Materialien 2000
WON: Alles eine Frage des Charakters
„Hey, laß uns morgen treffen – bin kein Cop – würde dich gerne kennen lernen.“ Zwölf Worte, ohne die WON das Ticket für den ultimativen Trip in die Welt der bunten Bilder vielleicht vorzeitig wieder storniert hätte. Was soll man machen, wenn man 1983 von „Wild Style“ geflasht, auf der Suche nach anderen HipHop-Begeisterten an dem Umstand zu scheitern droht, in einem Münchner Vorort leben zu müssen?
Doch jene zwölf Wörter, die er in Ottobrunn neben ein illegales Piece von Scout sprühte, retteten WON aus der Vorort-Hölle, der erste Kontakt war geknüpft.
1987 lernte der damals 20-jährige schließlich Cowboy 69 kennen, gemeinsam gründeten sie die ABC-Crew, der u. a. Dare, Rebel, Show, Vince, Shame, Gawky, Crash, Cash, Gjeli, Maroc, Craze, Zope, Mosart und Chromz (R.I.P.) angehör(t)en. WON spezialisierte sich auf figürliche Elemente, die zusammen mit Cowboys Upfront Styles so manche synapsen-burnende Ehe eingingen. Vom Vorort-Vandalen zu Deutschlands Charakter-King und BGS’ most wanted: eine Karriere zwischen Kunst und Knast.
Es muss für Markus Müller eine ungeheure Genugtuung gewesen sein: Als meistgesuchter Trainbomber beim Münchner BGS gestaltete er im Januar 1995 in aller Ruhe unter den Augen der Öffentlichkeit als Auftragsarbeit die Außenfassade der Stadtwerke München. Doch nur drei Monate später waren es die Cops, die zuletzt lachten: nach sechs-jähriger Fahndungszeit fanden sie bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung seiner Freundin (!) extrem belastendes Beweismaterial. Im Juni 1996 wurde Markus Müller schließlich nach einem zweifelhaften Schauprozess aufgrund von Indizien zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe (ausgesetzt auf drei Jahre) und zur Zahlung von 20.000,- DM Schadensersatz in sechs Fällen illegalen Trainbombings verurteilt (ursprüngliche Forderung der Deutschen Bahn: 120.000,- DM).
Doch all dies konnte Deutschlands Charakter-King nicht mürbe machen. Hinzu kommt, dass der von der Polizei initiierte Medienrummel um seine Person nicht die erwünschte Abschreckungswirkung gezeigt hat, sondern genau das Gegenteil:
Fame galore für den Drachenreiter!
Gut gewählt also der Zeitpunkt, zu dem WON nun nach fünf jähriger Schaffensphase sein Comic-Debüt „Colour Kamikaze“ bei der renommierten Edition Kunst der Comics (einer ebenfalls von staatlicher Zensur-Willkür übel mitgespielten Kultinstitution) veröffentlicht.
Markus Wernet; „JUICE“, 8/1999
Institut für Kunst und Forschung (Hg.), Unmögliche Kunst. Eine im Auftrag der Grünen Landtagsfraktion gestaltete Ausstellung vom 24. Januar bis 16. Februar 2001 im Bayerischen Landtag über das, was man sich heutzutage im Freistaat von Künstlern alles gefallen lassen muss, mit einem Geleitwort von Sepp Dürr und Texten von Jürgen Arnold und Gerd Holzheimer, München 2000, 64.