Materialien 2004
Camping auf dem Stachus
Die Karawane München beteiligt sich am 31. Januar mit einer Performance an einem europaweiten Aktionstag gegen Lager. Vor dem Flüchtlingslager am Schwankhardtweg wird dem Lagerleiter Pe-
ter Vogt symbolisch die Rote Karte gezeigt, weil er die Flüchtlinge bespitzelt und schikaniert.
Im März ist eine Abschiebe-Anhörung im Flüchtlingslager Tischlerstraße angesetzt – diesmal mit der Botschaft von Algerien. Ungefähr 100 AlgerierInnen erscheinen zu dem Termin, viele von ihnen werden mit Gefangenentransportern zwangsvorgeführt. Das kleine Grüppchen protestieren-
der KarawanistInnen kann nicht viel mehr tun, als dem unwürdigen Spektakel wütend zuzusehen. Immerhin entscheiden sich einige wenige der Vorgeladenen spontan, die Anhörung zu boykottie-
ren.
Im Oktober organisiert die „Zentrale Rückführungsstelle Süd“ wieder eine Abschiebeanhörung mit der nigerianischen Botschaft. Da die meisten Flüchtlinge den eigentlichen Zweck der Vorführung nicht kennen, startet die Karawane wieder eine Aktion, um sie aufzuklären. Am Ort der Abschiebe-
anhörung wird eine Kundgebung abgehalten. Karawane-AktivistInnen verteilen Flugblätter, span-
nen Transparente auf und sprechen direkt mit Flüchtlingen. Die Aktion verläuft erfolgreich, am Ende verweigern viele der afrikanischen Flüchtlinge ihre Mitwirkung. Diese Aktion macht die Ka-
rawane unter nigerianischen Asylsuchenden bekannt, einige schließen sich an, um künftig gemein-
sam für ihre Rechte zu kämpfen.
Vom 7. bis 9. Mai beherbergt die Karawane in den Räumen der Uni München das Antirassistische Forum. Drei Tage lang wird zwischen AktivistInnen der verschiedenen antirassistischen Strömun-
gen, Flüchtlings- und MigrantInnen-Organisationen, Initiativen medizinischer Unterstützung Ille-
galisierter, Kampagnen gegen Abschiebung und Lager, für Legalisierung… heftig diskutiert – und zum Teil auch gestritten.
Im Frühjahr 2004 spitzt sich die Abschiebe-Drohung gegen viele Flüchtlinge in München und an-
deren Städten dramatisch zu. Betroffen sind auch zahlreiche TogoerInnen, die schon länger mit der Karawane zu tun hatten, und jahrelang im prekären Duldungsstatus gelebt hatten. Viele ihrer Kinder sind in München geboren und aufgewachsen. Gerade die praktische Verhinderung von Ab-
schiebungen hat bereits stark zum Bekanntheitsgrad der Karawane unter Flüchtlingen in München beigetragen. Die TogoerInnen, vor allem die Aktivistinnen der togoischen Frauenvereinigung "AFTA“ (Association des Femmes Togolaises en Allemagne), sehen in der Karawane eine geeignete Plattform, um gemeinsam eine breit angelegte Kampagne für ein Bleiberecht zu starten – trotz der expliziten Warnungen seitens der Ausländerbehörde, sich nicht mit der Karawane einzulassen. Organisiert werden Pressekonferenzen und Solidaritätsaufrufe an Schulen und Kindergärten. Vom 19. bis 23. Juni 2004 wird fast eine Woche lang in der Innenstadt Münchens auf dem Stachus ge-
campt – zeitgleich mit einem Hungerstreik togoischer und kamerunischer Karawane-AktivistInnen in Berlin. Es folgt ein Protestzug vor das bayerische Innenministerium und das Kreisverwaltungs-
referat. Die Kampagne ist ein großer Erfolg: Nicht nur die Beteiligten, sondern auch zahlreiche an-
dere Flüchtlingsfamilien aus München bekommen ein Bleiberecht. Es zeigen sich jedoch auch die Grenzen derartiger Kampagnen, denn für allein stehende Erwachsene ist es deutlich schwieriger, eine derartig breite Solidarität zu mobilisieren.
Für die meisten der Flüchtlinge aus Togo nimmt 2004 der angstvolle Sommer 2004 ein gutes En-
de, aber leider nicht für die AFTA-Aktivistin Koulou Kouloubia. Für sie wird im September der Antrag auf Abschiebeschutz abgewiesen und die Verlängerung der Duldung verweigert. Frau Kou-
loubia muss untertauchen. In einem mutigen Schritt entschließt sie sich zur Teilnahme an einer Karawane-Pressekonferenz und spricht öffentlich über ihre Situation als Illegalisierte. Durch Ver-
rat fliegt ihr Versteck auf, sie wird verhaftet und in Abschiebehaft genommen. Da sie selbst keine Zukunft mehr für sich in Deutschland sieht, verzichtet die Karawane auf eine Verhinderung der Abschiebung. Stattdessen wird bei einer Solidaritätsparty Geld gesammelt, um Frau Kouloubia eine kleine Starthilfe für ihren Neuanfang in Afrika mitzugeben.
Am 3. Oktober wird die „Lagerland“-Kampagne mit einer Demonstration der BewohnerInnen des Münchner Flüchtlingslagers in der Rosenheimerstraße fortgesetzt. Zuvor finden Treffen im Lager statt, um den Ablauf vorzubereiten. Der Großteil der Leute aus dem Lager, darunter viele Kinder, ist mit dabei, als der bunte Protestzug bei bester Stimmung und strahlender Herbstsonne vom La-
gertor in die Innenstadt zieht.
Am 11. Dezember, zum Internationalen Tag der Menschenrechte, zieht eine Demonstration für das Asylrecht und gegen Abschiebung durch München. Viele Flüchtlinge aus Nigeria nehmen teil.
Karawane München – die ersten zehn Jahre , München 2008, 24 f.