eingeführt hatte, machte er 1992 den kontakt zu uns. Der zeitpunkt, als schlickenrieder auf uns angesetzt wurde, war gezielt und schlau ausgewählt. Vieles war im umbruch, die politische situation, die frage des bewaffneten kampfes wurde neu diskutiert. Der staatsschutz blickte nicht mehr durch, wo wer steht. Sie wussten aber, dass einiges in bewegung, veränderung war und hatten schon den agenten steinmetz am laufen für den operativen zugriff auf die RAF.
Schlickenrieder sollte ihnen einblick geben in unsere diskussionen und mit dem filmprojekt eine breite ausspionierung möglich machen. Eine geheimdienstliche einkreisung auf mehreren ebenen. Wir selber waren unter zeitdruck, zu handeln, um boden zu gewinnen für die freilassung der gefangenen.
Damals gab es, im unterschied zu heute, noch ein großes interesse an der situation der politischen gefangenen aus der militanten linken. Die frage ihrer freilassung wurde bis rein in die bürgerlichen medien diskutiert. Die interne diskussion der gefangenen aus der RAF ging schon länger um die veränderte politische, ökonomische und soziale situation in der welt. Die konsequenz aus dieser diskussion war, dass für eine umfassende reflektion der situation eine einstellung der bewaffneten angriffe unabdingbar war. In diesem prozess wollten wir auch die freilassung der gefangenen erreichen. Der staatsschutz wusste aus geheimdienstlichen quellen zumindest vage von der richtung dieser diskussion. Bevor sie öffentlich bekannt gemacht werden konnte, plazierte der damalige justizminister kinkel anfang 1992 geschickt eine medienkampagne zur freilassung einiger gefangener aus der RAF in die schlagzeilen der großen tageszeitungen. Damit griff die regierung dem schritt vor, dass von unserer seite die frage der freilassung aller gefangenen aus der militanten linken im rahmen der politischen veränderungen aufgeworfen werden konnte. Sie manipulierten nach kräften, stellten die freilassung von gefangenen in aussicht, die eh kurz vor ihrer entlassung standen, spalteten in „hardliner und „einsichtige“. Wir versuchten, mit dieser neuen lage umzugehen, die freilassung der gefangenen in einem politischen prozess zu erreichen, was eben auch bedeutete, deutlich zu machen, warum sind sie im knast, welchen kampf haben wir geführt, seinen inhalt und seine legitimation zu zeigen.
Aus dieser situation griffen wir den vorschlag von schlickenrieder für ein video, um anschauliches material zu haben, auf. Zuerst war seine idee ein video zur kampagne für die freilassung von bernd rössner zu machen, was aber schnell zu einem film über die geschichte der RAF und die haftbedingungen der gefangenen bis 1977 wurde.
Wir haben ihn als filmer und dokumentarist gesehen, mit einer marxistisch-leninistischen vergangenheit und schulung, solidarisch mit den gefangenen. Er hielt distanz, stellte keine verdächtigen fragen, war darauf aus, keine grösseren widersprüche oder diskussionen entstehen zu lassen. Er hat an dem film alles gemacht: das material zusammengestellt, den kommentar geschrieben. Von uns hat er keine interviews gemacht, keine fragen gestellt, sondern „statements“ von jedem einzelnen ohne bewegung, aus angeblich „technischen gründen“ gefilmt; aus technischen gründen sollte auch das abfilmen einer diskussion nicht möglich sein. Es sollte alles möglichst konfliktfrei sein.
Wir fanden das video nicht gut, eine aneinanderreihung von informationen. Ein anziehender film, der auch widersprüchlichkeiten zeigt, und so auch neue ansichten auf entwicklungen aufmacht, ist es nicht. Das war einer der gründe, warum wir später den zweiten teil (die zeit nach 1977) – der eigentlich geplant war – nicht mit schlickenrieder machten. Aber es war der einzige und umfassende film zur geschichte des bewaffneten kampfes der RAF und den gefangenen. Er wurde in der folgezeit auf unzähligen veranstaltungen zur freilassung der gefangenen gezeigt und diskutiert. Der film wurde dafür von schlickenrieder verliehen oder auch verkauft. Das geld ging je zur hälfte an „libertad“ und nach italien, für die gefangenen dort. Auf unsere fragen nach den kosten des videos, lieferte uns schlickenrieder die erklärung, dass durch den verleih ihrer filme und schneidegeräte u.ä. die „gruppe 2“ genügend geld hätte, um das filmmaterial zu bezahlen. Wir waren erleichtert und hakten nicht nach.
Im februar 1994 wurde der mietvertrag für einen veranstaltungsraum in bremen, in dem der film gezeigt werden sollte, auf intervention des staatsschutzes kurzfristig gekündigt. Schlickenrieder berichtete von einschüchterungsversuchen der münchner polizei im zusammenhang mit dem film. Ob es die von ihm geschilderten vorgänge tatsächlich gab, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Jedenfalls stärkte dies weiter seine position in der linken szene.
Schlickenrieder konnte dadurch, dass er dieses video machte und so für die linke szene eine „nützliche sache“ zur verfügung stellte, bei der unter anderem ehemalige gefangene aus der RAF mitwirkten, vertrauen gewinnen, neue türen öffnen und sich schwerer angreifbar machen. Auf den veranstaltungen, auf denen das video gezeigt wurde, konnte er grenzenlos filmen, leute erfassen, die sich für den revolutionären kampf, für die situation der gefangenen interessierten.
1997 sprach schlickenrieder einige von uns noch mal an. Er wollte mit einem weiteren video der laufenden medienkampagne „20 jahre stammheim“ und der staatlichen selbstmordversion „etwas entgegensetzen“ und dafür bereits gedrehtes videomaterial, (was in den zweiten teil des videos, der nie zustande kam, rein sollte), verwenden. Wir lehnten ab, weil wir die alten aufnahmen nicht mehr gut fanden.
Heute, nachdem uns bekannt wurde, wer schlickenrieder ist, und wir das video noch mal anschauten und überprüften, wird es noch mal klarer: Der film transportiert keine staatsschutzinhalte, keine manipulationen. Das wäre ja auch mit uns nicht möglich gewesen; sonst wäre das projekt damals schon geplatzt. Aber jeder satz des kommentars, den schlickenrieder spricht, wurde oder könnte schon mal in irgendeiner erklärung gesagt worden sein. Seine kommentare sind gezeichnet von absoluter politischer „correctness“, mit kalter stimme runtergeleiert. Es fehlt jegliche subjektive aussage oder betonung. Sicher, schlickenrieder und seine helfer im geheimdienst sind die öffentlichen erklärungen zu den jeweiligen geschichtsabschnitten, um die es im film geht, durchgegangen und haben die damals richtigen aussagen rausgezogen; entsprechend aneinandergereiht und tot klingt alles.
Es ging ihnen mit dem film nicht darum „sympathisantenpositionen“ abzudrücken, was als methode tausendfach bekannt ist, sondern durch seine produktion und vorführung rauszukriegen, „wer wo steht“.
Durch die haltung „es ist nichts falsches drin, es ist alles politisch korrekt“ konnte das projekt laufen. Das hat das verhältnis zwischen schlickenrieder und uns bestimmt, gefördert durch die allgemeine verunsicherung, wie es überhaupt weiter gehen soll, in der ja auch viel geschichtsverfälschung betrieben wurde, die wir nicht zulassen wollten. Entsprechend unlebendig, eingeklemmt sind wir in dem film. Von uns würde heute keine/r mehr so reden wie da.
Gisela Dutzi, April 2001
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Ich möchte diesem text von gisel, den ich inhaltlich richtig finde, noch hinzufügen, was mir mit dem blick von heute auf die damalige situation und erfahrung noch wichtig ist: Wir waren nicht opfer einer unausweichlichen situation. Unsere ursprüngliche idee für den film war, dass schlickenrieder diskussionen und gespräche zwischen uns filmen sollte. Wir wollten einen film, der nicht nur objektive inhalte transportiert, sondern uns auch als lebendige personen zeigt. Als er das aus technischen und formalen gründen ablehnte, gaben wir uns damit zufrieden. In der ersten fassung des films war die repression so dargestellt, dass sie geeignet war, jede und jeden „zu erschlagen“. Der film endete z.b. damit, dass die toten von stammheim, mit dramatischer musik untermalt, ausführlich gezeigt wurden. Auch uns selbst zeigte der film zeitweise wie götzen, die in die kamera starrten. Wir lehnten diese fassung des films kategorisch ab. Daraufhin änderte schlickenrieder teile des films nach unseren vorstellungen. Trotzdem: Wir setzten die priorität darauf, dass dieser film überhaupt zustande kommt anstatt auf seine qualität. Es gab gemeinsamkeiten, aber auch unterschiede unter uns in der vorstellung davon, was der film von uns und unseren erfahrungen vermitteln sollte. Wir haben zu unterschiedlichen zeiten in der RAF gekämpft. Später waren wir sehr lange isoliert. Günter kam unmittelbar aus der isolation. Eine klarere bestimmung von unserer seite hätte eine intensivere diskussion unter uns, auch über unsere erfahrungen, widersprüche und die subjektive seite des kampfes erfordert. Wir haben sie nicht geführt. ich denke, dass ungenaue gemeinsame kriterien, unklarheiten und unsicherheiten die eintrittskarte für den staatsschutz waren.
Waltraud Liewald
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Der Schilderung von Gisel über den Ablauf unserer Kontakte/der Zusammenarbeit mit M. Sch. und der Einschätzung der damaligen Situation stimme ich zu. In den Schlussfolgerungen bin ich aber vorsichtiger. M.E. wissen wir noch zu wenig über Umfang und Art von Sch.s Agententätigkeit, wer tatsächlich hinter der „gruppe 2“ stand, wie die Geheimdienste gearbeitet haben und wer wofür zuständig war, um mit Bestimmtheit etwas darüber sagen zu können. Klar ist, dass Sch.s Behauptung, die „gruppe 2“ sei eine Dokumentations- und Archivstelle für die linke Bewegung, nicht stimmte. Ob und ggf. welches Geheimdienst-Projekt jedoch hinter diesem Namen steckte, wissen wir nicht. Man kann sich sicher manches denken, aus früheren Erfahrungen mit Spitzeln und mit der Arbeit der Staatsschutz-Behörden. Aber die Methoden und unmittelbaren „Erfolgs-Kriterien“ der Geheimdienste ändern sich natürlich auch. Die Gefahr, mit schnellen Schlussfolgerungen den Blick dafür zu verstellen, wie welche Behörden hier tatsächlich vorgegangen sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Wir wissen nicht, wie weit der Staatsschutz zu gehen bereit war, wenn wir darauf bestanden hätten, eine gemeinsame Diskussion statt starrer Einzelaussagen zu filmen, weil wir’s gar nicht versucht, sondern Sch.s Einwände gleich akzeptiert haben. Ich denke auch, dass unser Hauptfehler war, nur darauf zu setzen, dass möglichst schnell unsere Sicht des Geschichtsablaufs breit zugänglich war (und der Erfolg des Films hat uns scheinbar Recht gegeben) und überhaupt nicht nachzuforschen, welches Interesse Sch. mit der Erstellung des Films verband.
Monika Berberich, April 2001
Libertad! Online, http://www.libertad.de/inhalt/spezial/gruppe2/exgef0401.shtml.