Materialien 1996

Ausblick in eine Zukunft, die nicht sein muss

Ein Abend beim Bund freier Bürger

Der Bund Freier Bürger (BFB) hat sich um den früheren FDP-Politiker und Europa-Beamten Brunner gesammelt und bezeichnet die Rettung der DM, die nicht für instabiles Euro-Geld geop-
fert werden dürfe, als sein Hauptanliegen. Der BFB sammelt zur Zeit in mehreren bayerischen Kommunen Unterschriften für die Zulassung zur Kommunalwahl und hat dabei nach eigenem Aussagen erhebliche Probleme. In München hat der BFB seine Hochburg. Brunner war vor seiner Zeit als Europa-Beamter Münchner Kommunalpolitiker und im jetzigen Wahlkampf outeten sich mit Polizeipräsident Koller und Kreisverwaltungsreferent Uhl zwei hohe Beamte als Brunner-
freunde. Koller und Uhl traten am Donnerstag, den 14. Januar als Wahlredner auf einer BFB-Veranstaltung zum Thema Sicherheit an, obwohl im Vorfeld ihre Dienstvorgesetzten Innenmini-
ster Beckstein für Koller, Oberbürgermeister Ude für Uhl schwere beamtenrechtliche Bedenken geäußert hatten.

Proteste der Juso

Unter der Parole „Braunes Pack im Bürgerfrack“ hatten u.a. die Münchner Jusos zu einer Gegen-
kundgebung vor dem Eingang des Pschorr-Kellers auf der Schwanthalerhöhe aufgerufen. Die vielleicht 800 bis 1.000 Besucherinnen und Besucher mussten die Gegenkundgebung passieren, sie wurden unüberhörbar auf die Zusammenhänge zwischen der Brunner-Partei, den österreichi-
schen Rechtsradikalen und bekannten Münchner Nazis und den Reps hingewiesen. Zur Veranstal-
tung kamen meist etwas ältere Leute, oft Ehepaare, man hatte sich ein bisschen fein gemacht, klei-
ne Selbständige, Beamte der unteren Ränge vielleicht. Diese kleinen Leute, vormals eine tragende Schicht des Stadtbürgertums, in der modernen Yuppiemetropole aber beinahe schon ein Randmi-
lieu, versuchten jene hohen Beamten nach rechts zu verschieben und anzupflocken. Wie?

Brunners Erzählung

Brunner begann den Abend mit einer wissenschaftlichen verbrämten Irreführung. Er behauptete, dass politische Gemeinwesen aus dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger entstünden. Dies zeige schon der Name Bürger, der Menschen bezeichne, die sich unter dem Schutz einer Burg sich ange-
siedelt hätten, um Sicherheit zu finden.

In diesem Geschichtsbild gehen wichtige Tatsachen unter. Das große Sicherheitsproblem der Städ-
te des Mittelalters war nicht der Schutz durch den Ritter, sondern der Schutz vor dem Ritter, der in der feudalen Gesellschaft die Staatsmacht repräsentierte. Die Macht der Ritter beruhte auf dem erblichen bzw. durch Lehen übertragenen Grundeigentum und dem Leibeigentum an den land-
wirtschaftlichen Arbeitern, den Bauern. Daraus folgte das Recht der adligen Grundherrn, von den Bauern Naturalabgaben, den Zehnten – oder auch mehr – gewaltsam einzuziehen.

Die Städte bildeten sich außerhalb dieser Verhältnisse. Technisch war ihre Grundlage die arbeits-
teilig spezialisierte Handwerksarbeit, rechtlich die Zunftgenossenschaft. Für die adligen Grundher-
ren entwickelte sich die Stadt in einem Hauptpunkt zum rechtsfreien Raum. Sie konnten ihre ent-
laufenen Leibeigenen nicht ohne weiteres in die Stadt verfolgen, sie mussten sich schließlich damit abfinden, dass ihre Rechtsansprüche nach Jahr und Tag als ersatzlos verfallen galten. Stadtluft macht frei, klingt es bis heute nach. Die neuartige wirtschaftliche Basis vertrug sich nicht mehr mit der Leibeigenschaft. Freizügigkeit, Vertragsfreiheit und andere neue Grundsätze mehr ergaben sich aus der Erfahrung und den Bedürfnissen des bürgerlich arbeitsteiligen Zusammenlebens.

Brunner hingegen erzählt eine Untertanengeschichte, der Staatsbürger wird zum Staatsmündel, seine zivilisierteren Handlungen sind ihm durch Gesetz und Gewalt bloß abgepresst, im Mitmen-
schen lauert dem Menschen die Gefahr auf, die Obrigkeit ist seine Zuflucht. Geschichte, auf diese Art erzählt, formt das politische Denken. Die sozialen, kulturellen und auch die ganz alltäglich und persönlich erlebten Lebenskrisen können nicht mehr analysiert, durch Nachdenken aufgeschlossen werden. Sie fallen in die Kategorie von Bedrohung, und je stärker die Bedrohung, um so stärker das Bedürfnis nach einer Autorität, die schützt. Brunners Geschichtserzählung hat das Publikum nicht gerade mitgerissen, sie diente der Einstimmung.

Kriminalität bei Koller

PP Koller hielt einen eher vorsichtigen Vortrag aus der Kriminalstatistik. Es wäre wohl möglich gewesen, aus dieser Statistik etwas über die sozialen und kulturellen Krisenbereiche des modernen Lebens zu erfahren. Koller tendiert in diese Richtung nicht. Er glaubt – nicht selten bei Polizeibe-
amten – an fürs Verbrechen disponierte Personengruppen. Diese Meinung mag aus einer denkfeh-
lerhaften Umsetzung von Fahndungsroutine in politische Folgerungen entstehen. Aber da wird es dann gefährlich. Politisches Denken, das die Häufung von Kriminalfallen in katalogisierbaren Le-
benszusammenhängen nicht als Hinweis auf eine soziale Krisensituation verstehen kann, sondern „den Täter“ als politisches Problem sieht, verfällt regelmäßig auf die Idee, Sicherheit durch Ein-
sperren, Wegsperren, Hinrichten, durch Rasterfahndung, Vorbeugehaft und Schutzhaft zu suchen. ist der Mensch weg, ist die Gefahr gebannt … So begründet die Kriminalitätsrate die Abschiebepo-
litik für Ausländer. Die nächste Frage wäre dann, was mit dem „Kriminellen“ geschehen soll, der nicht ausgewiesen werden kann? Eine andere, wie Personengruppen mit hoher Kriminalitätsbe-
lastung unter Ausnahmegesetz gestellt werden könnten. – in dem umfangreichen statistischen Material, das Herr Koller über allerhand Personenkreise präsentierte, fehlt die eigentlich gut ab-
grenzbare Gruppe der Münchner Polizeipräsidenten, die in diesem Jahrhundert wohl die meisten Berufsgruppen in puncto Belastung durch Schwerstkriminalität hinter sich gelassen hat. Daraus zu folgern, dass sich vorwiegend kriminell disponierte Personen um dieses Amt bewürben, wäre al-
bern. Vernünftigerweise denken wir dabei eher an die Abwehr des Faschismus und demokratische Kontrolle der Exekutive.

Uhl vergreift sich an Armen …

Der Vortrag des Kreisverwaltungsreferenten war durch abstoßenden Zynismus und Effekthasche-
rei geprägt. Uhl versuchte die Obdachlosen und Bettler, die mit der Hinwendung der BRD zur konservativen Wirtschaftspolitik seit Beginn der achtziger Jahre immer mehr werden, als Men-
schen hinzustellen, die der Öffentlichkeit etwas wegnehmen. Sie würden frech die schönsten Stellen der Stadt sich als „Wohnzimmer“ und oder auch zur Toilette aneignen. Uhl, der von der Bedrohung des Reichtums durch die Armut ausgeht, meinte wohl, dass sich dieses Gefühl im der Beziehung zwischen den kleinen Leuten und den völlig Gescheiterten aufhetzen ließe. Aber hier blieb der Beifall aus, und in der Diskussion wandten sich auch offensichtliche Anhänger des BFB gegen Uhls offen zur Schau getragene Verachtung des ins Unglück geratenen Mitmenschen.

… und hetzt gegen Suchtopfer

Ganz anders, als Uhl davon sprach, die Drogenszene vor sich hertreiben zu wollen. Da waren die Leute nicht in der Lage, über die Drogenproblematik nachzudenken. Sie wollen Rauschgiftsüchtige in ihrem Lebensumfeld nicht sehen. Dahinter liegt wohl die panische Angst, die eigenen Kinder am Rauschgift verderben zu sehen. Man macht sich vor, Rauschgiftkonsum sei eine Art schlechter Ge-
wohnheit, die gar nicht aufkäme ohne schlechtes Beispiel, üblen Umgang, die direkte Anreizung. Das bierzeltartige Gegröle, mit dem die Ankündigung von Gewaltmaßnahmen quittiert wurde, zeigt, dass in diesem Punkte die Hoffnung auf die Autorität unerschüttert feststeht und die Forde-
rung nach Legalisierung nicht verstanden wird. Und wenn es auch ein politisch rechts eingestelltes Publikum war, das da – man muss wohl sagen wie besoffen – johlte, wird doch ein Defizit in der öffentlichen Meinung sichtbar.

Koller und Uhl als Praktikern und Fachleuten kann vorgeworfen werden, dass entscheidende As-
pekte der Drogensucht verschwiegen wurden. Es ist ja vor allem die Beschaffungskriminalität, die die Drogensüchtigen fertig macht und ihnen den Rückzug verbaut, es ist vor allem die enorme Profitrate der Großdealer, die aggressive Verbreitungsstrategien hervortreibt. Die BFB-Strategie, die der bedrohten Sitte mit Staatsorganen helfen und Tätern die Härte des Gesetzes weisen will, kommt an.

Ausländerfeindlichkeit bleibt Klammer rechter Politik

Der weitaus gefährlichste Punkt der rechten Mobilisierungsstrategie bleibt die systematische Ab-
grenzung zwischen den Deutschen und den Ausländern. Der BFB stellt sich an dieser rechtlichen Grenzlinie auf und stellt die Alternative zwischen Integration und Abschiebung auf. Die Integration betrifft keineswegs bloß Fragen wie die Kenntnis und Achtung der Gesetze, es geht um die gesamte Lebensweise. In der Tradition der deutschen Staats- und Gesellschaftsbildung finden sich kaum Verhaltensweisen eingewöhnt oder begründet, die ein nachbarschaftliches Miteinander bei Beibe-
haltung von Unterschieden in der Lebensweise zulassen würden. Schon die Nationalhymne ver-
langt als erstes: Einigkeit! Das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und unterschiedlichen Strategien der Problembewältigung wird in Folge der Welt-
wirtschafts- und Weltordnungspolitik, die ganze Regionen mit Aussichtslosigkeit, Hunger und Krieg bedroht, zu einer gesellschaftlichen Überlebensfrage.

Der BFB ist ein eigener rechtsextremer Mobilisierungsversuch, aber er nimmt auch Brückenfunkti-
on zwischen den Reps und der CSU wahr. Obwohl Konkurrenz der CSU, funktioniert er auch als Zutreiber, gerade durch die Vermittlung zwischen dem Ausländerhass der Faschisten und dem zwanghaften Integrationsdenken der CSU. Im Münchner Kommunalwahlkampf geht es der – so gesehen vereinigten – Rechten ganz wesentlich darum, die wenigen Institutionen und städtischen Hilfen abzuschaffen, die Diskussionsbereitschaft und solidarisches Zusammenleben begünstigen.

maj


Münchner Lokalberichte 1/2 vom 19. Januar 1996, 2 f.

Überraschung

Jahr: 1996
Bereich: AusländerInnen

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