Flusslandschaft 1964
Zensur
Seit Anfang des Jahres findet eine erregte Diskussion in der deutschen Presse über Ingmar Berg-
manns Film „Das Schweigen“ statt. Historiker behaupten später, mit diesem Datum habe die Sex-
welle in Deutschland ihren Anfang gefunden.
13. Oktober 1964: „Der Kulturpolitische Ausschuss diskutiert den umstrittenen schwedischen Film ‚Das Schweigen’, der wegen der Darstellung sexueller Szenen Millionen von Zuschauern in die Ki-
nos lockt. – Allein 1964 sehen elf Millionen Bundesdeutsche den Film des schwedischen Regis-
seurs Ingmar Bergman, der anfangs von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) nicht zur Aufführung freigegeben wurde. Den Kulturpolitikern im Landtag liegt die Eingabe eines Landgerichtsrats aus Lindau vor, der ein Verbot des Streifens durchsetzen will. Das Justizministe-
rium sieht jedoch keine Möglichkeit, gesetzlich einzuschreiten. Der Ausschuss leitet die Eingabe als ‚Material’ an die Staatsregierung weiter. – Friedrich Arnold (CSU) wirft der FSK Versagen vor, denn die Bergman-Filme ‚Das Schweigen’ und ‚491’ seien für die Jugend ‚sehr verhängnisvoll’. Der Gedanke an eine eigene bayerische Filmselbstkontrolle erscheint ihm nicht abwegig, was heftigen SPD-Protest auf den Plan ruft. Gerda Laufer meint: ‚Damit würde sich das Land wieder einmal vor der ganzen Welt lächerlich machen.’ Es gebe eine große Zahl von Filmreißern, über die man nicht spreche, obwohl sie für die Jugend verderblicher seien als die angesprochenen Filme. – Karl Hä-
berle (SPD) glaubt ebenfalls nicht, dass vom ‚Schweigen’ die an die Wand gemalte Verderbnis aus-
gehen könne. Häberle, der den Film selbst sah, bekennt: ‚Die Problematik ist so ungeheuer, dass das bisschen Erotik gar nicht ins Gewicht fällt.’ Im übrigen sehe die Jugend diese Dinge heute an-
ders. Wer moralische Entrüstung mime, werde von ihr höchstens ausgelacht. – Josef Helmschrott (CSU) fragt sich, wie das Prädikat des Films ‚künstlerisch wertvoll’ überhaupt zustande gekommen sei. Max Streibl (CSU) sagt, man sei es der Jugend schuldig, den Filmproduzenten eine Grenze zu setzen, die nicht überschritten werden dürfe. Er befürchtet, die Filmwirtschaft werde in Konkur-
renz zum Fernsehen zunehmend versuchen, mit anrüchigen Filmen die Leute anzulocken. Dem entgegenzuwirken und die ‚Filmleinwand sauber zu erhalten’, sei eine Aufgabe der Regierungsor-
gane, die dabei vom Landtag unterstützt werden müssten.“1
1 Peter Jakob Kock, Der Bayerische Landtag. Eine Chronik, Bamberg 1991, 155 f.