Materialien 1997

Wenn Bürger begehren

Die Provinzposse als Highlight direkter Demokratie

Wie nah doch Glück und Unglück beieinander liegen: Weil es am 27. April knapp 15 Prozent der Münchner Wahlberechtigten für nötig befunden hatten, der Aufforderung eines wahrlich breiten „Bündnisses für Wohnungsbau“ vom DGB bis zum Ring Deutscher Makler Folge zu leisten und
die Bürgerbegehren gegen Wohnungsbauprojekte im Westen und Osten der Stadt abzulehnen, ist die Welt wieder in Ordnung. „Widerlegt die These, dass eine Handvoll persönlich Betroffener ihre Partikularinteressen gegen das Gemeinwohl durchsetzen können. Feldafing1 ist nicht überall: In München hat gestern nicht nur die Vernunft gesiegt, sondern mit ihr der Bürgerentscheid“, kommentierte der Lokalchef der SZ, Winfried Schindler.

Soviel Euphorie (auf die Journalistenlogik, mit der hier gearbeitet wird, soll gar nicht weiter ein-
gegangen werden) wollte bei Bürgermeister Christian Ude (SPD) nicht aufkommen. Der kündigte noch in der Wahlnacht an, sich für ein Quorum und die Amtseintragung statt der Straßensamm-
lung von Unterschriften einsetzen zu wollen – womit er auf CSU-Linie eingeschwenkt ist.

Zur Erinnerung: Am 1. Oktober 1995 wurde das Volksbegehren „Mehr Demokratie in Bayern“ nicht zuletzt wegen der Unterstützung durch SPD und Grüne mit 57,8 Prozent der Stimmen angenom-
men. Der Entwurf der CSU, die zwar auch kommunale Plebiszite einführen wollte, aber mit einem Quorum von 50 Prozent der Wahlberechtigten eine praktisch unüberwindbare Hürde vorsah, wur-
de abgelehnt. Man freute sich damals, der CSU eine historische Niederlage beigebracht zu haben.

Ein Pyrrhussieg: Bereits die Durchsetzung der Ring-Tunnel durch ein vom Münchner CSU-Vorsit-
zenden Gauweiler initiiertes Plebiszit in München stellte klar, woher der Wind weht, wenn Bürger begehren. Provinzpossen wie die in Feldafing, wo immerhin ein wenig Schadenfreude aufkam, blieben bislang die Highlights der direkten Demokratie. In einem Land, dessen Bewohner den Sankt Florian gerne einen guten Mann sein lassen und lieber selbst zum Brandsatz greifen, um
das Flüchtlingsheim anzünden, war freilich auch nicht zu erwarten, dass durch eine Änderung der Geschäftsordnung plötzlich das Zeitalter solidarischer Selbstverwaltung und lebendiger Demokra-
tie eingeläutet werden würde.

Das Trauerspiel der Bürgerentscheide ist symptomatisch für die Lähmung der bürgerlichen Lin-
ken. Sie hat – nicht nur in Bayern – jede inhaltliche gesellschaftliche Vision verloren und ist des-
wegen immer dafür zu haben, wenn Demokratie um ihrer selbst willen gegeben wird. (Man denke nur an die Begeisterung für die runden Tische, deren edelste Ritterinnen inzwischen bei Kohl am Katzentisch einen angemessenen Platz gefunden haben.) Dass die neuen Instrumentarien, die in den 70er und 80er Jahren vielleicht der einen oder anderen ökologisch ausgerichteten Bürgerini-
tiative zum Erfolg verholfen hätten, jetzt von reaktionären Kräften genutzt werden, ist in dieser Situation nur logisch.

Auch unabhängig von taktischen Erwägungen wie der Frage, ob der Zeitgeist gerade rechtsaußen oder halblinks steht, sind – gerade kommunale – Plebiszite eine zweifelhafte Errungenschaft. Denn während in der repräsentativen Demokratie zumindest ein gewisses Maß an Bündelung von Minderheitsinteressen möglich ist, reduziert sich der Demokratiebegriff, der den Bürgerentschei-
den zugrunde liegt, auf reinen Mehrheitsfetischismus.

Den Initiatoren von „Mehr Demokratie in Bayern“ freilich war – wie den „Revolutionären“ von 1989 – lechts und rinks immer schon schnuppe. Sie rechnen gerne vor, wie viel Geld die Plebiszite eingespart haben (Nach dem Motto: Fünf Asylantenheime abgelehnt – drei Millionen gespart) und kommentieren jedes noch so schwachsinnige Kleinbürgerbegehren aufs neue als Sieg für die De-
mokratie.

In ihrem Größenwahn geben sie jetzt ein Buch heraus, das in bester Riefenstahl-Tradition „Tri-
umph der Bürger“ heißt. Pressetext dazu: „Bayern ist zur Lokomotive in Sachen Bürgerentscheid geworden und setzt damit ein wichtiges Signal für die Demokratie in Deutschland. Der Verein ‚Mehr Demokratie’ will nun bundesweite Volksentscheide durchsetzen. Mögliche Themen für eine solche Volksabstimmung wäre beispielsweise der Euro (!)“

Der Marsch nach Berlin ist längst geplant, München ist die Hauptstadt der Bürger-Bewegung.

:::

1 Eine Abstimmung in Feldafing hat sich gegen das Buchheim-Museum ausgesprochen.


dritte hilfe. Hysterieblatt für die absteigenden Mittelschichten, Sommer 1997, 39.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Bürgerrechte

Referenzen