Materialien 1997
Rechte Politik heißt Politik der Angst
HALLO wie geht’s?
Gleich zur Begrüßung eine Definition für den internen Dienstgebrauch:
Um ermessen zu können, was das ist, haben wir neulich, es war der 1. Mai, mal wieder bei den absteigenden Mittelschichten vorbei geschaut. Der „Bund Freier Bürger“ hatte zur Großkundgebung gegen „Euro-Wahn“ und die „Ausplünderung Deutschlands“ geladen.
Im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz die gewohnte Monokultur von biergeröteten Semmelköpfen, die Männer in der absoluten Überzahl und zum großen Teil in dem Alter, wo ernsthaft über Führerscheinentzug nachgedacht werden muss. So wendet sich die Ansprache der Frau Jugendvorsitzenden an ein ganz schlicht nicht vorhandenes Publikum. Auch nachdem der agile Herr Brunner auf das Podium geklettert ist, will zunächst keine richtige Stimmung aufkommen. Mit seinen Invektiven gegen die „politische Klasse“, gegen „Steuerbetrug“ und „EU-Bürokraten“ erntet er nur höflichen Beifall. Echte Begeisterung kommt erst bei den Nummern ins Spiel, die den Bürger wirklich bei den Eiern packen: „Asylantenflut“, „Ausländerkriminalität“ und „jüdische“ Reparationsforderungen. Dann jedesmal begeisterter Beifall im Saal, ein dicker Mann schwenkt wie beim Fußballspiel die Deutschlandfahne.
Die Rede von der „Überfremdung Deutschlands“ bleibt heutzutage nicht mehr auf solche klassischen Festzeltansprachen beschränkt. Mit seinem Titel über das „Scheitern der multikulturellen Gesellschaft“ hat der SPIEGEL es unternommen, rassistische Argumentationen auch im sogenannten linksliberalen Spektrum hegemoniefähig zu machen. „Gefährlich fremd“ nennt er das Verhältnis von Deutschen und Fremden, doch die Cover-Grafik macht gleich klar, wer da gefährlich fremd ist: die junge Rachegöttin, die mit der türkischen Fahne durchs Bild läuft, hat gefährlichen politischen Fanatismus zu vertreten, die Jungs, die Kette und Messer in die Kamera recken, stehen für gefährliche Ausländerkriminalität und die Mädchen, die ihre Köpfe über den Koran beugen, signalisieren gefährlichen islamischen Fundamentalismus.
Unter den gegebenen Umständen lässt sich in solchen Darstellungen nur eine Aufforderung zur ethnischen Säuberung sehen.
Wechselseitige Überbietung in rassistischer Stimmungsschreibe, damit wird heute der Kampf um Auflagen geführt. Im November letzten Jahres brachte der STERN einen Beitrag mit dem Titel: ,,Wir stehen vor einem Generalangriff – Ausländische Banden übernehmen die Macht in der deutschen Unterwelt. Wer sich ihnen in den Weg stellt, muss sterben“. Hier dient die erstaunliche Sorge um die Intaktheit der deutschen Unterwelt („Immer mehr einheimische Luden räumen resigniert das Feld“) als Vorwand für die Erstellung einer simplen Gleichung, die nicht nur der Nazi-Depp kapiert: „Ausländer = kriminell“.
Die SPIEGEL-Titelgeschichte scheint jedoch in besonderer Weise den völkischen Nerv getroffen zu haben. Im Löwenbräukeller lobte Manfred Brunner, dass jetzt endlich auch der „linke SPIEGEL“ ausspreche, „was alle denken“. Und im Kreisverwaltungsausschuss der Stadt München (das ist so etwas wie die Abteilung „Innere Sicherheit“ des Münchner Stadtrats) waren sich eine Woche nach der SPIEGEL-Veröffentlichung alle einig, dass die „Ausländerintegration gescheitert“ sei. Auf den SPIEGEL-Titel verweisend erklärte Kreisverwaltungsreferent Uhl: „Selbst die veröffentlichte Meinung wird nachdenklich: Die multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert.“ Die ordnungspolitische Konsequenz wurde gleich mitgereicht: Angesichts offener Grenzen müsse „die Gangart um einiges härter werden, um zu verhindern, dass sich kriminelle Elemente hier niederlassen“. Der „Münchner Sicherheitsreport 1996“, der da verhandelt wurde, erfasst, nebenbei bemerkt, nicht die tatsächlich Verurteilten, sondern die „Tatverdächtigen“, Solange Berichte wie der des SPIEGEL dazu beitragen, Ausländer zu 100% tatverdächtig zu machen, braucht sich selbstverständlich niemand zu wundern, dass unter den Leuten, die von der Polizei verdächtigt werden, mehr Ausländer als Volksgenossen sind.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat die Ausländerbeauftragte für Ostdeutschland, Anetta Kahane, erklärt, welche Diskurswirkung journalistische Phantasien wie die des SPIEGEL in den „Neuen Ländern“ haben, also dort, wo es durch das Zusammenwirken staatlicher und gesellschaftlicher Rassismen ohnehin kaum noch Ausländer gibt:
„So eine Simplifizierung und Verallgemeinerung, wie sie im jetzigen SPIEGEL-Titel ‚Gefährlich fremd’ geschieht, ist Wasser auf die Mühlen der allgemeinen völkischen Stimmung, die im Osten herrscht. Wir haben in Ostdeutschland jetzt eine Entwicklung, in der man sagen kann, dass die Zahl der sogenannten ‚national befreiten Zonen’ sich mehrt … Damit bezeichnen die Rechten bestimmte Regionen, zum Beispiel das Muldental bei Wurzen, aber auch bestimmte Einrichtungen, zum Beispiel Jugendclubs oder Funkkanäle. Das bedeutet dann, dass da nichts mehr anderes ist als Rechtsradikalität. Das heißt, dass Leute, die sich nicht rechts und nicht national äußern, rausfliegen.“
Nach dem Trubel um die Wehrmachtsausstellung und die Nazi-Demo am 1. März waren in München alle recht stolz, dass München nicht zu einem neuen Muldental geworden ist. Eine Broschüre des „Münchner Bündnisses gegen Rassismus“ meldet in gewohnt markigem Ton Vollzug: „Nazi Aufmarsch gestoppt“.
So toll war’s dann leider doch nicht. Der Skandal, dass 5.000 Nazis (und zwar echte) weitgehend ungestört durch die Stadt laufen konnten, bleibt bestehen. Wer sie dann gestoppt hat, das war die Polizei. Ob sie’s wollte oder nicht. In diesem Sinne:
grüß gott!
dritte hilfe. Hysterieblatt für die absteigenden Mittelschichten, Sommer 1997, 2 f.