Materialien 1994
Der Münchner Kurdenprozess zu Ende
Der Prozess um die Besetzung des türkischen Generalkonsulats am 24. Juli 1993 ist am 6. Juli mit der Verurteilung der Angeklagten zu Ende gegangen. Das bayerische Oberste Landesgericht verur-
teilte neun der Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme zu viereinhalb Jahren Haft, drei weitere, die zur Tatzeit zwanzig Jahre alt waren, wurden nach Jugendstrafrecht und ein junger Kurde wegen Beihilfe zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Wir drucken nachfolgend einen Arti-
kel aus den Münchner Lokalberichten 14/94 zu den Plädoyers von Verteidigung und Bundesan-
waltschaft ab: (d. Red.)
Die Bundesanwaltschaft forderte Freiheitsstrafen zwischen vier und sechs Jahren. Strafmildernd wertete sie dabei die uneigennützigen Motive der Kurden, die wegen der schweren Konflikte in ihrer Heimat gehandelt hätten, außerdem seien die Geiseln freundlich behandelt und kranke Gei-
seln sofort freigelassen worden. Strafverschärfend sei die besondere Schutzwürdigkeit des Konsu-
lats. Die Nebenklage konnte dagegen keine mildernden Umstände erkennen und sprach von äußer-
ster Brutalität der „Geiselgangster“. Diese Bezeichnung musste jedoch nach Intervention eines Ver-
teidigers zurückgenommen werden. Die Verteidigung der Angeklagten betonte in verschiedenen Plädoyers, dass die Konsulatsbesetzung nicht von langer Hand geplant und außerdem nicht von der PKK gesteuert worden sei. Vielmehr hätten die Angeklagten erfahren, dass am 24. Juni in ganz Europa Aktionen gegen den Staatsterror der Türkischen Republik stattfinden sollten. Daraufhin hätten sich jeweils in Stuttgart und München eine Gruppe „kurdischer Jugendlicher“ zusammen-
gefunden, die gleichfalls Aktionen machen wollten. Erst am Vorabend der Besetzung hätten diese beiden Gruppen sich getroffen und begonnen, Einzelheiten der geplanten Aktion zu diskutieren. Als Tatmotiv wurde genannt, dass sich die Angeklagten privilegiert und schuldig gefühlt hätten, da sie hier relativ sicher lebten, während der Staatsterror in Kurdistan unvermindert weitergehe. Viele hätten sich schon an den verschiedensten Protestaktionen in der BRD beteiligt, verzweifelten je-
doch immer mehr am Desinteresse der Öffentlichkeit und an der Wirkungslosigkeit ihrer legalen politischen Aktionen. Auch ziehe das Asylgesetz und das Ausländerrecht enge Grenzen für politi-
sche Betätigung Nichtdeutscher. Strafmildernd müsse die gute Behandlung der Festgehaltenen gewertet werden, der Vorwurf der Nötigung von Verfassungsorganen könne nicht aufrechterhalten werden. Die Bundesanwaltschaft habe sich zum „Sprecher der türkischen Regierung“ gemacht. Die Verteidiger plädierten für neun Angeklagte auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewäh-
rung, wobei ein Jahr bereits mit der Untersuchungshaft abgegolten sei, für die drei Angeklagten unter einundzwanzig wurde eine maximale Jugendstrafe von zwei Jahren, gleichfalls mit Bewäh-
rung, gefordert. Für den Kurden, der nur wegen Beihilfe angeklagt war, wurde Freispruch gefor-
dert.
Angehörigen Info, hg. von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD, Köln, www.nadir.org/nadir/periodika/angehoerigen_info/ai-149.html.