Materialien 2005

Hausdurchsuchungen in München

Kurz vor dem europaweiten Aktionstag für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für Flüchtlinge und MigrantInnen und vor der Demo gegen den Naziaufmarsch auf der Theresienwiese am 2. April fanden in München mehrere Hausdurchsuchungen statt. In einem Fall bekam ein Münchner Karawanemitglied Besuch, dem vorgeworfen wird, zu Straftaten aufgerufen zu haben. Wir führ-
ten darüber ein Gespräch mit ihm.

RH info:

Ebs, bei Dir war am 30. März 2005 eine Hausdurchsuchung. Warum denn?

Ebs Eberl:

Die Begründung lautete „Ermittlung gegen Unbekannt wegen Aufrufs zu Straftaten“. Gemeint war ein Aufruf der Karawane München zum Boykott eines so genannten Botschaftssammeltermins bei der Botschaft von Nigeria. Bei diesem Anlass waren Flüchtlinge aus Nigeria aus der Münchener Umgebung vorgeladen, bei Angehörigen der nigerianischen Botschaft vorzusprechen. Dabei sollten den Flüchtlingen so genannte Heimreisepapiere ausgestellt werden, die zu nichts anderem dienen als die Abschiebung dieser Menschen zu ermöglichen. Die Karawane München hat die Betroffenen dazu aufgerufen, nicht an ihrer eigenen Abschiebung mitzuwirken und den Termin zu boykottie-
ren.

Das Ganze wird als Aufruf zu Straftaten interpretiert, da es in Deutsch- land ein Gesetz gibt, das es unter Strafe stellt, sich ohne Papiere in Deutschland aufzuhalten, wenn man sich solche beschaffen könnte. Flüchtlinge haben aber oft gute Gründe dafür, sich keinen Pass ihres Herkunftslandes zu besorgen, weil ein Pass die Voraussetzung dafür ist, diese Leute abschieben zu können.

Uns wird jetzt „Aufruf zu Straftaten“ vorgeworfen, weil wir nach Ansicht der Ermittlungsbehörden die Betroffenen dazu aufgerufen haben, ihren rechtswidrigen Aufenthaltsstatus aufrecht zu erhal-
ten. Ich denke, das ist eine ziemlich verbogene und absurde Argumentation. Bei dem Aufruf ging es ganz konkret um diesen Sammeltermin, es war nicht die Rede davon, was wir sonst davon halten, ob sich Leute einen Pass beschaffen oder nicht. Der Vorwurf ist ein absurdes Konstrukt, mit dem widerständiges Handeln von Flüchtlingen und ihren UnterstützerInnen kriminalisiert werden soll.

RH info:

Was hast Du damit eigentlich zu tun? Die Rede war doch jetzt die ganze Zeit nur von einem Aufruf der Karawane.

EE:

Gute Frage. In dem Durchsuchungsbeschluss wird behauptet, dass ich der Verantwortliche des „Vereins Karawane München e.V.“ sei. Eine bemerkenswerte Argumentation insofern, als dass die Karawane München erstens kein eingetragener Verein ist und wir zweitens über keinen offiziellen Verantwortlichen oder Vorstand verfügen. In der Karawane gibt es nur Leute die sich als Aktivis-
tInnen an der Arbeit der Gruppe beteiligen, aber niemand, der oder die als Leitungsperson oder offizielle® Repräsentantin für die Gruppe verantwortlich wäre. Wirklich bemerkenswert, dass unsere Gruppe hier einfach zu einem eingetragenen Verein erklärt wird.

RH info:

Und die Hausdurchsuchung musste auch unbedingt am 30. März stattfinden, also zwei Tage vor eurer Karawane-Kundgebung vor der Regierung von Oberbayern. Wann wurde der Durchsu-
chungsbefehl denn ausgestellt?

EE:

Der Durchsuchungsbefehl wurde bereits Mitte Februar ausgestellt, also eineinhalb Monate, bevor diese Hausdurchsuchung dann – zwei Tage vor unserer Aktion zum europaweiten Aktionstag für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für Flüchtlinge und Migrantinnen und drei Tage vor der großen Demonstration gegen den Naziaufmarsch auf der Theresienwiese am 2. April – stattfand. Ein sehr seltsamer Zufall.

RH info:

Was war das denn für eine Kundgebung vor der Regierung von Oberbayern am 1. April?

EE:

Die Regierung von Oberbayern ist hier in der Region für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen verantwortlich. Also dafür, dass Menschen in menschenunwürdigen Sammellagern untergebracht werden und dafür, dass Leute mit Essenspaketen statt mit Bargeld versorgt werden, die in der Regel von völlig minderwertiger Qualität sind. Des Weiteren befindet sich bei der Re-
gierung von Oberbayern die so genannte „Zentralstelle Rückführung“, deren Aufgabe es ist, Kon-
takt mit den Botschaften der Herkunftsländer der Flüchtlinge zu knüpfen, um so genannte „Heim-
reisepapiere“ für die Abschiebung zu beschaffen. Und genau solche Botschaftssammeltermine, wie eben der Botschaftssammeltermin mit der Botschaft von Nigeria – wegen dem ja die Hausdurchsu-
chung bei mir stattfand – werden von dieser „Zentralstelle Rückführung“ organisiert. Neben der Schließung der Lager und der Ausgabe von Bargeld anstelle von Essenspaketen haben wir bei un-
serer Kundgebung die Schließung der sog. „Zentralstelle Rückführung“ gefordert.

RH info:

Gab es denn schon vorher Repressionen gegen die Karawane in München?

EE:

Die gab es durchaus. Ein Beispiel: Die Karawane und der bayerische Flüchtlingsrat haben bereits mehrere Male durch Protestaktionen am Flughafen und durch Telefonate und Faxe an die ausfüh-
renden Fluglinien Abschiebungen am Münchener Flughafen verhindert. Daraufhin wurden bei Aktivist/Innen der Karawane und des bayerischen Flüchtlingsrates und in der Geschäftsstelle des bayerischen Flüchtlingsrates Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen nach Flugblättern gesucht wurde, die am Flughafen an Passagiere verteilt worden waren. Darin waren Passagiere zu praktischem zivilen Ungehorsam im Flugzeug gegen Abschiebungen aufgefordert worden. Diese Hausdurchsuchungswelle ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her. Das war die letzte größere Re-
pressionswelle gegen die Karawane hier in München. Es gab kurz vor der letzten Hausdurchsu-
chung hier in München, aber z.B. auch in Hamburg Hausdurchsuchungen bei Aktivist/Innen der Hamburger Karawane wegen einem Protestaufruf gegen Sammelcharterflüge, mit denen Flücht-
linge gesammelt nach Togo und in andere westafrikanische Länder abgeschoben wurden. Der Hamburger Karawanegruppe wurde vorgeworfen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der ausfüh-
renden Behörden beleidigt und verunglimpft zu haben.

RH info:

Soviel ich weiß, hat sich sogar die Innenministerkonferenz in Jena 2003 schon mit der Praxis anti-
rassistischer Gruppen, Abschiebungen am Flughafen zu verhindern, befasst. Das scheint die ja ganz schön zu stören?

EE:

Das ist definitiv der Fall. Also bei der Innenministerkonferenz in Jena 2003 war ein Tagesord-
nungspunkt, wie eine rechtliche Handhabe geschaffen werden kann gegen Leute, die an Flughäfen Aktionen durchführen, um Abschiebungen zu verhindern. Was ganz klar auf Leute wie uns abge-
zielt hat. Es ist kein konkretes Ergebnis bekannt zu dem, was in Jena dazu diskutiert wurde, es gab auch seitdem keine Gesetzesänderung auf dem Gebiet, aber die Tatsache, dass sich auf der Innen-
ministerkonferenz damit befasst wurde, spricht, denke ich, durchaus für sich.

Ich danke für dieses Gespräch.


info der Roten Hilfe e.V., Ortsgruppe München vom Mai 2005, 1 f., Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 2005
Bereich: Flüchtlinge

Referenzen