Materialien 2005

Offener Brief

An Herrn Oberbürgermeister Christian Ude,
München,
Rathaus

von Xaver Endter,
Leibengerstr. 36,
80313 München,
3. Vorstand vom Verein „Die Ameise e.V.“

München, den 21. Juni 2005

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

ich bin Xaver Endter, 1946 in München geboren, und war bisher immer stolz auf meine Heimatstadt. Fast zwei Jahre lebte und arbeitete ich zuletzt auf dem Gnadenacker.

Aber zum Platz der Menschenrechte. Sind die „Menschenrechte“ nach der Allgemeinen Erklärung von 1948 gemeint?

Was vor wenigen Monaten uns, den Menschen vom Gnadenacker, angetan wurde, lässt mich stark daran zweifeln, dass bei der Namensgebung die Menschenrechte nach der Allgemeinen Erklärung von 1948 gemeint sind.

Wie können Vertreter der Stadt München durch eine derart sinnlose Zwangsräumung Menschen obdachlos machen und dann feierlich einen „Platz der Menschenrechte“ eröffnen und die „Europäische Charta zum Schutz der Menschenrechte in der Stadt“ unterzeichnen?

Nun fürchte ich, dass es gerade beim Gnadenacker den Initiatoren der Zwangsräumung einfach nicht so ganz bewusst war, dass dabei Menschenrechte wie

 Artikel 12, Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung ….ausgesetzt werden
 Artikel 13, Jeder hat das Recht seinen Aufenthaltsort frei zu wählen
 Artikel 25, Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard der sein … Wohl gewährleistet. Und wir haben uns auf dem Gnadenacker wohl gefühlt!
 Artikel 28, Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.

verletzt werden.

Ermöglicht wurden diese Verletzungen der Menschenrechte durch den Missbrauch von Gesetzen.

So wurde mit Hilfe der Bauordnung nicht eine akzeptable Wohnsituation auf dem Gnadenacker geschaffen bzw. zugelassen, sondern schon bei dem Planungsverfahren, bei der Änderung von „landwirtschaftlicher Nutzfläche“ zu einer „öffentlichen Grünfläche“ für dieses Privatgrundstück, wurde nicht beachtet, dass sich auf dem Gnadenacker Menschen bereits ein bescheidenes Zuhause im Rahmen ihrer geringsten Möglichkeiten geschaffen hatten.

Dazu kam plötzlich im Januar 2005 der Umschwung, dass eine Unterbringung in Notquartieren quasi angeordnet wird. Dass nicht die freiwillige Entscheidung des einzelnen Menschen zählt, sondern nur noch die Ansicht der Verwaltung.

Dieser Missbrauch ist zugegebener Maßen global gesehen, eine Winzigkeit. Aber der Missbrauch von Gesetzen auch gerade in der deutschen Vergangenheit, der sogar zu Kriegen führte, zeigt dass ein gefährlicher Weg begonnen wurde oder noch schlimmer, normal ist.

Welchen Wert haben denn die Menschenrechte, wenn eine Bauordnung als höherwertig angesehen wird?

Mit der feierlichen Eröffnung ist es nicht getan. Menschenrechte müssen gelebt werden! Nicht nur bei den Anderen. Nicht nur VOR der Haustüre. Sondern vor allem von jedem Selbst. Und das wiederum geht nur mit Liebe zu den Menschen und mit Toleranz. Ohne Liebe zum Menschen ist letztlich jedes gut gemeinte Gesetz, jedes Recht sinnlos.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!

Wie ich neulich gelesen habe, haben Sie im Jahr 2003 selbst verlangt, dass für den Gnadenacker ein Ersatzgrundstück gesucht werden soll. Angeblich ist dies erfolglos geschehen.

Dass es in München keine 3000 m² geben soll, auf denen das Modell Gnadenacker, das die Stadt München übrigens keinen Cent kostete, weitergeführt werden kann, das gibt es nicht. Das ist lachhaft. Da wären dann Stümper an der Arbeit gewesen.

Da fehlte es an Liebe zu den Menschen, fehlte es an Toleranz! Da waren Ausgrenzung und gleichmachende Integration am Werk! Da wurden Paragraphen zum Nachteil der Menschen benutzt!

Herr Oberbürgermeister, bitte, lassen Sie sich von dem Mut der jungen Leute, die uns helfen und die bei der Eröffnung vom Platz der Menschenrechte auch dabei waren, anstecken und verlangen Sie von den Referaten der Stadt, dass diese ihre Aufgaben mit noch mehr Liebe zu den Menschen erledigen. Die Aufgabe Gnadenacker ist noch nicht abgeschlossen. Vor Beginn des Winters waren 28 Menschen auf dem Gnadenacker. In das verordnete Notquartier in der Leibengerstraße sind nur 7 gegangen. Wo sind die anderen Obdachlosen geblieben?

Geben Sie mir, uns allen, die Hoffnung, dass Menschenrechte nicht bloß auf dem Papier stehen, sondern in München in Zukunft ganz besonders geachtet werden. Ich wäre gerne wieder stolz ein Münchner zu sein.

Mit freundlichen Grüßen
Gez. Xaver Endter


www.dieameise-ev.de.

Überraschung

Jahr: 2005
Bereich: Armut