Materialien 1996

„Wer Alternativen hat, geht“

Zur „dümmsten und nutzlosesten aller denkbaren Reaktionen“ – glaubt man den Worten des Re-
daktionsleiters Dieter Appel – ließen sich Mitte Dezember rund fünfzig freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung (SZ) hinreißen: Sie verweigerten Mitte Dezember vier Ta-
ge lang die Arbeit für die „Neuesten Nachrichten für den Landkreis München“.

Mit dem Arbeitsausstand – das Wort Streik wurde und wird vermieden – protestierten die Freien gegen eine massive Honorarkürzung. Sie ergibt sich ab Anfang Februar durch die Dreiteilung der Landkreisredaktion in einen neuen Nord-, Süd- und Würmtal-Teil. Bei diesem Vorhaben, vom Zei-
tungsmanagement als Aufbruch in eine neue Zeit gepriesen, sinken die Druckauflagen der einzel-
nen Ausgaben gegenüber dem jetzigen „vereinigten“ Landkreisteil. Gleichzeitig aber wird der Um-
fang ausgeweitet. – Und natürlich spart der Verlag in inzwischen gewohnter Dreistigkeit gegenüber Freien die Mehrkosten bei ihnen ein.

Die Honorareinbußen, die die Freien hinnehmen müssen, sind teilweise empfindlich: Selbst jenen, die seit Jahren und bislang noch zu einem Honorar von 1,15 Mark pro Zeile für die Landkreisaus-
gabe schreiben, wird das Honorar auf 80 Pfennig pro Zeile gekürzt. Kein Wunder, dass – so eine Freie, die weiter für die Ausgabe arbeiten wird, weil sie noch darauf angewiesen ist – „mit die be-
sten Leute, die Alternativen haben, jetzt gehen“. Wer bleibt, muss damit leben, dass der Etat pro Seite nun gesenkt wird. Rund 150 Mark weniger pro Seite stehen nun nach verlagsinternen Anga-
ben für Honorare zur Verfügung, denn die Seitenzahl wurde weit stärker erhöht als der Redakti-
onsetat.

In Verhandlungen über diese neue Situation konnten die Freien lediglich erreichen, dass die Ho-
norare nicht rein auf auflagenorientierte Bezahlung umgestellt, sondern der 80-Pfennig-Einheits-
tarif vereinbart wurde. Er gilt für jene 90 Prozent der Freien, die sich nicht als arbeitnehmerähn-
lich angemeldet haben.

Masse statt Klasse

Mehr und schlechter schreiben bietet hier der Redaktionsleiter den Freien als Kompensationsmög-
lichkeit an. Und tatsächlich: Wollen sie auch noch die gerade erfolgte Streichung der Fahrtpau-
schalen verkraften, bleibt ihnen nur, sich die Finger wund zu schreiben. Masse statt Klasse wird dabei offen als Maßstab verkündet. – Der Reaktionsbrief des Redaktionsleiters auf den „Streik“ spricht auch ansonsten für sich. Wir dokumentieren ihn unten in längeren Auszügen. Ob der Neu-
start der Regionalausgaben bei diesen Vorgaben zu jener neuen Motivation führt, die das Manage-
ment zur Zeit allenthalben im Munde führt? – Die Freien jedenfalls fühlten sich, bis auf eine Per-
son, allein zum Protest motiviert.

Kritisch bleibt anzumerken, dass es die Freien versäumten, IG Medien und Journalistenverband vor der Arbeitsniederlegung zu konsultieren. Beide Verbände hatten die vergangenen Auseinan-
dersetzungen mit der SZ (siehe Berichte in den „freiexemplaren“ 1996) mit Beratungen und Vor-
schlägen zur Erhöhung der Effektivität der Proteste begleitet. Vielleicht hätte man sogar verhin-
dern könne, dass „Redakteure selbst auf eine Menge von Terminen gehen“ (Appel). – Ohne eine Zusammenarbeit von Freien und Angestellten beim Etatkampf werden beide Gruppen jedenfalls weiter gegeneinander ausgespielt.

Vielleicht klappt die notwendige Koordination beim nächsten Mal? Denn: Dass es weitere Konflik-
te geben wird, kann als sicher gelten. Die Gesellschafter des reichen SV werden über die Verlagslei-
tung sicher auch zukünftig versuchen, sich Profite Stück für Stück über sinkende Honorare der Freien und Arbeitsverdichtung bei den Angestellten zu sichern.

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SZ-Redaktionsleiter Dieter Appel: „An alle Mitarbeiter“

Der „Streik“ war die dümmste und nutzloseste aller denkbaren Reaktionen. Dumm, weil er mir als Redaktionsleiter praktisch jede Möglichkeit verbaut hat, beim Verlag noch einen Kompromiss zu erreichen, nutzlos, weil er allein Ihnen (entgangenes Honorar) und unserer Zeitung geschadet hat (versäumte Termine). Nutznießer war der Verlag, der sich viel Honorar gespart hat, weil die Re-
dakteure selbst auf eine Menge von Terminen gegangen sind.

Sie hätten uns wenigstens informieren müssen. Offenbar gibt es zwar „Solidarität“ unter den Mit-
arbeitern, nicht aber mit der Redaktion, obwohl wir doch im gleichen Boot sitzen.

Die Minderung des Honorars liegt in der Regel unter 20 Prozent. Im Gegenzug werden wir aber wesentlich mehr Seiten produzieren, auf denen wesentlich mehr Artikel Platz finden können. Die Verluste können also weit mehr als kompensiert werden. Zumal, wie wir alle wissen, viel schreiben oft leichter ist, als wenig und konzentriert zu schreiben.

Ich verhehle nicht, dass ich lieber die bisherigen Honorarsätze beibehalten hätte, doch das ist an-
gesichts des zur Verfügung stehenden Etats nicht mehr darstellbar.

Genaugenommen hätte der Verlag diese Regelung schon längst, nämlich seit Einführung der Nord/Süd-Wechselseiten, einführen können. Das heißt im Klartext, dass wir mit Billigung der Chefredaktion seit geraumer Zeit weit über Tarif bezahlt haben. Schon von daher ist oben er-
wähnter „Streik“ kaum nachvollziehbar.


freiexemplar. Informationen für freie Medien- und Kulturschaffende, hg. von der IG Medien Bayern vom Februar 1997, 7.