Materialien 1995

Nazi-Wehrmachtskult unter der Schirmherrschaft der Bayer. Staatsregierung!

Das Münchner Bündnis gegen Rassismus ruft zu Gegenaktionen auf

Am Sonntag, den 25. Juni 1995, soll unter der Schirmherrschaft des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber in Oberschleißheim bei München die Einweihung einer „neuen Gedenkstätte zu Ehren der gefallenen, vermissten, in der Gefangenschaft verstorbenen deutschen Soldaten beider Weltkriege“ stattfinden.

Dabei legen die Veranstalter von der „Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern“ großen Wert auf den Eindruck, als ginge es hier lediglich um eines jener unzähligen Kriegerdenkmäler, die, die Kriegsziele Nazideutschlands wie des Kaiserreichs ignorierend, nahezu in jeder Ortschaft hierzulande stehen.

In Wirklichkeit handelt es sich hier in Oberschleißheim um ein Areal der Ost- und Westpreußenstiftung, das seit 1983 nach und nach als Kultstätte zur Verherrlichung der Hitlerwehrmacht samt ihres Vernichtungskrieges gegen die Völker Ost- und Südosteuropas ausgebaut wird.

Bronzetafeln eines auf dem selben Gelände errichteten Mahnmals „Flucht und Vertreibung“ tragen Inschriften wie: „Aus dem letzten Wehrmachtsbericht / 9. Mai 1945: In Ostpreußen haben deutsche Divisionen noch gestern die Weichselmündung und den Westteil der frischen Nehrung tapfer verteidigt / wobei sich die 7. Division besonders auszeichnete:“ oder: „Dem tapferen Verteidiger der Festung Königsberg General der Infanterie Otto Lasch zum ehrenden Gedenken.“

In dem angrenzenden Privatmuseum der Ost- und Westpreußenstiftung hängen die Bilder hakenkreuzgeschmückter Nazi-Generäle an den Wänden, und Regierungsvertreter, wie die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm am 8. Mai dieses Jahres (!), defilieren daran vorbei, ohne auch nur eine Spur von Missfallen zu äußern.

Die Verherrlichung der Nazi-Wehrmacht geht sogar soweit, dass ab dem 25. Juni 1995 in der neuerrichteten Gedenkstätte und unter der Schirmherrschaft Stoibers ausdrücklich jene Wehrmachtseinheiten geehrt werden, die als Teil der „Heeresgruppe Nord“ und „Heeresgruppe Mitte“ direkt wie indirekt an der Liquidierung von 14 % der Gesamtbevölkerung der Sowjetunion (28 Millionen Tote) und an der Erfolgsbilanz deutscher Kriegsführung im Osten von 70.000 ausradierten Dörfern und 1.700 zerbombten Städten beteiligt waren (Zahlen aus „konkret“ 5/1995).

Auf einer Bronzetafel neben einem großen Holzkreuz im Mittelpunkt des „Denkmals“ werden ausdrücklich militärische Einheiten der Nazi-Wehrmacht geehrt: „Zum Gedenken der untergegangenen Ostpreußischen Divisionen“ (Infanterie-Divisionen 228, 244, 340, 349, 383, 542, 551, 714, Jäger-Division 114).

Forscht man nach, was diese Armee-Einheiten so ehrenswert macht, stößt man auf Heldentaten wie diese, an denen die 9. Armee beteiligt war: „Im Polessjegebiet wurden mehr als 30.000 arbeitsunfähige Sowjetbürger in Konzentrationslager in der vordersten Linie zusammengetrieben und mit Flecktyphuskranken durchsetzt, so dass es zu einer Epidemie kam. Die Lager wurden beim Rückzug in der Absicht zurückgelassen, in der Sowjetarmee Massenerkrankungen auszulösen. Die Divisionen des 19. Korps der sowjetischen 65. Armee, die diese Lager befreiten, mussten aus der Front herausgezogen werden, weil der Flecktyphus in ihren Reihen wütete.“ (aus „Deutschland im zweiten Weltkrieg“, Band 4, S. 79, Berlin.) Teil jener 9. Armee, der diese bestialische Erfindung lebender Bomben zugute kam, war die 383. Infanterie-Division, derer in Oberschleißheim gedacht wird (a.a.O., Band 3, S. 543).

Die Denkmalseinweihung am 25. Juni mit Ansprachen von Staatssekretär Dr. G. Merkl, Generalleutnant a.D. Burandt und dem Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen Wilhelm v. Gottberg ist ein Teil eines Revanchistentreffens der „Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen“, das bereits am Vorabend mit einer durch und durch faschistischen“ Mitsommernachtsfeier“ beginnt. Auf dem Programm stehen dabei: „Begrüßung und offizielle Übernahme der von der Reichs-Arbeitsdienst-Traditionsgemeinschaft Ostpreußen für die Sammlungen im Haus der Ost- und Westpreußen gestifteten Exponate.“ (Zitat aus dem Einladungsschreiben). Danach begibt man sich zu einem „Sonnwendfeuer mit Feuerrede von Brigadegeneral a.D. Udo Ritgen, Entzündung der Gedenkphialen und Geläut der Kiwitter Glocke.“ Letzteres findet an dem bereits erwähnten „Mahnmal Flucht und Vertreibung“ statt, wo sich neben einem alten Pionierlandungsboot aus der Nazizeit auch ein Glockenturm mit der erwähnten Glocke „aus der Kirche Kiwitten im Ermland (Ostpreußen)“ befindet. Die Denkmalserrichter meinen damit jenes polnische Gebiet östlich von Danzig, das an Russland grenzt.

Dieses sog. „Mahnmal“ bringt die aktuelle Zielsetzung der von der bayerischen Staatsregierung so rege unterstützten Ost- und Westpreußenstiftung am deutlichsten zum Ausdruck. Auf einem Granitstein ist folgende Inschrift zu lesen: „Kreis Oleßko, 11. Juli 1920, für Deutschland 28.625 Stimmen, für Polen 2 Stimmen.“ …

Nirgendwo anders wird der Zusammenhang zwischen dem Nazi-Kult der Revanchistenverbände und den Großdeutschland- und Expansionsplänen der Regierung in Bonn und München deutlicher, als auf diesem ehemaligen Militärgelände des Oberschleißheimer Flughafens, der „Ost- und Westpreußen“ vom Staat großzügig überlassen wurde.

Bereits am 8. Mai dieses Jahres hat die Ministerin Barbara Stamm als Vertreterin der bayerischen Staatsregierung vor diesem Mahnmal „Flucht und Vertreibung“ bei einer Gedenkveranstaltung mit gleichem Titel folgendes von sich gegeben: „Welche Wunden hat der sprachliche Rückzug vom Schicksal der Vertriebenen und ihrer Heimat geschlagen! Vertreibung als ,Transfer’, ,Aussiedlung’, ,Wanderung’ oder ,Wanderschaft’ zu bezeichnen, hat ebenso verletzt wie die Umwidmung des Begriffs ,Ostdeutschland’ nun zur Bezeichnung für die neuen Bundesländer. Die gewollte Herauslösung dieses Begriffs aus seinen gewachsenen Zusammenhang hat in Kauf genommen, dass sein Inhalt zu verwaisen …“ droht.

Die Verwendung „des Begriffs ,Ostdeutschland’“ in „seinem gewachsenen Zusammenhang“ war bislang das Hauptanliegen der Nationalzeitung, die damit die Gebiete „Posen“, „Pommern“, „Schlesien“, „Ost- und Westpreußen“ und natürlich auch Österreich und einen Teil der Tschechoslowakei für Großdeutschland beansprucht.

Erstmals aber offenbart eine Regierungsvertreterin, warum man hierzulande von „Vertreibung“ und nicht von „Aussiedlung“ spricht. Von „Vertreibung“ reden heißt, „Ostdeutschland“ wieder für sich zu reklamieren, und zwar in „seinem gewachsenen Zusammenhang“ und völlig unverkrampft, wie sich Bundespräsident Herzog auszudrücken pflegt.

Wir rufen Euch auf, diesem Treiben der Revanchisten nicht tatenlos zuzusehen, und am 25. Juni 1995 nach Oberschleißheim zu kommen. Treffpunkt: 10 Uhr beim Eingang „Alte Flugwerft“, Außenstelle des Deutschen Museums, Ferdinand-Schulz-Allee, wo die VVN/BdA einen Infostand aufbaut.


Münchner Lokalberichte 12/13 vom 22. Juni 1995, 11.

Überraschung

Jahr: 1995
Bereich: Gedenken

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