Materialien 1995

Deutschnationale Töne aus der Philharmonie

8. Mai: Rechtslastiges Gedenken

Am 7. Mai, dem Vorabend der 50. Wiederkehr des Kriegsendes, will eine „Stiftung Demokratie und Marktwirtschaft“ in der Philharmonie eine geschlossene Veranstaltung abhalten, auf der des Kriegsendes „nicht einseitig“ gedacht werden soll. Die Veranstaltung ist wegen des Initiatorenkreises und der vorgesehenen Redner umstritten. Der Mietvertrag zwischen der „Gasteig Betriebsgesellschaft mbH“ und der Stiftung ist geschlossen. Weder sie noch die Stadt sieht Anlass beziehungsweise Handlungsspielraum, die Veranstaltung aus der Philharmonie zu verbannen.

Die „Stiftung Demokratie und Marktwirtschaft (DM)“ hat Manfred Brunner gegründet, der auch Stiftungsvorstand ist. Brunner war früher FDP-Stadtrat, von 1983 bis 1988 FDP-Parteichef in Bayern. 1994 hob er den „Bund Freier Bürger (BFB)“ aus der Taufe, ein rechtskonservatives Wahlbündnis, das den vorläufigen Schlusspunkt der politischen Wanderung nach rechts bildet. Der BFB grenzt sich zwar von der traditionellen rechtsradikalen Szene ab, pflegt andererseits eine extrem nationalistische Haltung. Diese trat deutlich im zurückliegenden Europawahlkampf zutage. Vergleiche zum sich freiheitlich nennenden, jedoch rechtsradikal auftretenden Österreicher Jörg Haider drängen sich auf. Zugleich propagiert Brunners BFB einen von sozialer Kälte geprägten Kapitalismus. Die Stiftung Brunners bildet die Klammer zum rechtsbürgerlichen Lager. Im Stiftungsrat sitzen unter anderem der Historiker Prof. Dr. Arnulf Baring, Ferdinand Fürst von Bismarck und Dr. Peter Gauweiler.

Auf der Veranstaltung in der Philharmonie sollen der CDU- Rechtsaußen Alfred Dregger, der FDP-Rechtsaußen Alexander von Stahl und der Geschichtswissenschaftler Ernst Nolte sprechen. Letzterer begründete mit dem von ihm ausgelösten „Historikerstreit“ die Politik des Relativierens der Naziverbrechen. Herr Brunner rechnet für die Veranstaltung mit „gutem Zulauf“. Immerhin bietet die Philharmonie 2.400 Gästen Platz. „Demokratisch, niveauvoll und stilvoll“ soll die Veranstaltung ein Zeichen gegen „einseitiges Gedenken“ setzen. Nach Brunners Worten werde in Verbindung mit dem Kriegsende immer nur von Befreiung gesprochen, jetzt solle auch an die gedacht werden, die mit dem Kriegsende Fürchterliches erlitten wie zum Beispiel die Vertreibung. Proteste gegen die inhaltliche Ausrichtung seiner Veranstaltung nennt Brunner „unverständlich“. Brunner rechnet es seiner Initiative als Erfolg an, dass auch Kohl (Bundeskanzler) seit kurzem öffentlich sage, der 8. Mai symbolisiere nicht nur Befreiung, sondern solle auch anderen Gedanken Raum geben.

Die zum 7. Mai geplante Veranstaltung soll eine Türöffnerfunktion übernehmen für die Politik des Relativierens, an deren Ende ein von allen Lasten der Naziverbrechen befreites Deutschland stehen soll.

Eckard Heintz ist Geschäftsführer der „Gasteig Betriebsgesellschaft mbH“. Diese Gesellschaft gehört zu 100 Prozent der Landeshauptstadt München, in ihrem Aufsichtsrat sind Stadträte vertreten. Wirtschaftlichem Handeln verpflichtet verpachtet die „Gasteig Betriebsgesellschaft“ in eigener Verantwortung Räumlichkeiten im „Gasteig Kulturzentrum“. Für die Nutzung der Philharmonie sind je Veranstaltung etwa 20.000,- DM zu entrichten. Nur bei „verfassungswidriger Evidenz“ sieht Heintz Handlungsbedarf, Veranstaltungen in seinem Haus zu verhindern. Hinsichtlich der Veranstaltung sieht er keinen, die Veranstalter können sich auf den abgeschlossenen Mietvertrag berufen. Zudem handle es sich um eine geschlossene Veranstaltung.

Die politische Stadtspitze sieht keine Handlungsmöglichkeit einzugreifen. Die ÖDP-Stadträtin Mechthild v. Walter hatte am 13. April mit dringlicher Behandlung beantragt, den Mietvertrag zwischen der Gasteiggesellschaft und der Stiftung zu kündigen. In Reaktion darauf war der Münchner Presse eine Äußerung von Bürgermeisterin Csampai zu entnehmen, dass die Stadt schon allein wegen drohender Schadensersatzforderungen hier nichts tun könne, es fehle zudem die Handhabe.

Wenige Meter von dem Ort entfernt, wo Elser im November 1939 seine Widerstandstat gegen Hitler ausführte, stellt München den Deutschnationalen mit der Philharmonie einen Veranstaltungsort 1. Klasse zur Verfügung.

„Die ganze Judenangelegenheit wird nicht bestritten“, versuchte die Stiftungssekretärin zu beruhigen.

Zum 7. Mai sind am Gasteig zwei Demonstrationen angemeldet.

Kommentar

Es gilt das Recht der freien Rede. Es gilt, so schwer es fällt, auch für Verbohrte, Demagogen und Geschichtsfälscher.

Gegen „Vertreibungsterror“ wollen die Veranstalter ein Zeichen setzen.

Die Heimatvertriebenen mussten gleichsam stellvertretend besonders für die Verbrechen der Nazis büßen, die ohne Billigung oder gar Unterstützung der Deutschen nicht begangen werden konnten. Die Vertreibung war eine Folge des verbrecherischen Kriegs. Aufrechnen allerdings verbietet sich, allzu durchsichtig ist der Versuch, sich damit reinzuwaschen. Darin liegt die kalkulierte Lüge der Geschichtsfälscher.

Es gilt das Recht der freien Rede, damit leider auch der falschen Rede. Aber warum im Gasteig? Warum an einem Ort, mit dem die Fälscher ihre Fälschung aufwerten werden. Diese Schuld übernehmen Stadt und „Gasteig Betriebsgesellschaft“. anb


Haidhauser Nachrichten 5 vom Mai 1995, 1 fdf.

Überraschung

Jahr: 1995
Bereich: Gedenken

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