Materialien 1994

Von der Abmeldung zum Austritt

Das Bayerische Kultusministerium „fördert“ den Kirchenaustritt

So deutlich haben wir es noch nicht aus der bayerisch-kultusministeriellen Feder erfahren: Im offiziellen KM-Schreiben vom 30. Januar 1994 wird zugegeben, dass sich viele SchülerInnen vom Religionsunterricht abmelden, weil sie mit ihrem Religionslehrer unzufrieden sind. Im Klartext: Der Ethikunterricht ist besser! Zumindest in den Augen vieler SchülerInnen, sehr vieler offenbar, sonst bedürfte es nicht eines solchen Schreibens, das die Abmeldung vom Religionsunterricht erschwert, damit die SchülerInnen künftig nicht mehr „bestimmten Lehrern“ ausweichen können!

In Zukunft muss die Abmeldung spätestens zum Ende des vorangegangenen Schuljahres erfolgen (bisher war dies noch in der ersten Woche des neuen Schuljahres möglich). Außerdem ist künftig eine Abmeldung „nur dann als zulässig anzusehen, wenn sie auf einer ernsthaften Glaubens- und Gewissensentscheidung des Erziehungsberechtigten oder des Schülers beruht“. Wer entscheidet aber nun über die Ernsthaftigkeit der Entscheidung? Genügt es, dass man angibt, nicht mehr an das Jungfräulichkeitsdogma zu glauben, oder ist das dann erst recht ein Grund, die Schüler zwecks Missionierung im Religionsunterricht zu halten? Soll also in Zukunft eine Gewissensprüfung eingeführt werden? Allerdings könnte der kultusministerielle Schuss nach hinten losgehen:

Wer in Zukunft nicht mehr am Religionsunterricht teilnehmen will, der tritt konsequenterweise gleich aus der Kirche aus. Dann darf er sogar zwischen dem Religionsunterricht der verschiedenen Konfessionen und dem Ethikunterricht wählen, ohne Glaubens- oder Gewissensgründe angeben zu müssen. Außerdem: die Jugendlichen können schon mit 14 Jahren (wiederum ohne Angabe von Gründen) aus der Kirche austreten, während für die Abmeldung vom Religionsunterricht bis zur Volljährigkeit der SchülerInnen ihre Erziehungsberechtigten zuständig sind.

Eine bessere Werbung für den Kirchenaustritt hätte sich das KM nicht einfallen lassen können!

Die Humanistische Union sieht sich durch das kultusministerielle Schreiben bestätigt: Es geht nicht mehr um das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf das sich auch in diesem Schreiben das KM beruft, sondern um blanke Besitzstandswahrung. Religionswillige SchülerInnen, die (noch) vor dem letzten Schritt zurückschrecken, sollen mit allen Mitteln im Religionsunterricht gehalten werden.

Johannes Glötzner


Mitteilungen der Humanistischen Union 146 vom Juni 1994, 57.

Überraschung

Jahr: 1994
Bereich: Religion

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