Materialien 2004

Flüchtlingslager in Afrika

Wenn Asylsuchende heimatnah untergebracht werden,
können sie leichter wieder zurück

An den Küsten Nordafrikas warten Millionen Flüchtlinge auf die Gelegenheit zur Flucht nach Europa. Die EU, fordert der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, braucht eine gemeinsame, präventive Politik.

Vor Lampedusa, der kleinen italienischen Insel zwischen Libyen und Sizilien, holt die italienische Küstenwache über 600 Flüchtlinge aus kleinen Holz- und Schlauchbooten – Palästinenser, Iraker, Bangladeshis. Die türkische Polizei nimmt 137 Afghanen, Algerier, Aserbaidschaner und Somalier fest, die in einem Fischerboot die griechische Insel Samos erreichen wollten. Vor der Küste Südspaniens kentert ein Boot mit 33 afrikanischen Einwanderern. Drei von ihnen ertrinken, darunter eine junge Frau und ihr Baby.

Das ist die – unvollständige – Bilanz eines einzigen Flucht-Wochenendes im August: Die allsommerliche Fluchtwelle schwappt wieder von Nordafrika nach Italien, Spanien und Griechenland. 500000 Einwanderer, schätzen Experten, reisen jedes Jahr illegal in die Europäische Union ein, die Dunkelziffer wird auf drei Millionen geschätzt. Tausende ertrinken oder verdursten auf offener See. Allein in Italien sollen 800000 Illegale leben, in Deutschland werden 500000 vermutet. Zwei Millionen Menschen, warnte kürzlich der italienische Innenminister, warten an den Küsten Nordafrikas auf die Gelegenheit zur Flucht. Bernd Posselt, Europaabgeordneter und außenpolitischer Sprecher der CSU-Europagruppe, weist auf das, was noch kommt: Allein die Bevölkerung Nordafrikas wird sich in den nächsten zwanzig Jahren verdreifachen.

Vor diesem Hintergrund schlug kürzlich SPD-Innenminister Otto Schily vor, nicht erst in Italien oder Spanien Asylanträge zu bearbeiten, sondern schon vor der gefahrvollen Mittelmeerpassage in Auffanglagern in Nordafrika. Vom grünen Koalitionspartner wurde er prompt scharf angegriffen. Außenminister Joseph Fischer warf ihm vor, „nicht zuende gedacht“ zu haben, Grünen-Chefin Angelika Beer hielt im vor, die „Abschottung der EU gegen Flüchtlinge“ zu wollen. Unterstützung erhielt Schily dagegen von seinem bayerischen Amtskollegen Günther Beckstein. Der Plan, so Beckstein, sei eine „vernünftige Idee“. Wolfgang Zeitler, innenpolitscher Sprecher der CSU, sprach von „richtiger Form der Humanität“.

So sieht es auch Posselt, der selber schon vor zehn Jahren vorgeschlagen hat, Flüchtlingswellen „auf dem Kontinent aufzufangen, aus dem sie kommen“. Er präzisiert Schilys Vorschlag jetzt in einem entscheidenden Punkt: „Flüchtlinge aus Schwarzafrika müssen natürlich südlich der Sahara aufgefangen werden, nicht erst in Nordafrika. Das ist verkehrt an Schilys Vorschlag.“ Auf dem Weg durch die Sahara, so der CSU-Politiker, kommen mindestens so viele Menschen ums Leben wie auf der Mittelmeer-Etappe. Die Flüchtlinge sollten deshalb „möglichst heimatnah untergebracht werden“. Zum einen könnten sie dann leichter nach Hause zurückkehren und zum anderen „ist jeder Euro Hilfsgelder dort viel mehr wert“ als in Europa.

Im Falle von Millionen Kambodschanern, die nach Thailand und in andere Nachbarländer flüchteten, ging die Rechnung auf. Gerade jetzt kehren Hunderttausende Afghanen aus Pakistan und dem Iran in die Heimat zurück, die, so Posselt, „sozusagen auf der anderen Seite des Berges darauf gewartet haben, endlich in ihre Täler zurückkehren zu können“. Auch in Afrika sind heimatnahe Flüchtlingslager der Normalfall: Derzeit finden Flüchtlinge aus dem Sudan im Nachbarland Tschad notdürftigen Unterschlupf. Das müsse systematisch weiter entwickelt werden. Posselt: „Wir brauchen eine weltweite Struktur heimatnaher Flüchtlings- und Vertriebenenlager.“

Auch Innenminister Beckstein plädiert dafür, möglichst nahe am Entstehungsort der Flüchtlingsprobleme aktiv zu werden und etwa den Bundesnachrichtendienst in Afrika Informationen über Schleuserbanden gewinnen zu lassen. Das Thema berührt Fragen der inneren Sicherheit: Mit Menschenschmuggel werden bereits größere Profite erzielt als mit Drogenhandel. Die Profite aus einer kriminellen Industrie werden in die andere investiert – schließlich sogar in Terrorismus.

Doch Flüchtlingslager allein lösen das Problem nicht. Posselt fordert eine präventive europäische Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik, um auf Problem-Länder einzuwirken: „Es kann nicht sein, dass wir erst Entwicklungshilfe zahlen, und dann kommen aus den Empfängerländern Flüchtlinge.“ Der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Ingo Friedrich, erinnert an den Barcelona-Prozess der EU, der die nordafrikanischen Mittelmeer-Anrainer strukturell aufbauen und das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Afrika zur „Wohlstandstreppe“ mildern soll. Doch dieser Prozess sei in Brüssel „bisher recht stiefmütterlich“ behandelt worden. Erst ein politisch stabiles und wirtschaftlich wachsendes Afrika wird dazu beitragen, die Flüchtlingsströme austrocknen zu lassen.

Heinrich Maetzke


Bayernkurier 32 vom 7. August 2004.

Überraschung

Jahr: 2004
Bereich: Flüchtlinge

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