Materialien 2004

Kollateralschäden?

Ausschweifende Ermittlungs- und Beschlagnahmetätigkeit gegen die Rote Hilfe trifft Bürogemeinschaft in der Schwanthalerstraße 139

Die Rote Hilfe gehört der Bürogemeinschaft im Rückgebäude der Schwanthalerstraße 139 an. Sie benutzt die Adresse ausschließlich zur Entgegennahme von Post.

Als Büro verwenden diese Räume der Kurt Eisner Verein für politische Bildung, Kooperationspartner der PDS-parteinahen Rosa Luxemburg Stiftung, das Kulturprojekt Station 2, und der GNN-Verlag, der dort ein kleines Rechnernetzwerk unterhält. Einer der Rechner wird exklusiv vom Kurt-Eisner-Verein genutzt, der andere exklusiv von der Redaktion der Münchner Lokalberichte. Der Server wird vom GNN-Verlag betreut.

Diese drei Rechner wurden am 8.12. wegen der durch die Postadresse gegebenen Zuordnung zur Roten Hilfe beschlagnahmt. Die Polizei will erforschen lassen, ob die Geräte in dem von ihr untersuchten Internet-Betrugshandel eine Rolle spielten. Wegen einer so abwegigen Vermutung wird die Arbeit des Kurt-Eisner-Vereins und der Münchner Lokalberichte schwer behindert, von der brutalen Verletzung der Pressefreiheit gar nicht zu reden.

Nach Protesten und anwaltlichen Einwänden will die Polizei die Beschlagnahme jetzt gerichtlich bestätigen lassen. Sollte sich dazu ein Richter bereit finden, sollen die Geräte so lange untersucht werden, bis feststeht, dass sie mit dem Betrugshandel, um den es angeblich geht, nichts zu tun haben. Das würde dann noch Monate dauern.

Kann ein erfahrener Ermittlungsbeamter für wahrscheinlich halten, dass politische und kulturelle Projekte, die seit vielen Jahren der Beobachtung und oft auch der Repression durch Staatsorgane ausgesetzt sind, gleichsam unter den Augen von Geheimdienst und Polizei, im Bewusstsein, dass ihre Telefonate routinemäßig abgehört werden, ihre Post gelesen und ihr Datenverkehr kontrolliert wird, einen betrügerischen Handel mit gefälschten Luxusuhren aufziehen und zwar unter Benutzung eines Spendenkontos der Roten Hilfe?

Beamte können so ausgesuchten Schnapsideen nur dann zeitintensiv nachgehen, wenn es von oben gewünscht wird. Sie hätten sonst die Ressourcen nicht. Irgendwer oder -was regt die Aktion an, setzt Ermittler in Bewegung, beeindruckt Staatsanwälte und Richter.

Zu welchem Ziel? Wer soll das wissen … Die Folgen sind jedoch glasklar. Der Ruf der Roten Hilfe in der Öffentlichkeit wird geschädigt. Mit brutaler Deutlichkeit des Faktischen wird außerdem klar gemacht, dass Zusammenarbeit mit der Roten Hilfe Unannehmlichkeiten bringt. Am Standort München zeigt die Polizei im Vorfeld der Sicherheitskonferenz den Knüppel.

Wenn das Kollateralschäden bei einer Ermittlung wegen des Versuchs, Uhrenimitate zu verhökern, sind, dann übersteigen sie jedes Maß. Wären die Nebenwirkungen aber der insgeheim verfolgte Zweck, würde versucht, politische Repression unter dem Vorwand kriminalistischer Ermittlungen zu üben.

So wie man nach dem berühmten Beispiel am Ticken einer Uhr manch Zutreffendes über ihre innere Mechanik sagen kann, wird der weitere Lauf genauere Schlüsse ermöglichen. Wird die Beschlagnahme gerichtsfest sein? Werden die Ermittlungen zu einer Anklage führen? Wir berichten weiter.

Wir wünschen unsern Leserinnen und Lesern trotzdem ein schönes neues Jahr.

Für die Redaktion der mlb, Martin Fochler


Münchner Lokalberichte 26 vom 23. Dezember 2004, 5.

Überraschung

Jahr: 2004
Bereich: Bürgerrechte