Materialien 1999
Telefonsex mit Steuergeld
Wie sich der Abgeordnete Hans Wallner als „Jonny“ entspannte
Die Vorstellung von der parlamentarischen Volksvertretung als edle Auslese des Volkes ist eine alte Illusion. Kaum ein Parlament der Welt, in das nicht auch schräge Typen gelangt sind; das bayerische macht da keine Ausnahme. Schon Ludwig Thoma hatte sich – „saprament“ – lustig gemacht über „Bayerns neues Parlament“ und über die „Moral“ mancher Mandatsträger. Unge-
zählt sind die Aufhebungen der Immunität, noch zahlreicher wohl die Verstöße von Gesetzgebern ziemlich aller Parteien gegen Gesetze aller Art, gegen die Zehn Gebote oder den ungeschriebenen Sittenkodex. Logisch, dass auch letztmögliche Laster auf der Tagesordnung standen, zum Beispiel
Hans Wallner, geboren 16. Juni 1950, selbst. Kaufmann aus Mietraching/Deggendorf, christlich-sozialer Abgeordneter, war ein typischer Hinterbänkler. So gut wie nie meldete er sich zu Wort im bayerischen Landtag, dem er seit 1986 angehörte. Doch er hatte ja ein Telefon in seinem Büro. So wählte er einfach, wenn es ihm zu langweilig wurde im Hohen Haus, über die Servicenummer 019 eine Vermittlung für Damenkontakte und landete in der Regel beim „Fanny Hill Club“. Dort kann-
te man ihn als „Jonny“. (Die von John Cleveland im 18.Jahrhundert geschriebenen Memoiren des Freudenmädchens Fanny Hill hat ein Münchner Gericht noch 1970 für unzüchtig befunden1 , aber inzwischen war man auch in Bayern freizügiger geworden).
Bei den oft stundenlangen Telefonaten ging es dem Mann im Maximilianeum beileibe nicht nur um billigen Sex. Offenbar suchte er mehr, nämlich Selbstdarstellung und ein bisschen Entspan-
nung vom parlamentarischen Stress. Den jungen Damen gegenüber, die gewiss Schärferes gewohnt waren, gab er sich als dynamischer, erfolgreicher Geschäftsmann aus; er vermarkte eine Praline-
marke und betreibe Politik als „Nebenjob“. Braungebrannt und schlank sei er, wenn auch „mit kleinem Bierbauch“.
Ein banales Geplauder also, ganz privat und nicht verboten. Dem Jonny Wallner wäre auch nichts passiert, wenn er seine Eskapaden nicht vom Dienstapparat aus geführt hätte und die Rechnungen dem Landtagsamt nicht aufgefallen wären. Innerhalb von drei Monaten, so wurde festgestellt, hatte er seit dem 10. Oktober 1996 nicht weniger als 405 solcher Telefongespräche geführt. Kosten: 27.000 Mark – zu Lasten des Steuerzahlers. Erst als der Landtagspräsident vertraulich ein ernstes Wort mit ihm sprach, hörten die Anrufe auf.
Wegen Betrugs bekam der Niederbayer einen Strafbefehl: neun Monate Haft auf Bewährung und Rückzahlung der diesbezüglichen Telefonkosten. Er legte Einspruch ein, das war sein zweiter Feh-
ler. Anfang 1999 kam der Fall peinlicherweise in die Öffentlichkeit: Wallner wurde vom Staatsan-
walt beschuldigt, seine Flirtpartnerinnen wurden in den Zeugenstand gerufen. Sieben Monate dauerte der Prozess, es war einer der längsten des Münchner Amtsgerichts.
Und abermals machte er einen Fehler nach dem anderen: Die Richterin, die vergeblich an sein Schamgefühl appellierte, pöbelte der Provinzler an: „Die Frau hat Schwierigkeiten mit der Wahr-
heit.“ Die hatte er offenbar selbst, denn er beharrte auf der Behauptung, nie ein Gespräch auf der Hotline von seinem Dienstapparat aus geführt zu haben – da müsse wohl ein Hacker den Compu-
ter manipuliert haben.
Im Verlauf der zweiundzwanzig Verhandlungstage fiel der Richterin gelegentlich eine gewisse Ähnlichkeit ihres Angeklagten mit dem von Ludwig Thoma erfundenen Josef Filser auf. Wie jener Abgeordnete aus Mietraching so neigte der Abgeordnete aus Mingharting zu „geschlächtlingen Abendeiern“ in der „Grosschtadt“ München. Und wie sein Vorgänger Filser konnte Wallner froh sein, dass seine Abenteuer nicht von politischen Gegnern ausgeschlachtet wurden, „den wen es fileicht ein Lüberaler gesbant hätte oder fileicht ein Sotsi, were es fier die Bardei ein Plamaschi gewessen und kein Mentsch weis es nicht, was fier bolidische Volgen daderaus komen.“
Josef Filser wollte seine Schuld nicht bekennen, weil ihm das der „Heilige Joseph“ verboten habe. Jener Heilige erschien der Amtsrichterin immerhin noch „logischer als der Hacker, den Herr Wall-
ner behauptet“. Nach Anhören von achtundzwanzig Zeugen verurteilte sie den „uneinsichtigen und hartleibigen“ Angeklagten wegen fortgesetzten Betrugs zu einem Jahr auf Bewährung sowie Rück-
zahlung von 27.000 Mark und 20.000 Mark Bußgeld für ein Sterbehospiz.
Die „bolidischen Volgen“ blieben nicht aus. Die CSU ließ ihren Mann, der noch einmal für den Bayerischen Wald kandidieren wollte, kommentarlos fallen. Das war aber noch keineswegs der letzte Akt im weißblauen Polit-Komödienstadl. Im Berufungsverfahren, bei dem Wallner einen Journalisten verprügelte, wurde das Urteil bestätigt. Im Juni 1999 bekam er noch einen Strafbefehl über 8.000 Mark, weil er auf der Autobahn ein Wohnmobil gerammt und den Fahrer als „Stadt-
brunzer“ beschimpft hatte.
Und dann wurden auch noch seine fünf Deggendorfer Spezln zu je 1.000 Euro und zweihundert Stunden Sozialarbeit verdonnert, weil sie in der Telefonaffäre ein falsches Alibi geliefert hatten: Sie wollten mit dem Hans, in einer fraglichen Zeit auf dem Nockherberg fröhlich gezecht haben.2 Auch in diesem Nebenprozess ging Wallner, hier nur Zeuge, auf einen Pressefotografen los, bezeichnete ihn als „Arschloch“ und musste von acht Wachtmeistern überwältigt werden.
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1 Karl Stankiewitz, Münchner Sittenbuch, 2007.
2 Der Salvatorkeller auf dem Nockherberg brannte am 27. November 1999 bis auf die Grundmauern nieder; die Ursache wurde nicht geklärt.
Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 270 f.