Materialien 2002

Wehrmachts-Ausstellung

Gegenstandslose Ausstellung

Fast drei Jahre tourte Jan Philipp Reemtsmas Ausstellung über „Verbrechen der Wehrmacht“ durch Deutschland und Österreich. 18 Millionen Wehrmachtsoldaten, dies die schlichte These der Bilder-Schau, seien im Grunde samt und sonders Akteure des Holocaust gewesen. Die kriminalisierte Kriegsgeneration protestierte empört. Es half nichts. Kritiker wurden als moralisch fragwürdig und „ewig gestrig“ abgetan. Historiker, die es hätten besser wissen müssen, schwiegen lieber oder nickten freundlich. Rathäuser großer Städte öffneten der propagandistischen Bilder-Show ihre Tore. Oberbürgermeister und Verfassungsrichterinnen hielten politisch korrekte Eröffnungsreden. Besucherrekorde, erregte Debatten auf den Straßen. Dann das Fiasko: Im Oktober 1999 bewies der polnische Historiker Bogdan Musial, dass einige Bilder nicht nationalsozialistische, sondern sowjetische Massenmorde zeigten. Hannes Heer, Leiter der Ausstellung und ehemaliges DKP-Mitglied, hatte schlampig gearbeitet, die Schau wurde geschlossen.

Jetzt zieht die „überarbeitete“ Ausstellung durch das Land. Aus der Bilder-Show ist eine schwierige, differenziertere Lese-Ausstellung geworden. Die Aussteller geben es nicht zu, aber im Grunde bestätigen sie alle Kritiker. Nur mit den „Dimensionen des Vernichtungskrieges“ kommen sie immer noch nicht zurecht. Denn auch die neue Ausstellung hält an der pauschalen These von den „Verbrechen der Wehrmacht“ fest. Aber es ist weitgehend gesichert, dass weniger als ein Prozent der Wehrmachtsoldaten am Völkermord beteiligt waren. Über 99 Prozent waren einfach nur Soldaten und selber Opfer von Hitlers Größenwahn. Vom militärischen Widerstand gegen Hitler ist jetzt immerhin die Rede. Aber dass vor allem das Entsetzen über den Völkermord im Osten viele Offiziere des 20. Juli zum Widerstand geführt hatte, wird wieder verschwiegen. Kein Wunder: Dann wär der Propaganda-Titel hinfällig und die ganze Ausstellung gegenstandslos.

Zweifel angebracht

Wer die Wehrmachts-Ausstellung verstehen will, muss vor allem deren Initiator Jan Philip Reemtsma verstehen. Vor 17 Jahren hat er einmal über sein Verhältnis zum eigenen Land geschrieben.

Schlechte Geschichtslehrer reden von Vergangenheitsbewältigung und meinen doch immer nur die Gegenwart. Jan Philipp Reemtsma und seine „Wehrmachtsausstellung“, die in „überarbeiteter“ Form jetzt wieder in München zu sehen ist (bis zum 24. November), sind dafür ein Beispiel. Vor längerer Zeit, 1985, hat Reemtsma schon einmal über Deutschland geredet und dabei tief blicken lassen. Zusammen mit drei Dutzend bundesrepublikanischen Geistesgrößen hatte er sich die Frage stellen lassen: „Lieben Sie Deutschland?“

Reemtsma antwortete heftig. Die einzig ernsthafte Reaktion, meinte er, müsste die Gegenfrage sein: „Halten Sie mich für nekrophil?“ Deutschland muss sterben, damit wir leben können so lautete Mitte der achtziger Jahre ein oft zu lesendes Autonomen-Graffito. Reemtsma war schon weiter, erklärte Deutschland für tot und rief seinen Lesern ins Gedächtnis, „dass genauso wenig, wie es vor 1871 ein Deutschland gegeben hat, es nach 1945 eines gibt, wir also heute 40 Jahre post mortem leben“. Die Wiedervereinigung, die damals noch in der Präambel des Grundgesetzes stand, bezeichnete er als „perversen Verfassungsauftrag“.

Reemtsma zitierte Karl Kraus und Christoph Martin Wieland. Alles klang furchtbar gescheit. Nur mit der Wirklichkeit hatte es nichts zu tun. Leicht vorzustellen, wie der „leidlich vernunftbegabte Mensch“ Reemtsma es empfunden haben muss, als 1990 die „Perversion“ doch Realität wurde: als persönliche, intellektuelle Kränkung.

Das war es auch, verdientermaßen. Ob er inzwischen die Kränkung überwunden und den Irrtum eingesehen hat? Dafür spricht wenig, am allerwenigsten seine Wehrmachts-Ausstellung. Es ist also erlaubt, über Reemtsmas intellektuelle Eignung zum Geschichtslehrer nachzudenken. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat sie in einem Interview einmal in Zweifel gezogen: „Es gibt Leute, die einen gewissen autosuggestiven Masochismus gegenüber dem eigenen Land für ihre Aufgabe halten. Dazu gehört Hannes Heer, dazu gehört Jan Philipp Reemtsma. Die gibt es in jedem Land. Die muss man ertragen.“

Heinrich Maetzke


Bayernkurier 41 vom 10.Oktober 2002.

Überraschung

Jahr: 2002
Bereich: Gedenken