Materialien 2006
Meinung wird terrorrelevant
Bei der Anti-Terror-Datei weiß keine/r genau, wen sie erfassen soll
Der Bundestag hat am 1. Dezember 2006 die so genannte Anti-Terror-Datei beschlossen.
Sie führt Informationen über Personen und Sachen (Fahrzeuge, Telefonanschlüsse usw.) zusam-
men, die bislang in getrennten Polizei- und Geheimdienstdateien vorhanden sind. An die Stelle von Einzelanfragen mit Genehmigungsprozeduren tritt die Datenabfrage in Echtzeit.
Das soll für eine neue Qualität der Terrorbekämpfung sorgen. Vor allem bringt es eine neue Quali-
tät der Überwachung mit sich.
Die Datei hebt die Trennung von Polizei und Geheimdiensten – eine Konsequenz aus der Gehei-
men Staatspolizei des 3. Reiches – weitgehend auf.
Bisher dürfen die Geheimdienste nur in Ausnahmefällen, etwa bei unmittelbar bevorstehenden Anschlägen, ihre Erkenntnisse an die Polizei geben. Diese Ausnahme wird jetzt zur Regel. 38 „Si-
cherheitsbehörden“ des Bundes und der Länder beteiligen sich: der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst, die Bundes- und Landesbehörden für Verfassungsschutz – also sämtliche Geheimdienste. Außerdem das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter, die Bundespolizei und das Zollkriminalamt. Weitere Polizeibehörden (Staatsschutzdezernate) kann der Innenminister jederzeit mit hinzuziehen.
Personenanzahl unüberschaubar
Zweck der Datei soll die Bekämpfung des „internationalen Terrorismus mit Bezug zu Deutschland“ sein. Neben Mitgliedern und UnterstützerInnen terroristischer Vereinigungen wird auch deren po-
litisches und persönliches Umfeld erfasst. Dazu gehören jene, die rechtswidrige „Gewaltanwen-
dung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen.“ Das „Befürworten“ setzt keine aktive Handlung voraus, auch keine Delikte wie Volksverhetzung oder Aufforderung zu Straftaten. Es genügt eine Meinungsäußerung zugunsten einer „illegalen“ be-
waffneten Organisation. Damit bringt die Bundesregierung das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in einen direkten Kontext mit terroristischer Gewalt. Das Grundrecht wird dadurch faktisch ent-
wertet, und zwar weit über den Kreis der angeblich Gemeinten hinaus (derzeit vor allem „islami-
sche Hassprediger“).
Wer mit Terrorverdächtigen „in Verbindung“ steht („Kontaktpersonen“), auch ohne Kenntnis von deren Umtrieben zu haben, wird ebenfalls gespeichert. Es genügt „eine nähere persönliche oder geschäftliche Beziehung“, alles, was mehr ist als nur ein flüchtiger Alltagskontakt. Der Bundesda-
tenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte, auf diese Weise kämen auch studentische Lerngruppen ins Visier der Behörden
Bei alledem kommt es auf Beweise nicht an, es genügen „tatsächliche Anhaltspunkte“. Diese, so beschreibt es Fredrik Roggan von der Humanistischen Union, sind die „unterste Stufe eines Tat-
verdachts“. Das heißt: Wenn nur eines von 16 Landeskriminalämtern den Verdacht hegt, jemand stehe mit einer Person in Kontakt, die wiederum unter Verdacht steht, sie befürworte Gewalthand-
lungen, genügt das zur Einspeisung in die Datei“. Tröstlich: „Kontaktpersonen zu Kontaktpersonen werden hingegen nicht gespeichert“, steht im Gesetz.
Datenaustausch
Die Datei unterscheidet drei Dateiklassen: Zum einen „Grunddaten“, das sind die klassischen Mel-
dedaten sowie Sprachkenntnisse, Dialekte, körperliche Merkmale. Gibt eine Behörde den Suchbe-
griff ein, erhält sie sofort die Treffer angezeigt. Die „erweiterten Grunddaten“ umfassen Telekom-
munikationsanschlüsse, IP-Adressen, Bankverbindungen, Fahrzeuge, Waffenkenntnisse, „besuchte Orte oder Gebiete“, Religions- und „Volkszugehörigkeit“. Um diese Daten einzusehen, muss die ab-
fragende Behörde eine Genehmigung einholen – außer in „Eilfällen“. Diese wiederum sind völlig unpräzise definiert und drohen deswegen zum Normalfall zu werden. Als Grund gilt etwa eine „ge-
genwärtige Gefahr für die Gesundheit“. Fredrik Roggan reizte das zum Spott: Da genüge schon das „Starten schwerer Lastzüge in der Nacht in Wohngegenden“, führte er in der Anhörung vor dem Bundestagsinnenausschuss aus. Das Prinzip standardisierter Datensätze wird mit einem Freitext-
feld durchbrochen, in das die Behörden nach Gutdünken weitere Kommentare, Erkenntnisse und Bewertungen eintragen können.
Der einzige Aspekt, der eine gewisse Begrenzung der Datensätze garantiert, ist das Geheimhal-
tungsbedürfnis der Dienste. Um InformantInnen und ausländische Geheimdienste zu schützen, sieht das Gesetz zwei Ausnahmen vor: Die „beschränkte“ bzw. „verdeckte“ Speicherung, die Treffer nur teilweise oder gar nicht anzeigen.
Alte Daten, neue Qualität
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird von der Antiterrordatei genauso verletzt wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Hinsichtlich der „Befürworter“, „Hervorrufer“ und „Kontaktpersonen“ sind die Regelungen derart schwammig, dass niemand weiß, wann er mit einem Eintrag in die Datei rechnen muss.
„Die Daten selbst verändern sich ja nicht, indem wir das zusammenführen, was ohnehin vorhan-
den ist“, erklärte in naiver Unschuld der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke. Tatsäch-
lich werden die vorhandenen Daten aus ihrem bisherigen Rechts- und Sinnzusammenhang heraus-
gerissen, denn erhoben wurden sie ja keineswegs immer in Terrorermittlungen. Das verstößt gegen den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Zweckbindung. Die Geheimdienste dürfen Telefonge-
spräche abhören, die Polizei nicht – aber was nützt diese Trennung, wenn Erkenntnisse aus diesen Gesprächen in der gemeinsamen Datei landen?
Die Behörden gelangen zu Informationen, die sie gar nicht hätten gewinnen dürfen, und daraus re-
sultieren Maßnahmen, die sonst unterblieben wären.
Wenn die Polizei erfährt, dass der Geheimdienst jemanden observiert, wird sie selbst die Betroffe-
nen genauer unter die Lupe nehmen; umgekehrt gilt das Gleiche.
Das Gesetz schreibt nicht vor, dass die eingespeisten Daten rechtmäßig erhoben sein müssen. Das ist vor allem deswegen interessant, weil Verfassungsschutz und Innenminister Wolfgang Schäuble vehement dafür eintreten, auch zurechtgefolterte Aussagen zu verwenden, die ausländische Ge-
heimdienste kolportieren.
Fortsetzung des Krieges
Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann eine schlichte Meinungsäußerung zu internationalen Kon-
flikten die Einspeicherung in die Antiterrordatei nach sich ziehen. Das betrifft die SympathisantIn-
nen von Al-Kaida, irakischen Aufständischen und mexikanischen Zapatistas gleichermaßen, sofern es einen „Bezug“ zu Deutschland gibt. Die Gesetzesbegründung nennt das Kriterium, dass eine ter-
roristische Organisation „einer ideologischen Strömung angehört, die sich auch gegen Deutschland oder deutsche Ziele und Interessen richtet“. Deutsche Ziele und Interessen hat der Kriegsminister im Weißbuch für die Bundeswehr vorgegeben: Den Zugang zu Rohstoffen und die Freiheit des Handels gegebenenfalls freischießen. Wer sich hiergegen wehrt, ist Terrorist und kommt auf die Liste, genau so wie die „Befürworter“ oder „Kontaktpersonen“. Die Antiterrordatei erweist sich damit als innenpolitische Entsprechung des weltweiten Kriegs gegen den Terror und beweist, dass „Terrorismus“ ein politischer Kampfbegriff ist.
Was kommt als nächstes?
Max Stadler, FDP-Innenpolitiker: „Da ist ja nur vom internationalen Terrorismus die Rede mit der Folge, dass man sich schon ausmalen kann, dass nach einem Jahr gesagt wird: Hat sich gut be-
währt, aber es sind noch Lücken, die jetzt ergänzt werden müssen.“
Frank Brendle
Graswurzelrevolution. Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 316 vom Januar 2007, www.graswurzel.net.