Materialien 2000

Bleiberecht für traumatisierte Flüchtlinge

Frau K. ist 31 Jahre alt. In einem Gutachten (Gesundheitszeugnis) vom Sommer 1999 wird von seiten des Gesundheitsamtes festgestellt: Bei Frau K. liegt ein depressives Syndrom vor … mit nachfolgenden Diagnosen: Reaktive Depression, welche im Zusammenhang mit der drohenden Ausreise steht; Restsymptomatik einer posttraumatischen kriegsbedingten Belastungsstörung nach Vergewaltigung … in Form von Alpträumen und Schlafstörungen und Suizidideen.

Wie geht das Kreisverwaltungsreferat mit diesem Gutachten um? Im Januar 2000 schreibt das Kreisverwaltungsreferat an den Anwalt dieser Frau:

Sollte die Suizidgefährdung bzw. geäußerte Selbstmordabsichten nicht von einer psychischen Erkrankung herrühren, die die freie Willenssteuerung des Antragstellers ausschließt, ist die Ausländerbehörde auch nicht gehalten, die vorgebrachte Suizidgefährdung bzw. Suiziddrohung entscheidungserheblich zu berücksichtigen … Im Falle ihrer Mandantin liegt somit gar kein Duldungsgrund … vor … Selbst wenn der Spielraum für die Eröffnung eines behördlichen Ermessens (bei Vorliegen einer akuten entsprechenden Erkrankung) vorliegen würde, würde das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung Ihrer Mandantin deren privates Interesse am Verbleiben im Bundesgebiet überwiegen … Wenn nun bei Ihrer Mandantin unmittelbar vor einer zwangsweisen Rückführung aufgrund der Umstände die Erkrankung reaktiviert werden sollte, könnte ein Ausschluß der Willenssteuerungsfähigkeit dazu führen, daß dann ein Duldungsgrund … in Betracht käme. Dies ist jedoch aufgrund der von der Ausländerbehörde zu treffenden Vorkehrungen nicht der Fall.

Die Ausländerbehörde wird durch eine lückenlose Überwachung vor und während der Abschiebung jede Gefahr ausschließen und dafür sorgen, daß Ihre Mandantin bei der Ankunft im Heimatland von den dortigen Behörden in Obhut genommen wird … Bei einer Abschiebung kann die Ausländerbehörde sicherstellen, daß bereits während der Abschiebehaft eine entsprechende   Überwachung erfolgt … Für die von Ihnen angesprochene Suizidgefahr vor einer Ausreise, d.h. vor Beginn der eigentlichen Abschiebung, kann festgestellt werden, daß die Ausländerbehörde selbstverständlich Maßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz einleiten wird, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine akute, d.h. jetzt drohende konkrete Suizidgefahr vorliegen.

Sollten Sie als bevollmächtigter Anwalt und Vertrauensperson Ihrer Mandantin der Ansicht sein, daß ihre Mandantin sofort zum Schutze vor Selbst- oder Fremdgefährdung eine stationäre Behandlung benötigt, so bitten wie Sie dies zu veranlassen. Für diesen Fall werden Sie jedoch darauf hingewiesen, daß die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht (Abschiebung) … durchgeführt werden kann und wird.

Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um die zwangsweise Durchsetzung der Abschiebung eines Schwerverbrechers, sondern um die Abschiebung einer traumatisierten, mehrfach vergewaltigten, suizidgefährdeten Frau.

Wie verhält sich das Gesundheitsamt?

Die ÄrztInnen des Gesundheitsamtes der Landeshauptstadt München verhalten sich so, wie es ihre ärztliche Ethik gebietet. Aus einem Schreiben vom 30. März 2000 an das Kreisverwaltungsreferat: Eine ausschließliche Stellungnahme zur körperlichen Reisefähigkeit bei Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung ist nach unserer Meinung mit der ärztlichen Ethik nicht vereinbar. Durch zähen Widerstand der ÄrztInnen des Gesundheitsamtes konnten diese durchsetzen, daß alle Gutachten jeweils auch eine gutachterliche Stellungnahme zur psychischen Situation eines Untersuchten enthalten.

Das Kreisverwaltungsreferat ist somit verantwortlich für die Umsetzung.

Das Kreisverwaltungsreferat erweckt in der Öffentlichkeit den Anschein eines sozialen und humanen Vollzuges. In der Antwort auf die Anfrage unserer Fraktion bezüglich der Abschiebung von Traumatisierten heißt es dort u.a. (Antwort auf Anfrage vom 3. April 2000, S. 2): Die Ausländerbehörde München war während der gesamten Dauer der Rückführung darauf bedacht, notwendige Entscheidungen mit Augenmaß und mit der gebotenen Sensibilität für die jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles zu treffen. Diese Vorgehensweise ist selbstverständlich in besonderem Maße bei der Rückführung der Traumatisierten angezeigt. Das Kreisverwaltungsreferat beschönigt die derzeitig laufende brutale Abschiebepraxis der Innenminister – und behandelt traumatisierte Menschen wie Schwerverbrecher.

Forderungen:

1. Die Abschiebung von traumatisierten Flüchtlingen muß an hohe Voraussetzungen geknüpft werden.

2. Gutachten von kompetenter Stelle über den psychischen Gesundheitszustand eines Flüchtlings müssen berücksichtigt und als Abschiebehindernisse anerkannt werden.

3. Traumatisierte brauchen einen gesicherten Aufenthalt.

4. Anerkennen, daß es Personengruppen gibt, die nicht abgeschoben werden können.

Siegfried Benker
12. Mai 2000


www.siegfried-benker.de.

Überraschung

Jahr: 2000
Bereich: Flüchtlinge

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