Materialien 1997
Sparwars - the university streiks back
Seit Anfang November (in Bayern drei Wochen später) gehen in Deutschland StudentInnen auf die Straße, um sich gegen die Bildungspolitik der Bundes- und Länderregierungen zur Wehr zu setzen. Konkreter Anlass war die Vorstellung des Regierungsentwurfes zur 4. Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG).
In den 70er Jahren wurde das HRG eingeführt, als nach den studentischen Unruhen die Bundesregierung die Kontrolle über die Hochschulen mit übernehmen und durch Reglementierungen und Kontrolle „eine neuerliche Eskalation“ dieser Art verhindern wollte. Die StudentInnen wiesen damals das Gesetz als Instrument des kapitalistischen Staats zurück und im Winter 1977/78 kam es zu bundesweiten studentischen Streiks, was die Verabschiedung jedoch nicht verhinderte.
Einige „Highlights“:
- die Finanzautonomie der Hochschulen
Was ist nun eigentlich dieses HRG? Es gibt den Ländern einen groben Rahmen vor, weshalb die Auslegungen in den einzelnen Landeshochschulgesetzen ziemlich stark differieren. In seiner neuesten Fassung sollen nun einige wesentliche Veränderungen verankert sein.
Das hört sich zuerst mal ja ganz schön an, jedoch werden die sogenannten Globalhaushalte, die die Universitäten in Zukunft erhalten sollen, ihnen umfangreiche Drittmittel (z.B. von Wirtschaftsunternehmen oder Privatpersonen) nicht nur ermöglichen, sondern sie dazu zwingen. Eine finanzielle Grundausstattung soll nicht mehr, wie bisher, nach Bedarf, sondern „nach Leistung“ vergeben werden. Hochschulintern sollen aufgrund von verschiedenen Kriterien die vorhandenen Mittel verteilt werden. Zu diesen Kriterien gehören z.B. der Umfang der aquirierten Drittmittel(!) und das Verhältnis von StudienanfängerInnen zu AbsolventInnen, die das Studium in der Regelstudienzeit (welche auf 8 – 9 Semester verkürzt werden soll), abschließen.
Konsequenz davon wird unter anderem sein, dass sich aufgrund des Sinkens des staatlichen und der Erhöhung des industriellen Finanzierungsanteils auch der Einfluss der Wirtschaft auf die Studieninhalte verstärken wird.
- die (teilweise) Auswahl der StudentInnen durch die Hochschulen selbst
Im Gespräch sind hier etwa 20 Prozent. Erwähnt wird jedoch nicht, welche denn die genauen Kriterien für eine Auswahl sein sollen (Angepasstheit? politische Einstellung? Bereitschaft zu finanziellen Obuli?) und wie einer Klüngelei und Vetternwirtschaft zwischen ProfessorInnen und ihren Bekannten vorgebeugt werden soll. In England ist an manchen Unis ein Kriterium, dass die/der potentielle Studierende nicht nebenher jobben muss. Hier wird also z.B. faktisch die Auswahl nach Klassen praktiziert.
- kein Verbot von Studiengebühren
Die Vorschläge liegen zwischen 800,- und 2.000,- DM pro Semester (!). Berlin verlangt bereits eine „Einschreibegebühr“ von 100,- DM, Baden-Württemberg Studiengebühren von 1.000,- DM für „LangzeitstudentInnen“. Weitere werden folgen, auch wenn das bayerische Kultusministerium dies für Bayern bislang weit von sich weist.
Was dies für die Kinder aus einkommensschwachen Familien bedeuten wird, mag man sich im Grunde gar nicht vorstellen. Deren Anteil an den Studierendenzahlen ist in den letzten sechs Jahren sowieso bereits kontinuierlich gesunken, was unmittelbar mit dem Rückgang der BAföG-Berechtigten von 26 % auf 15 % im gleichen Zeitraum zusammenhängt. Im Moment studieren lediglich noch 15 % der Arbeiterkinder, im Gegensatz zu 48 % der Kinder von Selbständigen und 65 % der Kinder von BeamtInnen.
Auch für Studierende, die aus Ländern außerhalb der EU kommen und in Deutschland studieren wollen, würde sich ihre ohnehin prekäre Situation drastisch verschlechtern. Studierende aus Nicht-EU-Ländern müssen (zusätzlich zu mehreren anderen Hürden) bereits zu Beginn ihres Studiums eine ausreichende Finanzierung ihres Lebensunterhalts nachweisen. Manche Ausländerbehörden verlangen den Nachweis für die gesamte voraussichtliche Dauer des Studiums, was bis zu 80.000,- DM sein können! Dazu kommt zu allem Überfluss auch noch, dass eine Arbeitserlaubnis grundsätzlich nur für die Semesterferien erteilt werden kann (und sogar dann nicht muss).
Unser Ministerpräsident Herr Stoiber möchte keine Zeit verlieren und, noch bevor die geplante Novelle des HRG verabschiedet ist, auch ein entsprechendes neues bayerisches Hochschulgesetz (BHG) auf den Weg bringen.
Mit wunderschönen Schlagworten soll es den Betroffenen schmackhaft gemacht werden: „stärkere Verankerung der Hochschulen in der Gesellschaft“, „Aufbrechen der in Jahrzehnten verkrusteten internen Strukturen“, „Ermöglichen eines schnelleren Abschlusses des Studiums“, etc.
Was sich dahinter unter anderem verbirgt:
- die Einrichtung eines sogenannten Hochschulrates
Dieses Gremium sollte nach dem Plan der bayerischen Landesregierung aus fünf Personen bestehen, von denen drei aus der „Wirtschaft und beruflichen Praxis“ und zwei externe Vertreter aus der Wissenschaft sein sollen. In der neuesten Version soll nun, wie es ursprünglich auch vorgesehen war, der Rektor der Hochschule ebenfalls stimmberechtigtes Mitglied des Hochschulrates sein. Die Schaffung dieses neuen Gremiums geht einher mit der faktischen Entmachtung des akademischen Senats, der bisher die zentralen Kompetenzen im Bezug auf die Entwicklungsplanung, die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen und die Bildung von Schwerpunkten der Forschung besaß. Der Hochschulrat soll in all diesen Fragen zukünftig weitreichenden Einfluss erhalten und durch ein Vetorecht ermächtigt werden, alle ihm unliebsamen Entscheidungen zu stoppen. Außerdem soll er „bei Grundsatzfragen und Schwerpunkten des Haushaltsvollzugs“ mitwirken. Wenn „Vertreter aus Wirtschaft und beruflicher Praxis“ einen solch großen Einfluss in all diesen Punkten erhalten, kann man sich leicht ausmalen, wie diese künftigen Schwerpunkte gelagert sein werden.
- die Einführung von verpflichtenden Zwischenprüfungen für sämtliche Studiengänge nach dem vierten Semester
Die Verschiebung um ein Semester soll nur in absoluten Ausnahmefällen genehmigt werden. Dabei wird in keiner Weise der Tatsache Rechnung getragen, dass laut einer Studie des Studentenwerkes derzeit 64 % aller Studierenden dazu gezwungen sind, sich ihr Studium ganz oder teilweise selbst zu finanzieren und deshalb arbeiten müssen.
Die logische Konsequenz, dass man/frau sich nicht sieben Tage in der Woche dem Studium widmen kann, wird ausgeblendet. Ebenso die schlechten äußeren Studienbedingungen (überfüllte Seminare, fehlende Bücher, kurze Öffnungszeiten von Bibliotheken etc.), die es Studierenden in vielen Studiengängen nicht ermöglichen, manche Kurse, die eigentlich für das erste Semester gedacht sind, vor dem dritten oder vierten Semester zu besuchen.
- die Exmatrikulation von berufstätigen, „missbräuchlich“ immatrikulierten Studierenden
Was das genau heißen soll, dafür gibt es keine bindenden Richtlinien. Fakt ist aber, dass damit der Tendenz Vorschub geleistet wird, diejenigen StudentInnen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, systematisch vom Studium auszuschließen. Nur Kinder reicher Eltern werden sich in Zukunft ein Studium noch leisten können.
Gegen all diese geplanten „Neuerungen“ und mehr protestieren nun seit mehreren Wochen bundesweit 700.000 Studierende an über 100 Hochschulen. Über ihre Aktivitäten, inhaltlichen Diskussionen und Forderungen wurde häufig nur marginal berichtet oder die Fakten verzerrt dargestellt. Sind wir von den Medien ja eigentlich auch so gewöhnt. Nun wurde an die StudentInnen immer häufiger der Vorwurf herangetragen, ihre Proteste und Forderungen seien „unpolitisch“. Zuerst einmal stellt sich hier überhaupt die Frage, wer das denn überhaupt sein soll: „die StudentInnen“. Eine homogene Masse bestimmt nicht. Da reicht das Spektrum von KommunistInnen (auch die gibt’s immer noch!) über links Angehauchte und Liberale bis hin zu Konservativen, Burschenschaftlern und FaschistInnen. Da stehen also logischerweise solche, die wirklich nur „mehr Bücher“ wollen, neben anderen, die über ihren Tellerrand hinauszublicken durchaus fähig sind und einen Zusammenhang herstellen zwischen der Kahlschlagpolitik im Bildungsbereich und der in anderen Bereichen, der immer weiter steigenden Arbeitslosigkeit, der rassistische Ausländerpolitik. Die das ganze in einen Kontext von fünfzehn Jahren neoliberaler Politik stellen.
Natürlich gibt es einiges zu kritisieren an der studentischen Bewegung. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass über die ursprüngliche Forderung vieler „Wir wollen mehr Geld!“ durchaus oft ein Blick für die Zusammenhänge entsteht. Das kann beginnen mit der Erkenntnis, dass eigentlich genug Geld da wäre, was die Frage aufwirft, wie und wofür es verwendet wird. Auch wenn die konkreten Forderungen der Studierenden wohl nicht erfüllt werden und sich viele von ihnen wieder der Jagd nach Scheinen zuwenden sollten, bleiben mit Sicherheit trotzdem einige, deren Blick sich in diesem studentischen Streik geschärft hat. Vielleicht ein wichtiger Schritt in die Richtung einer Zusammenarbeit all jener kritisch denkenden Menschen, denen dieser Standort Deutschland (dessen Notwendigkeit uns allen immer so eindringlich vor Augen gehalten wird) auch nicht gefällt und für die „soziale Gerechtigkeit“ nicht nur ein Begriff aus einem Märchenbuch von anno dazumal ist.
Ein Nachtrag:
Über die Weihnachtferien wurde der Streik an den meisten Hochschulen ausgesetzt. (Was aber hoffentlich bedeutet, dass die StudentInnen und SchülerInnen und noch viele andere ihre Kräfte sammeln, um die Proteste fortzusetzen und dabei nicht mehr ganz so nett zu sein …)
almut
Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 47 vom Januar 1998, 9 ff.