Materialien 2002

Steinhausen unter Druck

Es ist ein sonniger Tag Mitte Mai, und die Fahnen am Eingang zum Druckzentrum des Süd-
deutschen Verlags (SV) in München-Steinhausen flattern leise im Wind. Ein ruhiger Dienstag-
nachmittag. Zu ruhig. Zwei Arbeiter haben sich am Haupttor postiert, stündlich werden sie abgelöst. Hier ist kein Durchkommen mehr: Warnstreiks im bayerischen Druckgewerbe.

Leopold Ferdus, einer der Streikenden, ist seit mehr als 32 Jahren im Druckzentrum beschäftigt. Und obwohl er in 14 Tagen in Rente gehen wird, zeigt er sich solidarisch und setzt sich zusammen mit Peter Seuftl, einem Maschinenführer, für die Sache der Drucker ein. „Durch die Schichtarbeit ist kein geregeltes Leben mehr möglich“, klagt Ferdus. „Da muss wenigstens ein angemessener Lohn für Ausgleich sorgen.“ Ein Plus von 6,5 Prozent für zwölf Monate Laufzeit fordert die Dienst-
leistungsgewerkschaft ver.di und ruft deshalb auch die rund 750 Beschäftigten des SV-Druckzen-
trums wiederholt zum Warnstreik auf.

Dem Ausstand zum Trotz rotieren allerdings auch an diesem Tag in Steinhausen die Druckma-
schinen. „Die Schichtführer und die Abteilung Zeitungsrotation übernehmen die Arbeit von den Helfern und Druckern. Den Versand regeln die Versand-Schichtführer und vor allem Abrufkräfte, die nicht zum regulären Arbeiterstamm gehören“, erklären die Streikposten. In den Innenhof des Geländes schlendern immer mehr Arbeiter, die es sich unter dem aufgestellten Pavillon auf Bier-
bänken gemütlich machen. Die Stimmung ist ausgelassen, Bier und Grillwürste schmecken – aber auch der Grimm ist spürbar. Viele haben an ihre Hemden Buttons mit der Aufschrift „Ich bin stolz, kein Streikbrecher zu sein!“ gepinnt. Wie wird die Süddeutsche Zeitung, die ab 18 Uhr in Druck geht, aussehen? „Dünner, mit einer etwas verringerten Farbigkeit. Auch das Layout wird einfacher sein“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Adalbert Schmid. Aufmerksame Leser werden am nächsten Tag auf der SZ-Titelseite folgenden Hinweis finden: „Ein Warnstreik in der Druckindustrie hat die Produktion der Süddeutschen Zeitung beeinträchtigt. Deshalb erscheint diese Ausgabe nicht mit dem ursprünglich geplanten Umfang und nicht mit der gewohnten Glie-
derung und Aktualität. Wir bitten unsere Leser und Anzeigenkunden um Verständnis.“ Ähnliche Meldungen finden sich auch an den folgenden Tagen.

Zähe Verhandlungen

Die Arbeitgeber halten sich währenddessen bedeckt. An der Pforte am Haupteingang ist für Journalisten Endstation. Auch telefonisch ist der Geschäftsführer des SV-Druckzentrums, Rein-
hard Lorch, zu keiner Stellungnahme bereit. Der Bundesverband Druck und Medien weist die Forderungen der Arbeitnehmer als „drastisch zu hoch“ zurück, ist dem Internet zu entnehmen.

Acht Tage später ist alles vorbei. Nach sieben zähen Verhandlungsrunden haben sich die Ge-
werkschafter von ver.di und die Druck-Arbeitgeber in Frankfurt am Main geeinigt. Die 220.000 Beschäftigten der Druckindustrie bekommen rückwirkend zum 1. Mai 3,4 Prozent mehr Lohn
und Gehalt sowie eine Einmalzahlung von 43 Euro für April. Auch die Beschäftigten des SV-
Druckzentrums haben in den nächsten zwölf Monaten mehr Geld im Portemonnaie. Nur Leopold Ferdus nicht. Der ist jetzt Rentner.

Sibylle Endres


MünchnerUni Magazin. Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München 3/2002, 22.