Materialien 1996

Opportunismus statt antinational

Die Demo am 3. Oktober in München

Ungeahnte Publizität bekam die Demo gegen die Einheitsfeier am 3. Oktober in München, als die CSU die Stadtratsfraktion sowie den Landesverband der Grünen attackierte, weil PDS und DKP ebenfalls zum Protest aufriefen. Der Europaabgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler (Bündnis 90/Grüne) zog seinen Redebeitrag für die Kundgebung zurück. Der stellvertretende Bürgermeister Hep Monatzeder (Grüne) distanzierte sich „ohne jedes Wenn und Aber“ von dem Aufruf, „da ich weder die entsprechende Diktion noch die undifferenzierte Schwarz-Weiß-Malerei des Aufrufs gutheißen kann“. Seine Amtsvorgängerin Sabine Csampai hatte schon vor der CSU-Kritik in der Ratsfraktion gegen die Unterzeichnung des Aufrufes gestritten, obwohl der Text sich ganz bescheiden gegen Sozialabbau, Verschärfung des § 218, die Abschaffung des Asylrechts, Waffenexporte und out-of-area-Einsätze der Bundeswehr richtet. Als Vorsitzender des Münchner Stadtverbandes der Öko-FDP lehnte Bernd Schreyer die Demo ab. Die Grünen hätten die Vereinigung „voll akzeptiert“, beteuerte Schreyer, der inzwischen zum Landesvorstand aufgestiegen ist.

Der Sprecher der Münchner Stadtratsfraktion, Siegfried Benker, führte in der bürgerlichen Presse sowie zu bester Fernsehzeit Unterwerfungsrituale auf. Er, der bei den Grünen in München als linkes Feigenblatt fungiert, beteuerte seine Freude über die Annexion der DDR und versuchte die CSU in punkto primitiven Antikommunismus rechts zu überholen. So hielt sich Benker zugute, durch ein „Zweckbündnis“ Schlimmeres verhindert zu haben: „Und auf unsere Initiative hin tritt zum Beispiel Sahra Wagenknecht (von der kommunistischen Plattform der PDS) bei dieser Demonstration nicht auf. Mit Stalinisten haben wir nichts zu tun.“ (Süddeutsche Zeitung, 2./3. Oktober 1996)

Die VeranstalterInnen vom Aktionsbündnis gegen die nationalen Einheitsfeiern durften froh sein, dass der pseudolinke Benker nicht vollends in die Knie ging. Leichtsinnigerweise war dem Grünen nämlich die Anmeldung der Demo übertragen worden, und mensch kann sich lebhaft ausmalen, wie stark der Druck war, diese zurückziehen. Die Demo am 3. Oktober hätte leicht zu einer Unangemeldeten werden können.

Der ursprünglich geplante Gegenkongress scheiterte an der fehlenden Courage des Münchner studentischen SprecherInnenrates: Die Unileitung hatte mitgeteilt, dass sie einen „Zusammenhang mit Veranstaltungen des Aktionsbündnisses gegen den großdeutschen Feiertag“ sieht. Nach den Erfahrungen beim WWG 1992 sowie einer geplanten Kurdistan-Veranstaltung im Juni 1996 wird die Unileitung den Gegenkongress nicht ohne weiteres genehmigen, schlossen die Studi-VertreterInnen messerscharf, verzichteten darauf gegen diese Einschränkungen politisch und juristisch vorzugehen und warten auf bessere Zeiten.

Für Münchner Verhältnisse geradezu phantastisch diskret agierte auf der Demo die Polizei: Die Spezialtruppen blieben im Hintergrund, die Polizei trat ohne Helm, Schild und Schlagstock auf, sogar im Spalier auf beiden Seiten des schwarzen Blockes. Die Provokationen beschränkten sich auf einen Übergriff am Hauptbahnhof, wobei wiederum ein Seitentransparent den Vorwand lieferte; eine Spezialität bayerischer Repressionsorgane. Benker tat sich in dieser Situation abermals hervor, indem er den Protest gegen den Polizeiübergriff durch Aufforderungen, doch bitte weiterzugehen, hintertrieb. Außerdem wurde der zweite Vorsitzende der Jungen Presse Bayern festgenommen, wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot. Die Polizei nutzte die Gelegenheit zu einer Durchsuchung seiner Wohnung sowie eines Schließfaches, wobei ein Laptop, ein Tonbandgerät sowie einige Papiere eingesackt wurden. Das für bayerische Verhältnisse trotzdem relativ friedliche Auftreten der Polizei an diesem Tag dürfte weniger der machtvollen Demo als vielmehr dem Oktoberfest geschuldet sein. Angesichts der völlig überlaufenen Festwiese mussten für den Fall von Massenpanik genügend Polizeikräfte bereitgehalten werden. Zertrampelte Wiesnbesucher sind schlechter für das Image der „Weltstadt mit Herz“ als ein paar zerbrochene Schaufenster.

Ideologisch dominiert wurde die Veranstaltung von den TraditionssozialistInnen aus PDS, DKP, VSP, Arbeiterbund und kommunistischer Plattform. Sie hatten, unterstützt von der Autonomen Antifa (AABO), im Vorfeld verhindert, dass für die Demo gegen die Einheitsfeier mit einer antinationalen und revolutionären Orientierung mobilisiert wurde. Ihr Kalkül, mit opportunistischer Anbiederung sozialdemokratische und gewerkschaftliche Gruppen als Unterstützerinnen sowie das entsprechende Spektrum als Teilnehmerinnen gewinnen zu können, ist gescheitert.

Die Zeitungen meldeten 1.500 bis 2.500 DemonstrantInnen, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Gekommen war das übliche Münchner linke Demopublikum. Was den Mobilisierungsgrad von Auswärtigen betrifft, dürfte die Ökologische Linke im Verhältnis zu ihrer Anhängerschaft Spitzenreiterin gewesen sein. Es kamen GenossInnen aus Berlin, Stuttgart und Umgebung, aus Frankfurt/M. und Thüringen.

Den bieder gehaltenen Aufruf des Aktionsbündnisses zierten die Unterschriften der Autonomen Antifa (M), diverser Infoläden sowie der Jungen Welt . Wenn es konkret wird, haben in der Zeitung mit dem linksradikalen Anspruch die Deutschnationalen von der sozialdemokratischen „Kommunistischen Plattform“ das Sagen, ansonsten darf Jürgen Elsässer mit antinationalen Kommentaren das einschlägige Publikum bei der Stange halten. Über die Vorbereitungsphase, als die Ökologische Linke eine Kritik an Nationalismus, Gentechnik, Bioethik und Euthanasie, den speziellen bayerischen Polizeigesetzen, dem revanchistischen Agieren der CSU gegenüber der tschechischen Republik sowie dem Bau des Atomreaktors in Garching einschließlich der Waffentauglichkeit des Brennmaterials forderte und von den TraditionssozialistInnen abgebügelt wurde, berichtete das Blatt kein Wort.

Entsprechend wurden die DemoteilnehmerInnen bei der Kundgebung auf dem Odeonsplatz vollgesülzt. Siegfried Benker durfte seine Freude über die „Wiedervereinigung“ kundtun. Ein Redner aus Ostberlin, vorgestellt als abgewickelter Diplomphilosoph, stellte die rhetorische Frage, „Sind wir gegen die Einheit?“ und antwortete: „Nein, sondern für ein geeintes, demokratisches, sozialistisches Deutschland.“

Karin Döpke


Ökolinx. Ökologische Linke Zeitschrift 25 vom Frühling 1997, 38 f.