Materialien 1993

Resonanz und Repression

Ein Film zur Geschichte der RAF und was er auslöst —
ein Gespräch mit der Gruppe 2

„was aber wären wir für menschen…“ ist der Titel einer Filmdokumentation der „Gruppe 2“ zur Geschichte der RAF. Der erste Teil, der die Gründe für das Entstehen des bewaffneten Kampfes in der BRD beleuchtet und die Geschichte der RAF bis 1977 behandelt, lief August letzten Jahres an. Ein zweiter Teil, der die Geschichte bis 1994 fortführt, wird im Laufe dieses Jahres folgen.

Inzwischen „interessiert“ sich auch der Staat für den Film. Am 16. Februar wurde in Bremen – auf Intervention von Verfassungsschutz und Polizei – der Raum gekündigt, in dem der Film gezeigt werden sollte. Gleichzeitig versucht die Bundesanwaltschaft mit Zeugenvorladungen den Filmverleih unter Druck zu setzten.

Zusammen mit den WESTEND NACHRICHTEN führte die STADTRATTE folgendes Gespräch mit einem Vertreter der „Gruppe 2“.

Wer ist die Gruppe 2 und was macht sie?

Entstanden sind wir Mitte der 80er Jahre als Dokumentarfilmgruppe, die politische Dokumentarfilme produziert, mit eigenen Geräten, ohne Fremdfinanzierung und damit ohne Fremdbestimmung der Inhalte. Im Laufe der Jahre gesellte sich Verschiedenes dazu. Wir hatten eine Zeit lang ein öffentliches Textarchiv, daraus ist die Zeitschrift „Texte“ entstanden, die im April in der siebten Nummer erscheint. Wir machen nach wie vor ohne Fremdfinanzierung Filme, wir verleihen Filme, und zwar in erster Linie „internationale Widerstandsfilme“, wir machen – in Zusammenarbeit mit einem länger bestehendem Geräteverleih – Licht-, Ton- und Kameraverleih. Das ist ein nicht unerheblicher Teil, mit dem wir die Arbeit finanzieren.

Wie entstand „was aber wären wir für menschen …?“

Ich hatte mit ein paar Leuten hier in München ein Videoseminar gemacht. Dort entstand die Idee, einen Fünfbiszehn-Minutenfilm zum Bernd Rössner (RAF-Gefangener, wurde 1975 bei der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm verhaftet, ihm wird 1992 nach siebzehn Jahren Haft lediglich Strafausstand wegen schwerer Krankheit gewährt.) zu machen. Das ist aber nicht über ein unverbindliches Planungsstadium hinausgekommen. Das war auch die Zeit, wo alle Leute angefragt haben, was gibt es eigentlich für Filme zur RAF- und zur Widerstandsgeschichte und zu den Gefangenen. Dann bist du jedes mal vor der gleichen Situation gestanden, dass es verdammt wenig gibt und dann haben wir gesagt, wir müssen überlegen, ob wir nicht statt dieses nicht mehr existierendem Rössnerfilms einen langen Film zu den Gefangenen machen wollen.

Und das war wann?

Das war 1992. Da haben wir sehr schnell gemerkt, dass das nicht in einem Film zu machen ist, sondern höchstens in zwei Filmen. Wir haben mit ehemaligen Gefangenen und mit Leuten, die in dieser Geschichte auch ihre Rolle hatten, geredet und gemeinsam die Konzepte für die zwei Filme mit jeweils einer Stunde entwickelt. Innerhalb von ein paar Monaten drehten wir den ersten Teil ab, was die selbstgedrehten Sachen betrifft. Dann mussten wir ziemlich Material suchen. Tausend Kassetten nach irgendwelchen Stellen durchsuchen, meistens so schlechte Qualität, dass du es gar nicht mehr hernehmen konntest. Irgendwann war der erste Teil in einer ersten, fünfzig Minuten langen Fassung, fertig. Den haben wir in einer nicht öffentlichen Vorführung zu Monis (Monika Berberich, Ex-Gefangene, auf Interviews mit ihr stützen sich Teile des Films) Geburtstag in Frankfurt einem kleineren Kreis vorgestellt, von dem dann nicht wenige der Meinung waren, dass man den Film so nicht zeigen könne. Darauf sind wir noch mal in eine Diskussion eingetreten, und haben im Laufe dieser Diskussion rausgekriegt, dass die Leute recht hatten, was dazu geführt hat, dass wir dieses Teil nicht verwendeten und einen ganz neuen Teil geschnitten haben – also nicht nur ausgebessert und Szenen rausgenommen, sondern auch ein Drittel des Films völlig geändert. Aus den ursprünglichen fünfzig Minuten sind dann siebzig Minuten geworden.

Was war denn die Kritik an dieser 1. Fassung?

Einer der Einwände war damals schon: Wieso kommt da nur die RAF drin vor? Vom „2. Juni“ gab’s nix, und anderes auch nicht. Ich muss dazusagen, damals kamen die wirklich überhaupt nicht vor, da war nicht mal die Lorentzentführung (Im Februar 1975 entführt die „Bewegung 2. Juni“ den Westberliner CDU-Vorsitzenden und erreicht damit die Befreiung von sechs Gefangenen) drin. Das haben wir dann so „gelöst“ , das wir das wenigstens noch nachträglich reingeklebt haben, es aber nicht mehr geschafft haben, darauf richtig einzugehen.

Zum zweiten war es so, dass eine Menge Leute erhebliche Einwände dagegen hatten, wie die Sequenz um den Tod der Gefangenen in Stammheim dargestellt wurde. Wir hatten damals von uns aus gedacht, es wäre wichtig, die wirklich grauenhaften Bilder von den toten Gefangenen zu zeigen. Das hat dazu geführt, dass diese Stellen total deprimierend waren. Wir haben das nicht so empfunden, weil wir uns permanent damit auseinandergesetzt haben, aber die Leute, die ihn das erste mal gesehen haben, da waren eben auch Leute drunter, die nicht so mitten drin in der Geschichte waren, die hat das total runtergezogen. Mit dieser Sequenz am Ende des Films, hast du so richtig eine auf den Deckel gekriegt und bist völlig deprimiert rausgegangen, was aber gar nicht unser Anliegen war, was auch politisch ganz falsch war. Wir haben jetzt Bilder drinnen, die die Gefangenen so zeigen, wie wir sie in Erinnerung haben – nicht als Leichen, die am Zellenfenster baumeln, sondern als kämpfende Genossen und Genossinnen. So ist es jetzt auch im Film. Vorher war es genau anders herum, es war eigentlich die Darstellung der HERRschenden: „So geht es euch, irgendwann hängt ihr am Zellenfenster“.

Das sind die wesentlichen Gründe, warum wir diese Fassung zurückgenommen haben. Dann gab es im Film ziemlich viele Stellen, wo Leute gesagt haben, das wäre aber besser, das ausführlicher zu machen … So sind Passagen reingekommen, die vorher nicht drin waren, zum Beispiel zu dieser wirklich brutalen Zensurgeschichte während der 70er Jahre, das Bücher, Zeitschriften und Broschüren kriminalisiert worden sind, was eine ganz wesentliche Sache ist. Es ist insgesamt daran gefeilt worden, es ist ein bisschen genauer geworden.

Richtig fertig war er im Juli letzten Jahres, dann kamen Leute aus Frankfurt, und wir haben den Film noch mal gemeinsam angeschaut und so ’ne Art gemeinsame Endabnahme gemacht. Am 22. Juli lief er das erste Mal in Freiburg, seit Anfang September ist er im Verleih.

Was kam denn seither an Resonanz?

Wir haben uns überlegt, wie wir ein Feedback kriegen. Wir machen das so: Wir legen einen kurzen Fragebogen dazu, natürlich anonym. Achtzig Prozent davon kommen ausgefüllt zurück. Da steht dann drauf, wie kam der Film an, was ist gut, was ist schlecht, und noch drei Zeilen „Lob, Vorschläge und Anregungen“. Und da ist es so: wiederum Achtzig Prozent sagen, sie finden den Film gut. Kritik, die kommt, bezieht sich nicht selten immer noch darauf, dass die RAF darin vertreten ist, und alle anderen nicht. Also: RZ (Revolutionäre Zellen) kommt nicht vor, „2. Juni“ gibt’s kaum.

Was auch öfter kommt, ist, dass gezeigt wird, was passiert, aber zuwenig die Zusammenhänge hergestellt werden. Wobei wir meinen, dass sich das nicht darstellen lässt in dem Rahmen. Ja und ganz selten schreiben Leute, sie finden, der Film ist radikal. Einer hat geschrieben, den Film könnte man im Fernsehen zeigen. Wir haben das so verstanden, dass der Film zuwenig von einer linksradikalen Position ausgeht und eher ein bisschen einen dokumentarischen Charakter, so aus einer Distanz heraus, hat. Wir finden das nicht – da ist eine eindeutige Position drin.

Zu dem Punkt von vorhin noch mal: Warum kommt RZ nicht vor und warum ist der „2. Juni“ nur so reingeklebt. Das hat einfach den Grund, dass wir es nicht geschafft hätten, in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konzepten, die hinter diesen Entscheidungen standen: also hier RAF, dort RZ, da „2. Juni“, noch die verschiedenen Entstehungsgruppen, z. B. die Tupamaros München usw. Wir hätten es nicht geschafft, die ganzen Konzepte einander gegenüberzustellen im Rahmen eines Films mit einer Stunde. Zweitens ist es uns zu spät bewusst geworden, nämlich erst nach der ersten Version. Es ist so, dass vieles nur angerissen ist, aber mit dem muss man bei so einem Film leben – du kannst nicht erwarten, dass er alle Probleme löst, die er aufwirft.

Der Film ist so gemacht, dass er auch Leute außerhalb der „Szene“ anspricht. War das von vornherein so geplant?

Es war von vornherein so gedacht. Wir wollten nicht einen Film machen für Leute, die sowieso die Geschichte kennen, oder aus politischen Zusammenhängen kommen, sondern einen Film für die Leute, die das nicht bewusst erlebt haben, oder so jung sind, dass sie die Geschichte nicht mitbekommen haben, „für jedermann und jedefrau, die sich grundsätzlich informieren will. Nicht so weit an der Oberfläche, dass es nichts politisches mehr transportiert, aber nicht so weit inhaltlich, dass die Leute nichts damit anfangen können. Wir hatten uns damals ein Zeitlimit von einer Stunde gesetzt. Auch wenn wir jetzt siebzig Minuten haben – es bleibt das Konzept, einen Film zu machen für „raus aus der Szene“.

Ist es nicht auch ein Problem, Bilder zu verwenden, die schon sehr besetzt sind?

Es ist insofern schwierig, weil wir nicht die Mittel haben, kommerzielle Archive zu nutzen, wo du für die Sekunde soundsoviel zahlen musst, wir haben versucht, Leute zu finden, die irgend welche Kassetten haben. Wir hatten das Problem, dass alles, was du findest, schon besetzt ist. Es ist alles schon einmal verwendet worden, oft auch in Filmen, mit denen wir nicht gerne in Zusammenhang gebracht werden. Wir haben das Problem versucht dadurch zu lösen, dass wir ganze Sequenzen aus vielen anderen Teilen zusammengeschnitten haben, und zwar zum Teil in Sekundenlängen. Du hättest drei Minuten irgendwo ab kupfern können, aber wir haben uns die Mühe gemacht, das aus vielen verschiedenen Filmen zusammenzuschneiden und haben nicht den Originalton genommen, sondern die Geräusche noch mal eingespielt, um diese Belegungen und Besetzungen auf andere Filme zu vermeiden.

Die Intention war, an Leute heranzukommen, die nicht in der Szene sind. Wie wurde denn der Film bekannt gemacht und verbreitet?

Wir hatten ursprünglich vor, den Film über unseren Verteiler anzukündigen, wobei uns das deswegen nicht gelungen ist, weil die neuen Postleitzahlen eingeführt wurden. Als unser Verteiler umgestellt war, haben wir festgestellt, dass wir ihn gar nicht mehr ankündigen brauchen, weil das innerhalb kurzer Zeit in der ganzen BRD rum war, dass es diesen Film gibt. Auf welchem Weg? – Frag’ mich nicht. Wir haben einmal einen Packen Flugblätter in Frankfurt bei einem Treffen auf den Tisch gelegt, von da an haben wir gar nichts dazu getan, irgendwann hat das Angehörigen-Info was dazu gebracht, dann war eine Notiz im Interim, das hat sich rasend schnell rumgesprochen. Wir dachten, wir machen jetzt erst mal zwanzig Kopien, und das reicht, aber wir mussten ab November nachkopieren und das ist bis heute so geblieben. Bekannter wurde der Film in den letzten Wochen noch mal dadurch, dass eine Reihe von Medien über die Kriminalisierungsgeschichte berichtet hat, und nicht nur so richtige Szeneteile, sondern auch Tageszeitungen und die „Junge Welt“ hat einen Artikel gemacht, seitdem kommen aus dem Osten jeden Tag Bestellungen. Es läuft so, dass wir gerade in der Lage sind, die ganzen Bestellungen, die reingehen, abzudecken. Wenn es noch mehr wären, hätten wir ernsthaft Schwierigkeiten. Wir müssten dann irgend wann kommerziell Kopien ziehen lassen, was wir auch deswegen nicht machen wollen, weil wir das Geld eigentlich zur Gänze auf ein Gefangenenkonto (Initiative für die Freiheit der politischen Gefangenen, Libertad!, siehe Stadtratte Nr. 18) überweisen und nichts für Kommerzläden auf der Strecke bleiben soll. Es sind jetzt etwa hundert Kassetten, die draußen sind, und Vorbestellungen sind da bis Anfang Juli.

Und was sind das für Leute, die den Film bestellen?

Es geht querbeet von der Antifagruppe, der Prozessgruppe in Stuttgart bis hin zu einem Gymnasium in Rostock, das ihn für den Geschichtsunterricht nutzt. Was wir immer wieder mitbekommen, ist, dass unheimlich viele junge Leute den Film sehen, und, sofern der Veranstaltungsort dazu geeignet ist, auch Leute kommen, die nicht unmittelbar zur Szene zu zählen sind. Das Problem besteht eher darin, Veranstaltungsorte zu finden, wo die Leute hingehen, als die Leute dahinzubringen, in den Film zu gehen.

Du hast erzählt, dass ihr viele Bestellungen aus der ehemaligen DDR bekommt. Gibt es da spezielle Interessen, unterscheidet sie die Resonanz von der im Westen?

Wir wissen konkret, dass starkes Interesse kommt von den Antifa-Gruppen. Dann kommen Bestellungen von Leuten, wo ich sagen würde, das ist was ganz anderes als hier. Hier bestellen Leute, die du kennst oder die in Gruppenzusammenhängen stehen oder grün-alternative Jugendverbände … Da schreiben Jurastudenten, sie würden gern den Film im Rahmen ihrer Seminararbeit benutzen, gestern kam eine Bestellung von einem Verlag an der Ostsee, die wollen den Film für ein Filmfestival und laden uns auch ein, damit wir da etwas zur Entstehungsgeschichte und zur Repression sagen. Das ist ein Verlag, wo ich nicht sagen würde, der ist ein explizit linksradikaler Verlag – eher so links-liberales Spektrum. Aus der Ecke, haben wir den Eindruck, kommt ziemlich viel, das ist anders als hier. Wie gesagt: das Gymnasium. Das hat uns total gefreut, weil da hat eine Lehrerin hier angerufen und gesagt, sie würde den Film gern in der letzten Klasse für den Geschichtsunterricht hernehmen. Die hat dann auch einen Brief geschrieben, dass der im Unterricht total gut angekommen ist und wir möchten ihr, wenn es den zweiten Teil gibt, schnell genug Bescheid sagen, weil sie hofft, dass das noch ist, bevor das Schuljahr zu Ende ist. Also so was erlebst du von hier nicht.
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was wären wir für menschen, würden wir die, die für ihre überzeugung gekämpft haben, die nicht gehört, sondern verfolgt und im wahrsten wortsinn zur erledigung an die justiz ausgeliefert wurden, einfach vergessen.
dass sich unser widerstand auch darauf bezieht, ist wohl selbstverständlich.
Helga Prauss, Angehörige eines politischen Gefangenen
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Hier traut sich an der Schule niemand mehr.

Würd’ ich auch mal annehmen. Das sind auch die Sachen, wo man sich besonders freut. Das ist ja ein Spektrum, wo du in der Regel verdammt schlecht drankommst. Es ist auch unsere Einschätzung, dass gerade die Tatsache, dass der Film jetzt nicht so im Szenebereich bleibt, letzten Endes wohl dazu geführt hat, dass der Staatsschutz irgendwann angefangen hat, sich für den Film zu „interessieren“.

Da sind wir schon bei der staatlichen Reaktion, sprich der Kriminalisierung und Repression. Was ist da noch zu erwarten?

Erst mal zum Stand der Geschichte: Das ganze fing damit an, dass hier observiert wurde, und zwar ziemlich dumm brutal: Auto hinten an die Stoßstange geklebt und dann hast du den halben Tag die Bullen hinter dir. Zu dieser Bremer Veranstaltungsverhinderung brauch’ ich ja nichts zu sagen, wisst ihr ja – am 22. wird jetzt übrigens die Veranstaltung in größerem Rahmen nachgeholt. Dort hat sich auch ein Unterstützungskomitee gegründet.

Hier ist es so, dass im Dezember zwei ominöse Ladungen vom BKA (Bundeskriminalamt) kamen, gegen mich und noch eine andere Person, wo nur draufstand, dass wir als Zeugen vernommen werden. Wir sind dann natürlich da nicht hingegangen. Anfang des Jahres kamen dann von der Bundesanwaltschaft zwei Ladungen an die gleichen Personen, da stand dann drin, Zweck ist Zeugeneinvernahme im Verfahren gegen die Birgit Hogefeld. Ich bin hingegangen zu dieser Vernehmung und habe dem vernehmenden Staatsanwalt erklärt, dass ich nichts sage. Dabei habe ich erfahren, dass bei Birgit bei der Verhaftung eine Kopie des Filmes gefunden wurde. Und damit – und das ist das infame daran – eine herrliche Möglichkeit: Sie ermitteln gegen Birgit und wir sind Zeugen (Im Gegensatz zu Angeklagten haben Zeuginnen juristisch kein Recht die Aussage zu verweigern.), die darüber Auskunft geben sollen, wer hat den Film gemacht, wie ist er verbreitet worden, an wen ist der Film gegangen …

Insgesamt denke ich, sie wollen damit einfach bremsen, was in Gang gekommen ist: Dass sich viele Leute für den Film interessieren, viel mehr als wir vorher angenommen hätten.

Glaubst du, dass sie eine Hausdurchsuchung machen werden, um an die ganzen Bestellisten zu kommen?

Das halten wir durchaus für möglich, nur es wird ihnen nicht gelingen, Listen zu finden, weil es solche Listen in der Form hier nicht mehr gibt. Am Anfang gab’s die natürlich, weil wir der Meinung waren, wir machen einen ganz legalen Film. Vernünftigerweise gehen wir inzwischen, und das hätten wir von Anfang an tun sollen, davon aus, dass sie, wenn sie wollen, immer eine Möglichkeit finden. Allein die Tatsache, dass du gezwungen wirst Schutzmechanismen (keine Listen führen) einzuführen, das behindert dich ganz enorm bei der Arbeit, das bindet Kräfte und Kapazitäten.

Was meinst du denn, was mensch dagegen tun sollte?

Wir sind nicht die einzigen, sondern nur ein Punkt unter vielen. Ich denke, Solidarität heißt auf uns bezogen: den Film zu nutzen; genau das Gegenteil von dem zu tun, was sie erreichen wollen, mit dem Film zu arbeiten, rauszugehen, möglichst dahin zu gehen, wo nicht nur die „Szene“ den Film sehen kann und die Kriminalisierung öffentlich machen. Da gibt’s auch gute Ansätze. Wir waren auch von der Resonanz überrascht, dass viele sofort was gemacht haben, wie z.B. Presseerklärungen und Artikel schreiben und veröffentlichen. Aufhalten wird sie das nicht können, aber sie werden sich härter tun, das alles unter der Hand abzuwickeln.

Was macht die Arbeit am zweiten Teil?

Das ist mit Sicherheit die schwierigste Frage. Es ist so, dass der zweite Teil fast fertig war, wir hätten uns nur mehr 14 Tage hinsetzen müssen, schneiden und aus. Das war genau der Moment, wo die – ich sag jetzt mal – die ersten einschneidenden politischen Veränderungen gekommen sind, also jetzt nach 1992 (Im April ’92 stellt die RAF die bewaffneten Aktionen gegen Repräsentanten von Staat und Wirtschaft ein und will damit einen Prozess der Neuorientierung revolutionärer Politik einleiten. In der Folge kommt es zu (teilweise heftig ausgetragenen) Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gefangenen und zwischen RAF und Gefangenen). Von da an war es so, dass wir selber nicht so recht gewusst haben, wie wir das jetzt sehen. Aus dieser fehlenden Orientierung heraus wollten wir nicht einen Film zu dem Thema so machen, wie wir ihn vorher konzipiert hatten.

Da sind wir auch ganz gespannt, wie ihr das lösen wollt.

Das wollte ich gerade noch sagen: Wir vermuten, dass viele deshalb so scharf auf den Film sind, weil sie sich davon das versprechen, was sie selber nicht im Griff haben. Ich muss aber gestehen, wir haben es auch nicht auf der Reihe. Wir machen ihn trotzdem, und versuchen die Sachen, die wir nicht klar haben, nicht draußen zu lassen – aber wir können keine Antworten geben.

Abgesehen davon hat uns jetzt auch die Resonanz auf den ersten Teil völlig überrollt. Wir haben gedacht, wir machen den Verleih nebenbei, und es sieht so aus, dass wir jetzt eigentlich seit Monaten nur mit dem Verleih beschäftigt sind. Trotzdem ist es so, dass es den zweiten Teil mit Sicherheit geben wird, wahrscheinlich noch in diesem Jahr.

Der erste Teil ging bis 1977. Der zweite geht bis…?

Der erste Teil beinhaltet im Prinzip noch die Aktion gegen Schleyer. Der zweite Teil nimmt 1977 noch mal mit im Bezug auf die Auswirkung in der Linken insgesamt und geht bis möglichst aktuell.

Jetzt sind wir aber auf den zweiten Teil gespannt!
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„… was aber wären wir für menschen“ (Teil 1) läuft am 7. Mai im Kulturladen Westend (Ligsalzstraße 20), anschließend findet eine diskussion mit einem Vertreter der Gruppe 2 statt.


Stadtratte 21 vom Mai/Juni 1994, 7 f.

Überraschung

Jahr: 1993
Bereich: Militanz

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