Materialien 1994

Die braune Aura des New Age

Übersinnliches hat Hochkonjunktur hierzulande. Kein Wunder, um mit Robert Musil zu sprechen, denn: „in Zeiten der Pleite bevorzugt die Seele das Jenseits“. In Okkult-Zirkeln sonder Zahl wird das Herandämmern eines „Neuen Zeitalters“ beschworen (New-Age), in dem die Menschheit auf eine höhere Stufe des Bewusstseins katapultiert werden soll. Atavistische Begriffe durchwabern die Szene, von Kabbala, Runen und Pyramidenenergie, aber auch Altbekanntes findet sich zuhauf wie Astrologie, Numerologie oder Tarot. Kontakt mit Verstorbenen wird ebenso gepflogen wie mit Schutzengeln, UFOs und Außerirdischen. Germanische und keltische Vorstellungen tauchen auf, daneben buddhistische, taoistische, indianische: ein schier undurchdringliches Wirrwarr ideologischer, religiöser und kultureller Versatzstücke.

Wir könnten das Ganze als Spinnerei abtun, wären nicht inzwischen nahezu sämtliche Lebensbereiche von derlei Firlefanz durchzogen (Möllemanns Wunderheiler!). Und wäre nicht die übelriechende Aura des New-Age: Ein Großteil der einschlägigen Literatur – fast zwanzig Prozent aller Bucherscheinungen im letzten Jahr waren dem sogenannten „Neuen Denken“ zuzurechnen! – ist mit ultrareaktionären, völkischen, gar nationalsozialistischen Inhalten verwoben.

Was also ist die Ideologie, die da unters Volk gebracht wird? Die New-Age-AnhängerInnen wähnen sich gerne als Avantgarde eines noch nie da gewesenen Denkens. Die vorgetragenen Ideen freilich sind keineswegs originär: sie entstammen im wesentlichen der Theosophie, einer Mixtur mystischer und okkulter Traditionen, zu finden schon bei den Neuplatonikern (2. – 6. Jahrhundert u. Z.) und in der von diesen mitgeprägten Gnosis. Theosophisches Gedankengut zieht sich quer durch Mittelalter und Neuzeit und taucht besonders in den Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden gegenaufklärerischen Traktaten der Spiritisten auf, denen es in erster Linie um mediale Kontaktaufnahme mit den Seelen Verstorbener geht. Als Gegenbewegung zu den umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen in Europa erreichte der Spiritismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts seine Blüte: Allerorts traten selbsternannte Medien auf, die Botschaften aus dem Jenseits übermittelten; Geisterseancen mit Tischchenrücken und Kristallkugelschau: ein Rückfall in den schiersten Aberglauben, wie Engels 1878 mit gebührendem Hohn schreibt.

1888 veröffentlichte die gebürtige Russin Helena P. Blavatsky ihr theosophisches Grundlagenwerk „Die Geheimlehre“, die ihr auf spiritistische Weise von unsichtbaren Himalayageistern übermittelt worden war. Diese „Geheimlehre“, ein Konglomerat aus östlichen und westlichen Esoterik-Traditionen, vermischt mit evolutionistischen und aristokratischen Abstammungstheorien, gilt als das Standardwerk des modernen europäischen Okkultismus. Nahezu sämtliche späteren Werke der Theosophie und heute des New-Age sind bestenfalls Variationen des in diesem vorgestellten Weltbildes: An einem bestimmten Ort im Himalaya (Tibet) befinde sich die irdische Kontaktstelle der „Großen Weißen Bruderschaft“, einer Loge erleuchteter Meister, der neben Krishna, Buddha und Jesus unter anderem auch der Hl. Franz von Assisi, Leonardo oder Goethe angehören. Diese Bruderschaft diene der „Galaktischen Hierarchie“, die das Leben auf der Erde im Geheimen überwache und die dieser Mitte des 19. Jahrhunderts die Aufgabe zugewiesen habe, die Menschheit in ein „Goldenes Zeitalter“ zu führen. Freilich nicht die gesamte Menschheit, sondern lediglich die in der Evolution am weitest fortgeschrittenen Rasse: die Arier. Das Aussterben der niederen „Rassen“ (Indianer, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier usw.) sei karmische Notwendigkeit.

Die 1875 von Blavatsky in New York gegründete ultrareaktionäre „Theosophische Gesellschaft“ lieferte mit derlei rassistischen Ideologemen eine willkommene Rechtfertigung für die imperialistischen Völkermorde in der Dritten und Vierten Welt. Um die Jahrhundertwende hatte die Theosophische Gesellschaft, die sich mittlerweile Adyar TG nannte, über hunderttausend Mitglieder mit Logen in fast fünfzig Staaten und weitreichendem politischen Einfluss. 1907 übernahm Annie Besant den Vorsitz der Organisation, die unter dieser weiter enormen Aufschwung erlebte. Im Auftrag des Britischen Commonwealth übernahm sie 1914 den Vorsitz des Indischen National-Kongresses, in dem sie sich aufgrund ihrer theosophischen Rassenlehre und der daraus abgeleiteten Forderung nach strikter Beibehaltung der hinduistischen Kastenordnung sehr bald mit Gandhi überwarf.

Ein weiterer Wegbereiter des heutigen New-Age ist Rudolf Steiner, der seine esoterische Karriere als Generalsekretär der Adyar TG in Deutschland begann. 1913 trennte er sich von der Organisation, da er den befohlenen Starkult um Jiddu Krishnamurti, den die Adyar TG als neuen Christus ausrief, nicht mitzutragen bereit war. Er gründete die Anthroposophische Gesellschaft, die die Theosophie mit etwas humaneren Untertönen versah. An der Ideologie der Vorrangstellung der germanisch-nordischen Rasse hielt Steiner unbeirrbar fest.

Die Nationalsozialisten selbst interessierten sich – naheliegenderweise – sehr für die theosophisch-elitäre Rassenlehre. Reaktionäre Kreise aus Industrie, Adel und Militär hatten sich schon zu Wilhelms Zeiten zu esoterischen Geheimbünden (z.B. „Germanen-Orden für Deutsche Art“, 1912) zusammengeschlossen, denen es – orientiert an den antisemitischen Tiraden eines Heinrich Class, Lanz von Liebenfels, Guido von List – um den Aufbau eines neuen, „alldeutschen“ Zeitalters ging. Großmeister der „Bayerischen Loge“ des Germanen-Ordens wurde Freiherr von Sebottendorf (richtiger Name: Alfred Glauer), kundig in den Geheimwissenschaften von Astrologie, Alchimie und Wünschelrutengehen. 1918 gründete dieser in München die „Thule-Gesellschaft“ (Thule = mystische Urheimat der Germanen, der auch spätere Nazi-Größen wie Himmler (der sich als Reinkarnation Heinrich des Löwen fühlte), Heß und Rosenberg angehörten. (Versammlungslokal der Thule war das heutige Hotel „Vier Jahreszeiten“.) Die Thule-Gesellschaft hatte ein klares Ziel: Spirituell-politische Weltherrschaft der arischen Rasse. Dem Anbruch des neuen Zeitalters, des „Dritten Reiches“, standen vor allem die „Dunkelrassen“, sprich: die Juden im Wege, die es zu beseitigen galt. Messias des Neuen Zeitalters sollte Hitler sein.

Unbestreitbar wurde der Nationalsozialismus aus solch theosophisch-esoterischen Quellen mitgespeist. Wenig bekannt ist beispielsweise, dass die Nazis 1938/39 eine von Göring und Himmler protegierte Expedition nach Tibet entsandten, um – man phantasierte von einer „okkulten Achse Berlin-Lhasa“ – die Kontaktstelle der „Großen Weißen Bruderschaft“ (Shan-gri-La) ausfindig zu machen.

Die heutigen Vertreter des „Neuen Bewusstseins“ führen die reaktionäre Ideologie der Theosophen ungebrochen fort: Selbstredend propagieren sie nicht die Ausbeutung der Völker der Dritten und Vierten Welt. Sie sagen es nicht laut, dass die Slums und Elendsviertel, die Kriegsschauplätze dieser Welt Tummelplätze für niedere Seelen sind, denen nur Recht widerfährt – und die sich letztlich den Ort ihres Daseins selbst ausgesucht haben. All das Rassistische, Antisemitische, Faschistoide bleibt unterschwellig, verborgen. Nur ab und zu – eher zufällig (oder aber bei mühsamen Quellenstudium) – erfährt man vom wahren Geist, der sich hinter der biedern New-Age-Fassade von Meditationszirkeln und Lichtkreisen verbirgt: Wenn etwa New-Age-Führer wie David Spangier (Findhorn) oder Sir George Trevelyan (spiritueller Berater von Prinz Charles!) über „Euthanasie minderwertigen Lebens“ schwadronieren. Oder wenn Esoterik-Rechtsaußen Erhard Freitag (in einer club-2-Sendung des ORF) dem Völkermorden des III. Reiches „kosmischen Sinn“ unterlegt: die sechs Millionen Juden, die in den KZs und Gaskammern der Nazis umkamen, hätten auf diese Weise lediglich karmische Schuld abgetragen. Freitag zählt zu den meistgelesenen Esoterik-Autoren hierzulande.

Renommierte Verlage wie Goldmann, Knaur, Heyne haben längst eigene Esoterik-Reihen. Selbst die eigentlich nur „Eingeweihten“ vorbehaltenen Schriften etwa von Charles W. Leadbeater oder Edgar Cayce, die die Ausrottung der Naturvölker bzw. den Holocaust des III. Reiches zur „karmischen Notwendigkeit“ erklären, werden in Bestseller-Auflagen auf den Markt gebracht. Die Lehren totalitärer Sektenführer – Baghwan Osho Rajneesh, L. Ron Hubbard (Scientology), Sang Myung Mooen (Vereinigungskirche) oder Gabrielle Wittek (Universelles Leben) – finden wachsenden Zuspruch.

Auch in den Medien wird New-Age hoffähig: Rainer Holbe etwa, bekannt für seine antisemitischen Ausfälle, führte seine Sperenzchen („Phantastische Phänomene“) auf SAT 1 vor. Selbst das öffentlich-rechtliche macht auf übersinnlich: in einer eigenen Esoterik-Reihe „PSI“ durfte New-Age-Maskottchen Penny McLean (vulgo: Gertrud Wirschinger) ungestraft Schwachsinn in die Kamera knödeln wie: „Die Form, wie du dich im jetzigen Leben präsentierst, ergibt sich daraus, wie du dich im letzten Leben verhalten hast.“ Im Klartext: All die Opfer von Demütigung und Ausbeutung, von Hunger, Vergewaltigung, Folter und Krieg sind letztlich selber in ihrem Schicksal schuld; sie haben lediglich ihre Vergehen aus früheren Leben zu büßen.

Bodenloser Zynismus? Psychopathologie? Oder faschistoide Zurichtung des Bewusstseins der Vielen? „Die New-Age-Bewegung ist (noch) nicht faschistisch“ schreibt Jutta Ditfurth. Aber: Wehret den Anfängen!

C.G.

Nicht nur „jenseitige Mächte“ werden bemüht, wenn es darum geht, Kritiker mundtot zu machen. Bedrohung, Einschüchterung, Diffamierung sind an der Tagesordnung, hinzu kommt eine Flut an Strafanzeigen und Zivilprozessen, mit der jedermann/frau überzogen wird, der/die gegen die Bannerträger des New-Age auftritt. Rat und Hilfe gibt es bei: Forum Kritische Psychologie, Postfach 800121, 81601 München.


Stadtratte 20 vom März/April 1994, 14.

Überraschung

Jahr: 1994
Bereich: Religion

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