Materialien 2004
Skandal
„Wenn es gut geht, werden Sie für das gleiche Geld länger arbeiten müssen“, sagte Herr von Pierer auf der Betriebsversammlung bei Siemens Perlach am 9. März.
Damals waren in den Metall-Betrieben die Flugblätter im Umlauf, auf denen groß stand: „Die 35-Stunden-Woche abgesichert“. Und nun ist es gut gegangen – für Pierer. Vier Monate nach dem Tarifabschluss vom Februar, am 24. Juni bekommt der Großkonzern, der im letzten Jahr trotz Krise 2,5 Milliarden Euro Reingewinn gemacht hat, die Unterschrift der IG Metall unter einen Tarifbruch-Vertrag für die Werke Kamp-Lintfort und Bocholt mit „Mindestlaufzeit von zwei Jahren“. Dieser beinhaltet:
eine verlängerte Arbeitszeit auf etwa 40 Stunden ohne Lohnausgleich, „so flexibel wie möglich“ zu erbringen im Rahmen eines Arbeitszeitkontos mit einem Ausgleichszeitraum von bis zu zwei Jahren,
die Ablösung des gesicherten Urlaubs- und Weihnachtsgeldes durch eine „leistungs- und ergebnisorientierte Gewinnbeteiligung“,
die Kürzung der Spätarbeitszuschläge auf 8 Prozent,
die Umwandlung von Prämien- in Zeitlohn.
Makaber: Denjenigen, die bisher schon nach Quotenregelung bis zu 40 Stunden gearbeitet haben, werden die Arbeitsverträge hinsichtlich der Arbeitszeit gekündigt, mit dem Ziel, dass sie nur mehr für 35 Stunden bezahlt werden, aber wieder 40 Stunden arbeiten.
Betriebsbedingte Kündigungen sind im übrigen nicht ausgeschlossen.
Herr von Pierer wollte als Vorreiter den Test machen und er hat es geschafft. Jahrzehntelange Kämpfe um den Wert unserer Arbeitskraft wurden mit einem Federstrich weggewischt. Wie geplant seien die Arbeitskosten um 30 Prozent gesenkt worden, lässt Siemens verlauten. Im November 2003 hieß es, man wolle im Geschäftsjahr 2003/2004 beim Gewinn mit einem zweistelligen Prozentsatz zulegen. So kann das klappen!
Zynisch, dass man Siemens in einer Vereinbarung für den gesamten Konzern unterschreiben lässt, dass die Flächentarifverträge „das Fundament der Arbeitsbeziehungen im Unternehmen bilden“. Das ist was fürs Klo. Oder doch nicht? Die Regelungen der Flächentarifverträge werden zwar praktisch nicht angewendet, aber die Friedenspflicht soll doch schon gelten!
Die Rechtfertigung für das Machwerk lautet: 2.000 von 4.500 Arbeitsplätzen wären ansonsten nach Ungarn verlagert worden. Nur, wenn der Flächentarifvertrag fällt, weil den Erpressungen Betrieb für Betrieb stattgegeben wird, wird eine Arbeitszeitverlängerung dazu führen, dass noch mehr Menschen arbeitslos werden, als der Kapitalismus eh schon mit sich bringt. Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen führen dazu, dass die zahlungsfähige Nachfrage noch mehr sinkt, die Kapitalisten sich also um so mehr nach Märkten und vor allem deshalb nach Produktionsmöglichkeiten in anderen Ländern umschauen. Wir können mit Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzung die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus nicht aufheben, im Gegenteil: Wir verschärfen sie damit.
Kolleginnen und Kollegen, wo wollen wir hin? Hier nachgeben, da nachgeben – wo ist die Grenze? Alles in der Hoffnung, den Arbeitsplatz zu behalten? An der Hoffnung werden wir verhungern, wenn wir uns nicht aufschwingen.
Kämpfen wir gegen jede Arbeitszeitverlängerung, jede Verschärfung der Arbeitshetze, jede Lohnkürzung! Machen wir Dampf in unseren Gewerkschaften!
Münchner Arbeiter. Kleine Zeitung für die Kolleginnen und Kollegen der Münchner Betriebe 2 vom Juli 2004, 1.