Materialien 1996

Maulkorb für alle?!

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und sie zu verbreiten …“ (aus Art. 5, Abs. 1, Grundgesetz). So steht es geschrieben, und es soll angeblich Recht bleiben. Doch nicht, wenn es nach der Kohl-Regierung geht. Mit einem einfachen Gesetz will die Regierungskoalition jede Kritik an der Bundeswehr verbieten. Das Grundgesetz wird dabei nicht angetastet, oh nein. Solche Debatten, wie sie zur Änderung (und faktischen Abschaffung) des Grundrechts auf Asyl nötig waren, will man sich nämlich schenken. Was das ist? – Reine Verarschung. Wir zeigen Euch hier, wie das dann aussieht.

Viel ist von dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht mehr übrig, wenn umseitiger Gesetzentwurf im Bundestag beschlossen wird, denn dann sind Aussagen wie „Die DGB-Jugend tritt grundsätzlich für die Abschaffung der Bundeswehr ein“ (Programm der DGB-Jugend), „In der Bundeswehr nehmen Schikanen und Schindereien zu.“ (Wehrbeauftragter laut Spiegel Nr. 19/1995) oder, wie es eine Auszubildende aus München sachlich auf den Punkt gebracht hat, „Bundeswehr ist Scheiße“ strafbar und zwar mit „… Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren … Die Vorschrift orientiert sich an der vergleichbaren Regelung des § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), die Amt und Person des Bundespräsidenten schützt.“ (Aus der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf). Echt geil, jeder Soldat ein kleiner Bundespräsident.

Wem nützt solch ein Gesetz?

In den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ vom November 1992 wird ein „vitales Sicherheitsinteresse“ der BRD, das im Ernstfall von der Bundeswehr zu „verteidigen“ ist, u.a. ausgeführt: „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“.

Regierung und Unternehmen sparen an unseren Löhnen, unserer Ausbildung, unserer Qualifikation für die Kassen der Großkonzerne, für des Verteidigungsministers neue Kampfflugzeuge namens „Eurofighter 2000“, neue Kampfhubschrauber und neue Schlachtschiffe für die Kriegsmarine und und und …

Reine Augenwischerei betreiben die Militärs und ihre Verteidigungsminister, wenn sie bei jeder Gelegenheit öffentlich jammern über den ständig sinkenden Rüstungshaushalt. Um viele Milliarden Mark soll er angeblich seit 1990 gefallen sein. De facto versteckt die Bundesregierung viele militärische Ausgaben in anderen Haushalten. Kritik daran ist unerwünscht.

Es wäre das Beste, der Kriegshaushalt würde abgespeckt und ganz aufgelöst, um die Rüstungsmilliarden für ein anständiges Leben für Millionen von Menschen zu verwenden.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund für dieses Gesetz, der noch viel gefährlicher ist als der erste: Deutsches Großmachtstreben. Oder wie sind die folgenden Aussagen zu verstehen: „Für Deutschland und Europa haben die europäische Einigung existentielle Bedeutung: Es handelt sich um eine Frage von Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert“, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Sorgen des Kanzlers. Roman Herzog sagte vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im März 1996: „Deutsche Interessen anzuerkennen heißt natürlich auch, die Folgen daraus ehrlich zuzugeben, also zum Beispiel, dass dafür materielle Lasten übernommen werden müssen: dass aber das Scheckbuch nicht immer ausreicht, sondern dass möglicherweise auch einmal der Einsatz von Leib und Leben gefordert ist.“

Dieser Gesetzentwurf ist verfassungswidrig! Er dient als Maulkorb für alle, die eine weitere Militarisierung nicht zulassen wollen und ist ein großer Schritt in Richtung totaler Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Wir lassen uns den Mund nicht verbieten!


Münchner Lokalberichte 24 vom 21. November 1996, 10.

Überraschung

Jahr: 1996
Bereich: Bundeswehr

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