Materialien 1996

Augenzeugenberichte

Berthold Denk (24, Zahnmedizin-Student): „Zum symbolischen ersten Spatenstich für den Bau des FRM II luden die Bürgerinitiative Garching und das SMV-Bündnis München zu einer Gegenkundgebung, nachdem ein Demonstrationszug verboten wurde. Schon ab 10 Uhr vormittags waren viele GarchingerInnen an der Einfahrt zum Forschungsgelände am eifrigen Pappschildschwenken und Luftballonaufpumpen. Leider war der Veranstaltungsort doch einiges vom offiziellen Festgelände entfernt, es bestand kein Hör- und Sichtkontakt. Ein guter Zusammenhang zwischen Festakt und Gegenkundgebung war aber dann die Anfahrt der geladenen Gäste in ihren Luxuskarossen – an der Veranstaltung der Bürgerinitiative vorbei …“

Annette Rechenbach (18 Jahre, Gymnasiastin) „Während die Bürgerinitiative ein Kabarett-Stück ,Sender freies Garching’ aufführte, kamen die ersten Besucher der offiziellen Veranstaltung mit ihren schwarzen S-Klasse-Wagen auf den Bauplatz. Sie wurden von den Demonstranten lautstark ausgepfiffen und auch daran gehindert weiterzufahren. Dies geschah lediglich durch passives in den Weg stellen. Die Polizei, die dies nicht akzeptieren konnte, ging mit provokativer Gewalt gegen die Jugendlichen vor. Diese wurden von der Straße gestoßen und zum Teil am Kopf gepackt, dabei wurden auch kleine Kinder in den hinteren Reihen gefährdet. Wütend über dieses Vorgehen, traten auch vereinzelt Demonstranten mit Füßen gegen vorbeifahrende Autos, wobei kein Sachschaden entstand. Die gewalttätigen Ausschreitungen von Seite der Polizei nahmen erst dann ab, als sich einige Erwachsene auf die Seite der Jugendlichen stellten und die Presse ihre Kameras auf die Vorgänge richtete. So wurden die Demonstranten lediglich daran gehindert, die Straße zu betreten und die einfahrenden Autos zu behindern.

Als alle Gäste eingefahren waren, zog etwa die Hälfte der Demonstranten Richtung Bauzaun, woran sie auch nicht gehindert werden konnten, handelte es sich doch um öffentliche Straßenfläche und hatte der Richter in der gerichtlichen Entscheidung doch dazu geraten, Richtung Bauzaun einen ‚Spaziergang’ zu machen, da eine Demonstration verboten worden war. An dem Stacheldrahtzaun zeigten sie, mit Pfiffen und Sprechchören, ihren Protest zu den innerhalb des eingezäunten Gelände abgehaltenen Reden von unserem Kultusminister Zehetmair und dem bayer. Ministerpräsident Stoiber. Dabei waren zahlreiche Zivilbeamten und auch Personen des Verfassungsschutzes, die Fotos machten und filmten. Es kam zu keinen Ausschreitungen und ich sah keine vermummten Personen, die mit Steinen warfen, wie die Polizei später behauptete. Unter den Demonstranten standen auch Mitglieder der BI sowie Oppositionspolitiker des Landtags.

Mit dem Ende der Rede von Herrn Stoiber löste sich die Versammlung auf und die Demonstrierenden zogen geschlossen zurück zur Busstation. Als der Rest dort auf einen Bus wartete, griffen Polizisten ohne einen Grund überraschend mehrere Jugendliche an, die sie nach hinten an ein geparktes Auto drückten. Auch ein Bekannter von mir, von dem ich weiß, dass er nicht gewalttätig sein könnte, wurde handgreiflich angegriffen. Dabei wurden zwei Jugendliche verhaftet und mit den Händen auf dem Rücken abgeführt. Als ein Bus kam, und ein großer Teil dort einsteigen wollte, kam es zu einer weiteren Festnahme. Zwei Jugendliche wurden gepackt und von drei Beamten auf den Boden gestoßen. Drei Beamte drückten ihnen die Knie in den Rücken, bis sich diese nicht mehr zu bewegen trauten. Aus meiner Sicht war lediglich ein gewalttätiges Vorgehen von Seiten der Polizei zu beobachten. Die Verhaftungen hätten friedlich durchgeführt werden können, und ob diese gerechtfertigt waren, wird sich zeigen, wenn der Vorwurf der Sachbeschädigung des Autos sich nicht bestätigen sollte, was ich für wahrscheinlich halte. Ich denke, hier geht es darum, Demonstranten einzuschüchtern, das Recht auf demokratische Protestmöglichkeiten de facto einzuschränken, da der Protest unangenehm ist. Warum sind die Festnahmen nicht auf frischer Tat, also bei der angeblichen Beschädigung des Autos erfolgt? Weil dort Presse gewesen wäre, die den Einsatz der Polizei beobachtet hätte, auf dem Rückweg der Demonstranten war diese nicht mehr da, um zu filmen wie Jugendliche geschlagen und verletzt wurden. Hier wird versucht, den friedlichen Protest im Keim zu ersticken.“

Berthold Denk (24, Zahnmedizin-Student): ,,… Wohl wegen des sehr starken Medieninteresses kamen dabei die getragenen Tonfas noch nicht zum Einsatz. Während die Bürgerinitiative ihre Kundgebung fortsetzte, zogen ca. 100 DemonstrantInnen zum Festgelände, wobei die Polizei nicht eingriff. Nur durch den Bauzaun und ca. 20 m vom Festakt getrennt, konnten dann zwei Stunden land die Festreden durch ein massives Trillerpfeifenkonzert und durch Parolen erheblich gestört werden. Schon dabei fielen einige Zivilbullen um die GegnerInnen auf, gefilmt wurde meistens nur aus der Entfernung.

Nachdem der offizielle Teil des Festaktes mit dem ersten Spatenstich beendet wurde, gingen die DemoteilnehmerInnen geschlossen Richtung Bushaltestelle. Plötzlich wimmelte es nur so von Zivis (Zivilpolizisten, d.Red.), zum Teil im Demo-Zug. Daraufhin wurde mehrheitlich als Block mit Seitentransparenten gegangen. Als an der Bushaltestelle sich die Gruppe etwas auflöste, begannen einige Greiftrupps aus ziviler und uniformierter Polizei, einzelne Menschen festzunehmen. Wohl weil keine Kamera mehr dabei war, gingen sie dabei äußerst brutal vor. AtomgegnerInnen wurden gewürgt, geschlagen und getreten. Auch auf bereits am Boden liegende Menschen wurde noch eingetreten. Schläge auf den Kopf und mit dem Ellenbogen auf die Brust waren üblich. Daraufhin flüchteten die 50 Jugendlichen in den Bus. Viele der Jugendlichen besaßen noch nicht sehr viel Demoerfahrung und viele waren daraufhin überrascht, als an der Endhaltestelle des Busses mehrere Wannen mit der gewaltsamen Räumung des Busses und einer Massenfestnahme drohten.

Nach dem Aussteigen wurde eine Frau abgegriffen, später gab die Polizei zu, sie verwechselt zu haben. Bei ihrer Festnahme gingen uniformierte Schläger wieder überaus brutal vor, warfen mehrere GegnerInnen in ein Gebüsch und stießen auch mit dem kurzen Tonfaende zu. Erst in der S-Bahn war man/frau vor Übergriffen sicher. Wie schon bei der Tschernobyl-Demo im April wird es in München immer schwieriger, sich von einer Demo zu entfernen. Sobald kein Kamerateam o.ä. mehr da ist, werden auch bei solidarischem Verhalten der DemoteilnehmerInnen immer mehr abgegriffen, mit zum Teil unglaublicher Gewalt seitens der zivilen, aber auch der uniformierten Polizei.“

Die Zeugen sind der Redaktion bekannt, Vor- & Nachnamen wurden geändert.
(Sascha Paßlack


Münchner Lokalberichte 17 vom 15. August 1996, 3 f.

Überraschung

Jahr: 1996
Bereich: Atomkraft

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