Materialien 1997

Betrifft: „Lauschangriff“

Humanistische Union/Gustav-Heinemann-Initiative/RichterInnen und StaastanwältInnen in der gewerkschaft ÖTV/Deutsche Vereinigung für Datenschutz/Bundesarbeitskreis kritischer Juragrup-
pen:

Betrifft: „Lauschangriff“
Bürgerrechtsorganisationen und ÖTV-RichterInnen wollen Grundrechtskahlschlag nicht hinneh-
men.

Durch die Einigung über die Einführung des großen Lauschangriffs wird ein unantastbarer priva-
ter Lebensbereich aufgegeben. Wird dieser massive Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte Ge-
setz, so werden vor allem Räume abgehört, in denen sich Unverdächtige aufhalten. Internationa-
le Erfahrungen zeigen, dass das Abhören von Wohnungen keine erkennbare Verbesserung bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität bringt. Der Lauschangriff kann nicht auf den engen Kreis von Gangstern begrenzt werden. Mit diesem Etikett wird die Öffentlichkeit getäuscht. Die vorgesehe-
nen Sicherungen sind völlig unzureichend. Es ist nicht vorgesehen, dass – wie in den USA – die anordnenden Richter über die Wirksamkeit des Grundrechtseingriffs Rechenschaft ablegen müs-
sen, so dass eine effektive Kontrolle durch die Öffentlichkeit möglich ist.

Abgehört werden können auch Ärzte, Pfarrer, Familienangehörige; selbst der Intimbereich „Schlaf-
zimmer“ ist nicht tabu. Was der Öffentlichkeit als Maßnahme gegen die „Organisierte Kriminalität“ verkauft wird, wird Auswirkungen für die Unbefangenheit, mit der sich BürgerInnen zu Hause ver-
halten, haben.

Die vom Lauschangriff Betroffenen haben nicht die Möglichkeit, Rechtsschutz gegen diese geheime Ausforschung zu erlangen …

Die deutsche Polizei darf nicht zur Geheimpolizei werden. Demokratische und rechtliche Kontrol-
lierbarkeit sind eminent wichtig für das Vertrauen der Bürger zu den Stellen, denen das staatliche Gewaltmonopol anvertraut ist. Mit dem Lauschangriff tut sich der Staat keinen Gefallen. Dies zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen der italienischen Mafia-Bekämpfung.

Wir werden uns mit der Preisgabe von Grundrechten nicht abfinden und appellieren an die Abge-
ordneten des Deutschen Bundestags, dem Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes die erforder-
liche Zweidrittelmehrheit zu verweigern. Wir fordern die Landesregierungen auf, das Projekt „Grundrechtsabbau“ im Bundesrat zu stoppen. Lassen Sie sich von wahltaktischen Stammtisch-
parolen nicht beeindrucken, verteidigen Sie den Kernbestand unserer demokratischen Verfassung.

München, den 29. August 1997


Münchner Lokalberichte 19 vom 12. September 1997, 10 f.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Bürgerrechte