Materialien 1994
Power durch die Mauer
für eine Gesellschaft ohne Knäste
„Für eine Gesellschaft ohne Knäste“ stand unter der Erklärung der RAF zu dem Anschlag auf den Knastneubau in Weiterstadt. Das war für uns ein Anlass, über die Situation in den Knästen zu diskutieren. Da wir wenig über die bisherigen Erfahrungen zur Knastarbeit wussten, haben wir Karin vom ehemaligen Kollektiv Rote Hilfe München eingeladen. Hier Auszüge aus dem Ge-
spräch.
Soweit ich weiß, ist das Kollektiv Rote Hilfe Anfang der 70er aus der Studentenbewegung entstan-
den – als die ersten Studenten eingefahren sind. Als sie rauskamen, haben sie gesagt: „Mensch, du, da drin geht’s echt ab. Da muss man wirklich was machen.“ Die historische Situation war so, dass damals die Randgruppenstrategien entdeckt worden sind: Das Proletariat ist ja nicht die revolutio-
näre Klasse. Man hat sich aufs Sub-Proletariat geworfen, die Leute aus Heimen rausgeholt, mit Lehrlingen, Ausländern gearbeitet und eben Knastarbeit. Es gab materielle Hilfe und zum anderen wurden sie unterstützt, was gegen das System Knast zu machen. In den 70er Jahren gab es einige Knastaufstände, die von außen unterstützt wurden. Es gab eine breite Solidarität von Intellektuel-
len und Künstlern bis zu Fußballspielern, z.B. Paul Breitner. Das kann man sich jetzt gar nicht mehr vorstellen.
Ich bin über Rolf Pohle zur Roten Hilfe gekommen. Ich habe angefangen, ihm zu schreiben und er hat gemeint, ich solle doch dem Bernd Rößner (beide Ex-Gefangene aus der RAF, d. Red.) schrei-
ben. Sein Prozess war damals gerade zu Ende. Ich bin aber jedes Mal an den Zensurgeschichten gescheitert und ständig zur Roten Hilfe gelaufen: „Helft doch mal, was soll ich denn jetzt tun?“ Irgendwann haben die gesagt, ich soll am Wochenende mitfahren, um darüber zu reden. Dann war ich irgend wie drin. Das war ca. 1978. Wir haben auch strukturell am Thema Knast gearbeitet. Es gab die Theorie vom großen und vom kleinen Knast, dass die ganze Gesellschaft ein Unterdrük-
kersystem ist. Wir haben eine Plakatserie mit Fotos gemacht von Knästen, Schulen, Altersheimen, Wohnsilos und so, wo ohne Bildunterzeile nicht zu unterscheiden war, was ist was. Es gab viele Rechtsanwälte, Soziologen, Psychologen und Sozialpädagogen, die aufzeigen wollten, was die Struktur ‚Knast’ bewirkt, dass Knast abgeschafft gehört. Es war klar, dass man Knäste nicht losge-
löst abschaffen kann. Es braucht eine umwälzende Veränderung in der Gesellschaft. Das kann nur auf revolutionärem Weg passieren. Aber das Ganze war in einem Widerspruch, weil die revolutio-
näre Bewegung immer schwächer wurde.
Ist die Arbeit mit sozialen Gefangenen nur Einzelfallbetreuung? Schwer vorstellbar, wie man all-
gemein was machen soll.
Es gab materielle Unterstützung durch Briefe, Besuche und Pakete, was total wichtig ist bei sozia-
len Gefangenen, die im Knast niemanden mehr haben. Dann schauen, dass bei der Entlassung Adressen und Arbeitsstellen besorgt werden, und sei es auch nur pro forma. Wir haben auch viel mit denen diskutiert und für uns wichtige Texte in die Knäste geschickt.
Wie konntet ihr die Gefangenen erreichen?
Es sitzt z.B. jemand drin, der Kontakte nach außen hat und sagt: „Da gibt es einen, der braucht das und das. Schreibt dem doch mal!“ Der Trikont-Verlag hatte ein Programm, das vorsah, pro Knacki pro Jahr umsonst Bücher für 50 DM reinzuschicken. Ich hab da mitgemacht, und praktisch in alle Knäste der BRD Kontakte gehabt. Wenn ich aus einem Knast was gekriegt habe, hab’ ich das allen abgezogen, denen ich irgendwas geschickt habe. Ich hatte einen Stamm von zeitweise vierzig Leu-
ten, mit denen ich intensiven Briefkontakt hatte, und zehn Leute, die ich regelmäßig besucht habe, Wir haben auch publiziert, Aktionen gemacht, Demos. Sylvester sind wir vor den Knast gefahren, haben ein riesiges Feuerwerkabgebrannt, über Megaphon gebrüllt usw.
Tapeten an die Decken, Knackis in die Kommunen
Ende der 70er hat’s in München immer ein, zwei WG’s gegeben, wo Entlassene wohnen konnten. Daneben gab es viele Arbeitskollektive, die zum Teil offiziell gearbeitet haben. Die konnten z.B. Arbeitspapiere besorgen. Es gab auch Schwarzarbeiterkollektive. Da waren ein, zwei Kollektive, wo sie arbeiten konnten. Die Idee war, dass sich alles verbreitet, ein Netzwerk wird.
Was ist ein Schwarzarbeiterkollektiv?
Das Prinzip war: Der Staat kriegt keine Mark. Leben mussten wir aber, deshalb organisierten wir unsere Arbeit selbst. Anstatt Steuern zu zahlen, unterstützten wir Projekte innerhalb der Szene und finanzierten unsere eigene Infrastruktur. Anfangs sind wir bis ins liberale Bürgertum gut unter-
stützt worden. Mein erster Auftrag war Tapezierarbeiten. Wir haben überhaupt nicht gewusst, wie das geht, und haben angefangen, in der 3,50 Meter hohen Wohnung die Raufasertapeten an die Decke zu klatschen. Das war wie bei Dick und Doof. Die Frau hat uns aber ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt. Sie fand das wichtig und wollte uns unterstützen.
Und die Ex-Gefangenen haben sich daran beteiligt?
Ja. Einmal haben wir einen Kinderladen renoviert. Wir haben die Wände verschiedenfarbig an-
gemalt und einer hat mit ’nem Zeichenpinsel die Ecken gerade gezogen. Andere, die das Arbeiten gewohnt waren, haben hingeklotzt, daß wir bloß blöd geschaut haben. Aber die sind verhältnis-
mäßig schnell wieder abgesprungen, weil wir denen zu chaotisch waren.
RAF-Groupies vs. Rote Caritas
Als ich rein bin, hat’s innerhalb der Knastbewegung schon heftige Kämpfe gegeben. Die einen woll-
ten nur noch was für die politischen Gefangenen machen, wie z.B. die Anti-Imp-Gruppen. Die RAF hat 1976/77 angefangen den Kriegsgefangenenstatus und Zusammenlegung zu fordern, aus ihrer Geschichte der Isolation heraus. Gruppen wie unsere haben gesagt, dass diese Knastpolitik falsch ist. Revolutionäre müssen sehen, dass sie da, wo sie sind, die Revolution vorantreiben, und versu-
chen, in den Normalvollzug reinzukommen und dort die Knackis agitieren. Im Nachhinein denke ich, dass wir teilweise falsch gewickelt waren mit dieser rigorosen Trennung, die wir mitvollzogen haben. Aber damals waren die Fronten ziemlich hart. Wir haben die Leute als RAF-Groupies be-
schimpft, sie uns als rote Caritas.
Was gab es für Argumente dagegen?
Die harte Isolation. Sie kriegten keinen Fuß in den Normalvollzug und wollten dann wenigstens als Kriegsgefangene anerkannt werden, mit dem Schutz, den dieser Status bietet und wollten im Kol-
lektiv zusammensein, um sich auszutauschen. Es hat aber innerhalb der politischen Gefangenen-
schaft Widersprüche gegeben. Die meisten Gefangenen von ‚2. Juni’ oder RZ haben versucht, in den Normalvollzug reinzukommen. Von der RAF weiß ich von Rolf Pohle, dass er die ganze Zeit im Knast versucht hat, in den Normalvollzug reinzukommen. Der Normalvollzug war dann aber doch nur Einzelhaft. Er durfte arbeiten und die Leute, mit denen er zusammen war, waren alle Spitzel.
Beim Bernd haben sie es total zur Spitze getrieben. Der hat über Jahre keine Leute mehr gesehen und auch nie mehr als zwei Besuche von einer Person hintereinander gekriegt – die Leute wurden meist schon aus dem Besuchsraum rausgezogen. Ich hab’ jahrelang nicht reindürfen – wegen schlechtem Einfluss, angeblich. Dadurch zerstören die alles, was da ist. Speziell für Bernd hieß das: Er sitzt in seinem Hochsicherheitstrakt, sieht keinen Gefangenen. Die sie ihm angeboten hätten, wären Spitzel gewesen. Das wollte er nicht.
Weltrevolution und die Angst um die Rente
Waren im Kollektiv immer die gleichen Leute oder gab’s Fluktuation? Wie viel ward ihr über-
haupt und bis wann gab es das Rote Hilfe Kollektiv in München?
Bis Anfang der 80er, 1980 oder 1981. Wir waren meistens zehn bis fünfzehn. Ende der 70er bis Anfang der 80er sind überhaupt keine neuen Leute in die Szene gekommen. Wir waren eines der Fossilien, die sich noch eine Zeit lang durchgeschleppt haben.
Woran lag es, dass daraus nichts geworden ist?
Das hatte unterschiedliche Gründe. So ist in München der Wohnungsmarkt total dicht geworden. Es gab keine vernünftigen, großen Wohnungen mehr, die bezahlbar waren. Was die Arbeit betraf, lag’s vielleicht daran, dass die Leute älter wurden und langsam in bezug auf die Rente Angst hat-
ten. Es hat sich in der Szene so’ne Angst breit gemacht, dass es zu gefährlich ist. Anfang der 80er ist die Szene total abgebröckelt. Nachher kamen zwar noch junge Leute, aber die haben praktisch von vorne angefangen.
Sind von den betreuten Gefangenen noch welche übrig geblieben? Konntet Ihr die Ex-Gefangenen auch in revolutionäre Strukturen integrieren – und was gab es da für Schwierigkeiten?
Teilweise hat’s das Problem gegeben, dass die Knackis nicht mit uns und wir nicht mit ihnen zu-
rechtgekommen sind. Das lag an unterschiedlichen Lebensstilen. Wir hatten in unserer Kommune gemeinsame Schlafzimmer, ein gemeinsames Wohnzimmer und Kinderzimmer. Damit sind viele, die aus dem Knast kamen, nicht zurechtgekommen. Die kamen größtenteils aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Also von wegen ‚Revolutionäres Subjekt’, wie wir uns das so idealistisch vorgestellt hatten. Viele haben im Knast revolutionäre Reden geschwungen und sind abgezogen, als sie entlas-
sen wurden. Aber wir konnten damit auch nicht umgehen. Wir haben total hohe moralische An-
sprüche vor uns hergeschoben und waren auch nicht richtig fähig, uns mit den Leuten auseinander zu setzen. Mit allen ist das allerdings nicht so gelaufen.
Wart ihr in der ganzen Szene verankert oder isoliert?
Zu der Zeit, wo ich dazu gekommen bin, war die Rote Hilfe schon zum Teil isoliert. 1977 hat dann ein riesiger Rückzug begonnen. Damals gab’s eine ziemliche RAF-Paranoia und Repression. Da hat jeder angefangen, wirklich Angst zu kriegen. Das hat sich 1980/81 immer mehr fortgesetzt. Die Szene, die bis dahin existiert hat, ist auseinander geschlagen worden.
Jenseits revolutionärer Perspektive
Bist du mittlerweile zum Ansatz, mit sozialen Gefangenen zu arbeiten, auf Distanz gegangen oder findest du das weiterhin richtig?
Ich denke, wie wir damals herangegangen sind, das war arg naiv. Wir haben die These, dass das Proletariat die Weltrevolution macht, ohne die jeweiligen Schriften genau zu kennen, einfach eine Stufe nach unten gesetzt, nach dem Motto: Schau dir doch hier die Arbeiter an, die wollen ihr Eigenheim, ihr Auto, ihren Kühlschrank, ihre Glotze und in den Urlaub fahren. Und damit hat sich das für die. Damals waren in den Heimen und Knästen unglaubliche Zustände. Es hat Revolten gegeben und da haben wir uns gedacht: Toll, sind die gut drauf! Und die standen natürlich der Legalität ganz anders gegenüber als z.B. Studis oder Arbeiter. Wir fanden das gut und dachten, das wäre schon revolutionär. Wir haben damals vieles nicht erkannt.
Hältst du eine solche Arbeit denn mittlerweile für falsch oder unmöglich?
Grundsätzlich ist es ein richtiger und wichtiger Ansatz. Knast ist ein riesiges Unterdrückungs-
system und steht am Ende der Repressionsskala, die Anpassung erzwingen soll. Deshalb darf man Knast nicht aus der politischen Perspektive verlieren.
Gibt es noch Gruppen, die in diesem Sinne Knastarbeitbetreiben?
Das weiß ich nicht so genau. Wahrscheinlich steht im Moment mehr die Maschinerie Knast im Vordergrund. Weiterstadt ist ein gutes Beispiel.
Das ist auch ein gutes Beispiel für das Aufeinanderzugehen, denn die RAF hat ja nun selbst die Vorgabe gemacht, sich mit dem Thema ‚Gesellschaft ohne Knast’ auseinander zu setzen.
Das stimmt. Dass Weiterstadt eben ein Abschiebeknast ist und andererseits nach modernsten Er-
kenntnissen arbeitet – dem Gruppenvollzug, dieses fein abgestufte Belohnungs- und Bestrafungs-
system. Das Umsetzen begann bereits Mitte der 70er. Ich glaube, 1977 war die Reform im Straf-
vollzugsgesetz und dann ging’s offiziell vom System ‚Bestrafen’ bzw. ‚Rache nehmen’ weg zum System ‚Resozialisierung’ – das kannst du einfach Gehirnwäscheprogramm nennen.
Frauen draußen und drinnen
Die Gefangenen, die ihr betreut habt, waren das mehr Männer oder mehr Frauen?
Das war eine ganz typische Situation. Aus den Knästen heraus waren jedenfalls nur Männer enga-
giert. An Frauen in Knästen ranzukommen, ist total schwierig.
Woran liegt das?
Das hat was mit der Sozialisation zu tun. Die Frauen sitzen wohl vor allem bedingt durch sexisti-
sche Repression ein. Es sitzen wahnsinnig viel Frauen wegen Betrug, d.h. die haben z.B. per Ka-
talog irgendwas bestellt, um ihre Kinder zu ernähren, weil der Macker keine Kohle rüberschiebt. Frauen sitzen zum großen Teil für Verbrechen, um die Familie zu schützen. Oder sie nehmen Sachen auf sich, für die eigentlich ihre Typen gerade stehn müssten.
Also, im Knast ist eine schöne Frauenzelle – Vorhänge am Fenster, gestickte Decken. Die Frauen sind schön geschminkt und schön frisiert. Sie haben zwar unmögliche Knastkittel an, von der Figur sieht man nichts mehr, aber sie sollen halt nett, adrett und sauber sein. Im Frauenknast sind auch nur Ausbildungen möglich zur Serviererin, Friseuse, Schneiderin etc. Die Frauen werden total auf die Frauenrolle festgelegt, und zwar in einer Totalität, die kaum vorstellbar ist. Frauen z.B., die ihren Typen umgebracht haben, von dem sie jahrelang drangsaliert worden sind, werden im Knast ziemlich fertiggemacht, auch von den anderen Frauen. Männer, die ihre Frauen umgebracht ha-
ben, werden meistens auch noch gelobt. Das sind dann die tollen Hechte.
Wart Ihr selber vor allem Frauen? Weil du gesagt hast, die karitative Tätigkeit in der Szene …
… die wird den Frauen zugeschoben. In der Szene ist dieses Verhältnis ja noch lange nicht aufge-
hoben.
Wart ihr meistens Frauen und habt meistens Männer betreut?
Ja, obwohl die, die die ganzen Jahre, die ich drin war, kontinuierlich aktiv waren, mehr Männer waren – wie in allen etwas größeren Gruppen.
Man darf auch heute noch Männern in manche Knäste keine Blumen schicken …
Das stimmt, Frauen schon. In Aichach gibt es z.B. eine bestimmte Gärtnerei, von der aus man schicken darf. Da stehen ständig andere Blumen auf dem Index, die man nicht rein schicken darf.
Gab’s auch AusländerInnen, die Ihr betreut habt?
Zu der Zeit gab’s wenig Kontakte zu Ausländern im Knast. Es saßen auch bei weitem nicht so viele wie jetzt. Aber da wurde auch nicht soviel drüber nachgedacht.
Wie war das Verhältnis zwischen betreuenden Frauen und betreuten Männern, wenn die raus-
kamen?
Ich hab’ das oft erlebt, dass sich die Typen in mich verliebt haben. Am Anfang hat mich das ein bisschen erschreckt, wenn der wieder rauskommt. Der hängt mir dann immer an den Fersen. Aber es war dann nicht so das Problem.
Also wenn sie dann tatsächlich draußen waren, war’s dann nicht mehr so?
Nee, das Verhältnis wurde vorher schon ziemlich abgeklärt. Es war auch so, dass ich mich verliebt habe und diese Seite unterdrückt habe, weil Typen dabei waren, die noch ewig Knast vor sich hat-
ten. Ich kann mich erinnern, wir haben mal einen Brief gekriegt, von ’nem Typen aus Straubing, der gesagt hat, er möchte gerne Briefkontakt haben und besucht werden. Aber er möchte nicht, dass eine Frau das macht, weil er sich sonst automatisch verliebt. Diese Problematik war durchaus auf beiden Seiten bekannt.
Dazu fällt mir ein, dass Frauen im Frauenknast oft Kontakt zu Männern im Knast haben. Dass heiße Liebesgeschichten hin- und herlaufen, die teilweise später zu Ehen führen. Oder sie verlau-
fen sich, wenn einer von bei den draußen ist. Das ist so die Ebene, auf der Frauen eher Kontakt suchen – sie suchen praktisch ’nen Typen.
Es gab in München auch eine Frauenknastgruppe, die sich aus der roten Hilfe abgespalten hat, und die versucht hat, speziell mit Frauen was zu machen, Da waren viele von den Frauen selber dringe-
sessen und hatten dadurch noch Kontakte. Aber das hat sich noch früher aufgelöst als wir, weil es ziemlich schwierig war, in Kontakt zu kommen, und den Kontakt zu halten.
„Du weißt nie, was reinkommt und was nicht“
Noch einmal zur Zensur. Kannst du etwas näher ausführen, was möglich war und was nicht?
Das kann man so nicht sagen. Zensur ist ihrem Wesen nach total willkürlich. Du konntest dich nie darauf einstellen. Einmal kam was durch, das andere Mal gar nichts. Ich mach’ das mal an drei Punkten fest:
In Keilsheim ist es ziemlich rund gegangen. Die haben eine ziemlich großen Streik gehabt, um ne’ Gewerkschaft durchzusetzen. Ich habe an einige Leute in Keilsheim geschrieben und war ziemlich sauer, dass ich nie eine Antwort gekriegt hab. Irgendwann ist einer von ihnen verlegt worden und hat mir einen bitterbösen Brief geschickt, er hätte ständig geschrieben und nie eine Antwort be-
kommen. Dadurch hab’ ich dann festgestellt, dass die Keilsheimer die Briefe gar nicht angehalten und gesagt haben, wegen Sicherheit und Ordnung oder so kann dieser Brief nicht weiterbefördert werden. Die haben die einfach in den Mülleimer geschmissen.
Oder ich hab’ eine Zeit lang keine Post mehr gekriegt. Auch, wo ich gewusst hab’, das hätte kom-
men müssen. Bis ich dann zu meiner zuständigen Postdienststelle bin und gesagt hab’: ‚Es reicht! Es langt, wenn Ihre Zensurwachteln die Post lesen und abfotografieren. Aber dann können sie sie weiterleiten.’ Die haben das natürlich total abgestritten, aber danach kam wieder alles an, soweit ich das verfolgen konnte.
Mit Bernd hatte ich konträre Meinungen. Dem konnte ich viel mehr schicken als z.B. Rolf, mit dem ich verhältnismäßig übereingestimmt habe. Die letzten zwei Jahre, die Rolf im Knast war, sind kei-
ne Urlaubspostkarten mehr reingekommen – ‚Lieber Rolf, mir geht’s gut, das Wetter ist schön.’ Die wurden aufgehalten, weil das eine verschlüsselte Botschaft ist. Da ist einfach nichts mehr durchge-
kommen. Beim Bernd war das so: Solange wir uns gezofft haben, ging das noch einigermaßen, aber sobald sie gemerkt haben, da ist jetzt ein Punkt, wo wir miteinander klarkommen, haben sie total die Zensurschiene reingehauen. Was bei allen Gefangenen so ist – soziale Gefangene werden ge-
nauso behandelt, sobald sie sich gegen das Knastsystem wehren -, dass Kinderzeichnungen un-heimlich oft angehalten werden. Der Zensurwachtel versteht’s nicht und drum könnte das eine geheime Botschaft sein. Alles, was auf einer emotionalen Ebene ist, wird dir einfach weggenom-men.
Wie du das erzählst, stell’ ich mir vor, ist das auch eine emotional schwer auszuhaltende Arbeit.
Ja, in der Zeit, wo ich zu vielen Leuten intensiven Kontakt hatte, bin ich irgend wann total zusam-
mengebrochen. Da hab ich Gallenkoliken gekriegt, das ging über Monate. Einmal war ich drei Tage bewusstlos vor Schmerzen. Das kam aus so einem Ding raus: Du rennst ständig an diese Mauer und haust dir den Kopf an, es passiert aber nichts. Ich hab so eine Wut gehabt und mir gedacht: Scheiße, Scheiße, dass ich allein für ein Kind zuständig bin. Wenn das jetzt nicht wär’, ich würd’ mir ’ne Knarre nehmen, eine Rundreise machen und diese Knastleiter einen nach dem anderen abknallen, bis sie mich halt haben. Du kannst mit dieser Wut ja nicht raus, weil alles, was du ver-
suchst, alle diese Beschwerden bei der Strafvollzugskammer, die liegen da einfach und es passiert nichts. Ich habe angefangen Knastleiter anzurufen, aber die erzählen dir irgend so ein Gesumse. Du bist in einem totalen Vakuum. Rechtsmittel greifen nicht. Da kriegst einen wahnsinnigen Frust – gell. Entweder du haust außen irgend was kaputt oder du richtest das gegen dich selber, wie ich das gemacht habe.
Knastbewegung – Knastreform – ?
Das ist ja auch der Grund, warum die Bewegungen immer wieder auseinanderbrechen. Dass, wenn die Grenzen so massiv da sind, wahnsinnig viele Leute anfangen, sich zu verkriechen. Als ich in die Politszene kam, ist ein großer Schwung zum Baghwan abgehauen. Das war damals die große Mode. Die waren voll mit ehemaligen Linken. Anfang der 80er haben sie dann die neue Mütterlichkeit entdeckt und so ‘nen Scheiß. Da findet sich immer was, wo du dich drauf zurückziehen und dir noch vormachen kannst, das bringt’s jetzt. Diesen Widerspruch auflösen kannst du nur, wenn es dir gelingt, immer mehr Leute anzuturnen, dass sie von Grund auf was verändern wollen. Und dass sie es auch machen, und nicht nur drüber reden.
Am Anfang war klar, Knast abschaffen ist eingebunden in eine politische Bewegung. Dann gab es eine Argumentation – „Knast nützt nichts. Leute, die im Knast waren, werden eher wieder rück-
fällig“ -, die sich am Staat orientiert. Knast ist Herrschaftssystem, das passt doch nicht zusam-men.
Das ist doch das Problem jeder Reformbewegung. Jedes Mal, wenn du anfängst, an den Staat wegen Reformen zu appellieren, läuft das letztendlich darauf hinaus, dass das System noch ein bisschen verfeinert und modifiziert wird. In den USA gibt es Programme, wo die Leute zum Teil gar nicht mehr einfahren. Aber die sind dann auf der Straße so wahnsinnig kontrolliert, dass sie den Knast wirklich nicht mehr brauchen. So, wie sie es auch hier immer mehr durchsetzen: Wenn du dich total schlecht verhältst, kommst du in den Hochsicherheitstrakt oder in den Bunker. Zuerst wirst du in einer Art Beobachtungsstation eingestuft. Je nach dem, wie toll du bist, desto mehr Vergünstigungen kriegst du: Wohngruppenvollzug, Freigängervollzug. Von Knackis, die lange Knasterfahrung haben, wird gesagt: Früher war der Knast zwar härter, aber eigentlich war er besser. Da war klar: Hier sind die Knackis, da die Wachteln, und dazwischen ist die Trennlinie. Jetzt verwischt sich das.
Wenn du nicht an den Staat appellieren willst, aber weiter Knastarbeit machst, was sind dann noch die konkreten Ziele, wenn du siehst, dass aus den Knästen nicht die revolutionären Subjekte kommen und du nicht die Hoffnung hast, dass die große Bewegung wirklich substantiell was erreicht?
Wie das richtig eingesickert ist, ist das Projekt auch gestorben. Du musst dich ständig fragen, was willst du, findest du richtig. Ich habe trotz der vielen Niederschläge und Rückschritte das Gefühl, ich krieg’ eine immer klarere Vorstellung, wie wichtig es ist, einen revolutionären Umbruch her-
beizuführen, und dass es wichtig ist, was dafür zu tun. Im Moment hab’ ich das Gefühl, dass es wichtig ist, den Leuten so was wie eine revolutionäre Sehnsucht zu vermitteln nach dem, was sein könnte außer dem Kapitalismus.
Das ist eine ganz subjektive Sache, dass du immer wieder auf dich selbst zurückgeschmissen bist. Grad in Zeiten, wo es keine tollen Bewegungen gibt. Ich kann mir für mich nicht vorstellen, dass ich denke: Mir geht es ja nicht schlecht, ich wohn’ in einem tollen Haus, kein blöder Vermieter kann mich rausschmeißen, ich hab’ nette Kinder, einen Job in einem Wohlfahrtsverband, wursch-
tel mich so durch, fahr’ jedes Jahr in Urlaub und damit hat es sich. Ich kann mir nicht vorstellen, mich dabei besonders wohl zu fühlen.
Stadtratte 16 vom Sommer 1993, 12 ff.