Materialien 1994

Immer neue Schikanen gegen Flüchtlinge

Fast täglich erfahren wir in den Zeitungen von neuen Schikanen gegen Flüchtlinge: „Keine neue Chance für Simsek – trotz erwiesener Folterung wird sein Folgeantrag abgelehnt.“ „Weil er Deutschland nicht freiwillig verlassen will – Vor der Abschiebung in Haft“ – auch in diesem Falle werden nachgewiesene Folterungen eines kurdischen fünffachen Familienvaters nicht berücksich-
tigt.

Die Liste ließe sich beliebig fortführen: die vierteljährlichen Dokumentationen des Bayerischen Flüchtlingsrates zeigen dies. Und sie dokumentieren allein in Bayern vier Selbstmorde und eine Reihe von Selbstmordversuchen von Häftlingen in Abschiebegefängnissen.

Der bayerische Innenminister Beckstein lehnt jegliche Verantwortung für derlei Vorgänge ab, beruft sich auf Recht und Gesetz. Dabei hatten weder er noch die Behörden davor zurückge-
schreckt, Haftbefehle selbst gegen Kinder, im Alter von vier und fünf Jahren (im „Fall Simsek“) auszustellen. Nur Proteste kirchlicher Institutionen, nationaler wie internationaler Menschen-
rechts- und Flüchtlingsorganisationen konnten hier das Schlimmste verhindern. Neu ist, dass selbst kurdische Familien, die unter die im März von der Innenministerkonferenz beschlossene „Härtefallregelung“ fallen (Arbeitserlaubnis, Berufstätigkeit, genügender Wohnraum, „faktisch integriert“), unter neuem Druck stehen. Ihre Ausweise werden vom türkischen Generalkonsulat nur dann verlängert, wenn sie Namen und Adressen von mindestens zehn Gewährsleuten in der Türkei angeben, die nicht in verwandtschaftlicher Beziehung zu den hier lebenden Kurden stehen dürfen. „Die türkischen Behörden sind daran interessiert, den Bekanntenkreis der Kurden auszu-
loten, um dort auf vermutliche PKK-Unterstützer Zugriff zu nehmen“, vermutet der Anwalt einer der betroffenen Familien. Aus Angst vor den Folgen für ihre Freunde in der Türkei, sprich: Ver-
folgung und Folter, verweigerten die Befragten jede Auskunft.

Damit ist die Sicherheit vieler kurdischer Familien erneut in Frage gestellt.

Marion Lehmicke


antifa-rundschau. Hg. vom Bundesausschuss der VVN-Bund der Antifaschisten 27 vom Juli — September 1996, München, I.

Überraschung

Jahr: 1994
Bereich: Internationales

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