Materialien 1995
Staatsanwalt macht die Namen der Täter publik
Für die bundesweite Verbreitung des Transparent-Textes „Die Täter haben Namen“ sorgte die Staatsanwaltschaft München II. Das Transparent war bei einer Demonstration am Befreiungstag vor der KZ-Gedenkstätte Dachau von der Polizei beschlagnahmt worden. Obwohl der Direktor des Dachauer Amtsgerichts die Beschlagnahme für ungerechtfertigt erklärte (mit Hinweis auf „die geschichtliche Tatsache, dass die Machthaber des Dritten Reiches durch verschiedene Banken unterstützt wurden und dass Großfirmen während der Dritten Reichs Häftlinge als Arbeitskräfte beschäftigten“), mochte ein Staatsanwalt nicht locker lassen. „Üble Nachrede“ unterstellte er dem ehemaligen KZ-Häftling und Landesvorstandsmitglied der VVN-Bund der Antifaschisten Bayern, Martin Löwenberg. Dieser war Versammlungsleiter der von einem Personenbündnis getragenen Demonstration vor der Gedenkstätte. In einer Presseerklärung der VVN betonte Martin Löwenberg, dass er einem etwaigen Prozeß angesichts der historischen Fakten „gelassen entgegensehe“. Dass die „Täter Namen haben“, so die VVN, „lässt sich auch vor Gericht belegen – und wird sicherlich weit über die Bundesrepublik Deutschland hinaus auf großes öffentliches Interesse stoßen“. Das Medienecho auf das skandalöse Vorgehen der Münchner Justizbehörde war beachtlich.
Nachdem sich trotz heftigen Bemühens der Staatsanwaltschaft kein Vertreter der genannten Firmen zu einer Klage bereit fand (aus naheliegenden Gründen), gaben die Strafverfolger nach Rücksprache mit dem Justizministerium klein bei: Die Beschlagnahme des Transparents war rechtswidrig. Den namentlich genannten Tätern aus Konzern- und Bankkreisen aber hat die Staatsanwaltschaft mit ihrem „vorauseilenden Gehorsam“ wohl eher einen Bärendienst erwiesen.
Ernst Antoni
antifa-rundschau . Hg. vom Bundesausschuss der VVN-Bund der Antifaschisten 22 vom April – Juni 1995, München, I.