Materialien 2005

Sicherheitskonferenz 2005

Am zweiten Februar-Wochenende diesen Jahres war es mal wieder soweit: Mehrere tausend Menschen kamen am 12. Februar auf dem Marienplatz zusammen, um ihren Protest gegen die an jenem Wochenende im Hotel Bayerischer Hof am Promenadeplatz 6 stattfindende „41. Konferenz für Sicherheitspolitik“ zu äußern. Bereits am Vortag fanden mehrere Mahnwachen, eine Jubeldemo mit etwa hundert TeilnehmerInnen und eine Kundgebung vor dem Hotel Dorint Sofitel statt, in dem der „Bund der deutschen Industrie (BDI)“ und der „Bundesverband deutscher Banken (BdB)“ eine „Finanzierungskonferenz Nordafrika Mittelost“ veranstaltete. Kritisiert wird die „Sicherheitskonferenz“ als ein Treffen von Politik, Militärs und Rüstungslobbyisten, auf dem auf informeller Ebene geopolitische Strategien der Mächtigen dieser Welt diskutiert werden, in denen Krieg immer eine Option darstellt. Die „Finanzierungskonferenz Nordafrika Mittelost“ diskutierte die andere Seite der Medaille, nämlich die Einflusssicherung der Industriestaaten über Finanz- und Entwicklungspolitik.

Dabei hat sich wie in den vergangenen Jahren wieder gezeigt, was die Münchner Polizei, das bayerische Innenministerium und die Stadt München unter einer „freien Versammlung“ verstehen. Die Proteste waren erneut von massiven Beschränkungen, Einschüchterungsversuchen und körperlichen Übergriffen durch die Polizei gekennzeichnet.

Schon der Weg zu den verschiedenen Versammlung glich vielfach einem Spießrutenlauf. Wer äußerlich in das Polizeiraster des „Demonstranten“ passte, musste sich in vielen Fällen in Polizeikontrollen durchsuchen und behördlich registrieren lassen. Wie auch bei allen anderen gesammelten Informationen ist leider nicht davon auszugehen, dass die Polizei ihrer Pflicht nachkommt, die erhobenen Daten zu löschen. Am Versammlungsort angekommen fand man sich – vor allem Freitagabend am Lenbachplatz – in einem abgeschirmten Areal wieder, Dutzende Polizeikameras auf die Veranstaltung gerichtet.

Die Demonstration am Samstag wurde oft über die gesamte Länge von mehreren Reihen behelmten Sondereinheiten „hautnah“ begleitet. Mitgeführte Transparente und Plakate wurden dabei nahezu wirkungslos, das Ziel einer Demonstration, nämlich die öffentliche Darstellung politischer Inhalte, deutlich eingeschränkt. Außenstehende wurden in die Demonstration gestoßen, andere am Verlassen gehindert. Durch Polizeiketten am Anfang und Ende des Demonstrationszuges wollte die Polizei das Tempo bestimmen, mehrfach wurden am Zugende TeilnehmerInnen geschubst und angetrieben.

Wiederholt wurden geringfügige Vergehen (z.B. Verstöße gegen den Auflagenbescheid durch seitliches Tragen von Transparenten, was eine Ordnungswidrigkeit darstellt) zum Anlass für teils brutale Polizeieingriffe. Zumeist resultieren strafrechtliche Vorwürfe (z.B. „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“) erst daraus, dass sich TeilnehmerInnen vor Übergriffen schützen wollten. Dabei kam es zu Verletzungen durch Pfefferspray und Schlagstockeinsätze, einem 21-jährigen wurden beispielsweise Zähne ausgeschlagen.

Neben uniformierten Sondereinheiten waren mal wieder viele ZivilbeamtInnen eingesetzt. Offenbar glauben diese, dadurch in einem rechtsfreien Raum agieren zu können. Sie fielen immer wieder durch aggressives Verhalten gegenüber Demonstrantinnen, aber auch Unbeteiligten, ZuschauerInnen, Fotograflnnen und PressevertreterInnen auf. Einige TeilnehmerInnen wurden teilweise den ganzen Tag über von ZivilpolizistInnen gezielt verfolgt und dabei immer wieder verbal und auch körperlich drangsaliert.

Die Polizei zwang auch dieses Jahr etliche Fotograflnnen, Aufnahmen von Polizeiübergriffen sofort zu löschen, andere gerieten durch ihre Dokumentation der Geschehnisse noch mehr in Bedrängnis: Eine 24-jährige wurde verhaftet, nachdem sie einen Einsatz prügelnder Zivilbeamter dokumentierte. Ein Journalist, der diesen Vorfall beobachtete, wurde ebenso bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit und trotz Kenntlichmachung als Journalist festgenommen.

Wer ein Mobiltelefon benutzte, geriet ebenfalls in das Visier der BeamtInnen. Die Verständigung von AnwältInnen über den Ermittlungsausschuss wurde in vielen Fällen von ZivilbeamtInnen durch Androhung der „Beschlagnahme des Mobiltelefons“ oder sogar körperlichem Einsatz unterbunden und führte in einigen Fällen auch zu Verhaftungen.

Während des gesamten Verlaufs waren auf alle DemonstrationsteilnehmerInnen Dutzende Polizeikameras gerichtet, deren Bilder erfahrungsgemäß systematisch ausgewertet werden. Zusammen mit den aus Vorkontrollen und Festnahmen gewonnenen Informationen füllen diese diverse Dateien bei Polizei und Verfassungsschutzämtern. Schon die Teilnahme an Demonstrationen dient immer wieder als Begründung z.B. für „Präventivmaßnahmen“ wie Ausreiseverbote, Vorbeugehaft, „Gefährderansprachen“ und Meldeauflagen.

Sogar das Bundesverfassungsgericht kritisierte bereits 1983 in seinem Urteil zur Volkszählung (BVerfGE 65,1) diese Praxis: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und das ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8,9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlich demokratischen Gemeinwesens ist“. Und im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 (BvR 233, 341/81) betont das Gericht den notwendigerweise staatsfreien und unreglementierten Charakter von Demonstrationen: „behördliche Maßnahmen [seien] unvereinbar, die […] etwa den Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändern“.

Die Münchner Polizei ist offenbar der Meinung, auf Versammlungen nur Äußerungen dulden zu müssen, die ihr genehm sind. Wenn Polizeivizepräsident Viering zu „Haut ab“-Rufen als Reaktion auf erste Polizeizugriffe meint, „so geht man miteinander nicht um“ (MM 14. Februar 2005), dann mag das seine persönliche Ansicht sein, ist aber sicherlich weder Rechtfertigung noch Begründung für polizeiliches Eingreifen.

Die Teilnahme an den Protesten gegen die „Sicherheitskonferenz“ war für alle nur unter massiven persönlichen Einschränkungen und unter Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit möglich. Dies scheint auch ein Ziel der Maßnahmen zu sein: Menschen sollen abgeschreckt werden, ihre Meinung – wenn sie staatlichen Organen nicht in den Kram passt – öffentlich zu äußern. In der Tat kostet es für einige viel Überwindung, sich Gegebenheiten wie am zweiten Februar-Wochenende zu stellen. Denen, die sich trotz alledem auf die Straße begeben, soll das Demonstrieren so unangenehm wie möglich gemacht werden.

Trotz all dieser Umstände ließen es sich mehrere tausend Menschen nicht nehmen, auf die Straße zu gehen und eine Gegenposition zur herrschenden Politik deutlich werden zu lassen.


info der Roten Hilfe e.V., Ortsgruppe München vom Mai 2005, 6 f., Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 2005
Bereich: Sicherheitskonferenz