Materialien 2006

Flug in Höhe Null

Braucht München den Transrapid?

Wenn er nicht mal wieder eine Panne hat, zieht der Transrapid seit bald zwanzig Jahren auf der Versuchsstrecke im Emsland seine Runden. Gut 1,7 Milliarden Euro sind in dieses Projekt geflossen, zu fast 90 % öffentliche Gelder. Die Privatindustrie um Thyssen-Krupp, Krauss-Maffei, ABB und Siemens hat gerade mal 150 Millionen Euro aufgebracht. Aber nun drängen diese Konzerne mal wieder mit aller Macht die Politik, für ihr teures Spielzeug möglichst viel Geld locker zu machen. Und die bayrische CSU lässt sich nur zu gerne drängen – offenbar nicht zu ihrem (finanziellen) Nachteil!

Der Beschluss der Regierung Kohl vom Dezember 1987, wonach der Transrapid zum Nutzen des Standorts unbedingt in Deutschland fahren müsse, soll nach 20 Jahren endlich verwirklicht werden. Denn die erträumten Exporterfolge können sich nur einstellen, wenn man ein solches Gefährt vor der eigenen Haustür vorweisen kann. Nachdem die Pläne einer Verbindung Hamburg- Hannover, Hamburg-Berlin sowie durchs Ruhrgebiet an mangelnder Wirtschaftlichkeit und dem Widerstand der betroffenen Bürger gescheitert sind, ist nun München an der Reihe: Der Transrapid soll vom Hauptbahnhof ins Erdinger Moos zum Flughafen Franz-Josef-Strauß „schweben“.

Seit dem 27.April liegen die Planungsunterlagen in den zehn betroffenen Kommunen einen Monat lang zur Einsichtnahme aus. Die Pläne für die Trassenführung wurden von der Bahn-Tochter DB Magnetbahn erstellt, die auch reichlich Werbematerial und -broschüren gedruckt hat, um den eher widerspenstigen Bürgerwillen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Der Hauptagitator für den Transrapid ist aber die bayrische Staatsregierung, die ihr auch in der Berliner Koalitionsvereinbarung stehendes „technologisches Leuchtturmprojekt“ auf Gedeih und Verderb durchsetzen möchte. Der bayrische Finanzminister Erwin Huber schwärmte stets für diese „Hochtechnologie“ und meinte: „Das Münchner Projekt ist das einzige, das hierzulande zeitnah realisierbar ist.“

Argumente gegen den Transrapid

Doch macht eine solche Verbindung für die Allgemeinheit Sinn?

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Technisch gesehen stammt der Transrapid aus den 60er Jahren (patentiert wurde das Verfahren bereits in den 30er Jahren!), als man in Deutschland meinte, mit konventioneller Radtechnik könnten Züge höchstens 250 Kilometer fahren. Mit ihren Hochgeschwindigkeitszügen TGV und Shinkansen dementierten Franzosen und Japaner diese Ansicht. Auch die Bundesbahn begann, wenn auch verspätet, mit dem Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes für den ICE. Die oben genannten Transrapidstrecken, vor allem zwischen Hamburg und Berlin, hätten somit in direkter Konkurrenz zur Bahn gestanden.

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Der Transrapid braucht eine aufwändige Streckenführung auf etwa 5 Meter hohen Stelzen. In Teilen Münchens soll er in einer Tunnelröhre geführt werden. Er ist mit den bestehenden Schienennetzen nicht kompatibel. Es müssen also entsprechend aufwändige Umsteigebahnhöfe (und womöglich große Parkhäuser für die Pkw) gebaut werden. Die Strecke wird durch Naherholungsgebiete und Naturschutzflächen wie die Isarauen und eine Reihe von Badeseen geführt. Die klimatischen Folgen dieser Zubetonierung von Landschaft sind noch kaum erforscht.

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Der Energieverbrauch des Transrapid ist höher als auf der Schiene, viermal so hoch wie der einer S-Bahn, die außerdem noch deutlich mehr Passagiere befördern kann. Die Lärmentwicklung entspricht einem ICE mit gleicher Geschwindigkeit, kann also 100 Dezibel erreichen. Mit vier Zügen (plus einem Ersatzzug) sollen täglich im Abstand von 10 Minuten hin und zurück 230 Fahrten unternommen werden. Welche Belästigung für die Anwohner dadurch entsteht, dass alle fünf Minuten ein eigenartiger Knall zu hören ist, kann man sich leicht ausmalen.

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Auf der nur etwa 37 Kilometer langen Strecke ins Erdinger Moos kann der Transrapid seinen Vorteil hoher Geschwindigkeit überhaupt nicht entfalten: Kaum hat er sie erreicht, muss er bereits wieder abbremsen. Einen Zwischenhalt kann es nicht geben. Also haben nur Passagiere einen Zeitvorteil, die in der Nähe des Hauptbahnhofs wohnen oder von dort direkt weiterreisen. Die als Alternative von der Stadt München ins Spiel gebrachte Beschleunigung der bestehenden S-Bahn-Linie hätte zwar eine um gut zehn Minuten längere Fahrzeit, könnte aber, da sie drei bis vier Zwischenstopps einlegen würde, die Passagiere aus den östlichen Stadtteilen und dem Umland „aufsammeln“. Außerdem wäre sie trotz einer Reihe von teuren Lärmschutzmaßnahmen mit weniger als einem Drittel der Kosten für den Transrapid zu realisieren.

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Nach heutigem Kenntnisstand ist für den Bau der Strecke mit Kosten von (über) 2 Milliarden Euro zu rechnen. (Das ist fast ein Viertel des Geldes, das der Bahn insgesamt pro Jahr für Investitionen zur Verfügung steht!) Von diesen Kosten sind bisher aufgrund der Koalitionsvereinbarung 550 Millionen Euro in den Bundeshaushalt eingestellt; der Freistaat und die Bahn wollen sich mit etwa 10 % (also 185 Millionen Euro) beteiligen. Der Chef der Flughafen-Gesellschaft, Michael Kerkloh, hatte 100 Millionen angeboten, wurde aber von der Stadt München, die an der Flughafen- Gesellschaft beteiligt ist, zurückgepfiffen.

Die Lufthansa hat bislang eine Beteiligung abgelehnt. Und die Industrie ist so sehr von ihrem Prestigevorhaben überzeugt, dass sie keinen müden Euro an Investitionen zugesagt hat. Sie möchte ihren Reibach wohl lieber in China und Qatar machen, wo keine lästige Bevölkerung ihre Kreise einengt.

Selbst wenn sich der kalkulierte Preis von 40 Euro für Hin- und Rückfahrt durchsetzen ließe, fiele ein jährliches laufendes Defizit von mindestens 40 Millionen Euro an, das die Allgemeinheit zu tragen hätte. Alle Berechnungen zeigen, dass auf der geplanten Strecke der Transrapid trotz gigantischer Subventionen nicht kostendeckend zu betreiben ist. Es handelte sich also um ein Milliardengrab!

Dabei sind die Unwägbarkeiten eines solchen Projekts noch gar nicht berücksichtigt: Die ICE-Strecke von München nach Nürnberg, die mit drei Jahren Verzögerung in diesen Tagen eröffnet wird und wegen des weisen Ratschlusses des damaligen Ministerpräsidenten Streibl und seines Wirtschaftsministers Wiesheu (heute im Vorstand der Bahn) unbedingt über Ingolstadt statt über Augsburg geführt werden musste, sollte 3,5 Milliarden Mark kosten. Tatsächlich sind es 3,6 Milliarden Euro geworden – aber „mir ham’s ja“.

Anscheinend hat die Staatsregierung aus den Erfahrungen mit dem Schnellen Brüter in Kalkar (der als Milliardenruine die Landschaft verschandelt) und dem gescheiterten Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf keine vernünftigen Lehren gezogen, denn ihr Motto ist nach wie vor: „Hochtechnologie und Standort über alles!“

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Die Deutsche Bahn, die ja die S-Bahnen betreibt, soll gezwungen werden, den Transrapid in ihr Netz einzufügen und zu verwalten. Sie soll also selbst ein konkurrierendes Verkehrsmittel unterhalten. Für die zu erwartenden 17.000 Fahrgäste des Transrapid müssen dann die 730.000 Menschen geradestehen, die täglich die Münchner S-Bahn benutzen. Da man Geld bekanntlich nur einmal ausgeben kann, ist mit deutlichen Leistungsverschlechterungen zu rechnen. Die Folge wird außerdem eine Vergrößerung der Defizite in beiden Systemen sein, für die entweder die Fahrgäste oder aber die Öffentliche Hand einzustehen haben werden.

Widerstand formiert sich

Beim Transrapid handelt es sich daher um eine unnütze, teure und dem Gemeinwohl abträgliche Fehlinvestition, die unbedingt verhindert werden muss!

Auf einer Bürgerversammlung, die die Stadt München einberufen hatte und an der etwa 1.400 Menschen vor allem aus den betroffenen Stadtteilen teilnahmen, wurde eine sehr klare Ablehnung des Projekts deutlich. Von den Stimmberechtigten stimmten etwa 95 % mit Nein. Die beiden Vertreter der Magnetbahngesellschaft hatten einen schweren Stand, da sie ein rein emotionales Bekenntnis zu ihrem sündteuren Spielzeug ablegten.

Abgesehen von einem Ingenieur waren die Hauptbefürworter des Projekts Vertreter der „Bürgerinitiative Solidarität“, die umstandslos den Weiterbau des Transrapid über Berlin und Moskau nach Shanghai einforderten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Argumentation der Technikgläubigen in der Staatskanzlei (Arbeitsplätze!) eine gewisse Ähnlichkeit mit den Vorstellungen einer aus den USA stammenden rechtsextremen Sekte aufweist.

In den kommenden Monaten wird es darum gehen, die Auseinandersetzung auf politischer und juristischer Ebene voranzutreiben. Einwendungen können bis zum 10. Juni erhoben werden, auf den einschlägigen Internetseiten finden sich Mustertexte. Es muss auch geprüft werden, ob ein Volksbegehren gegen den Transrapid möglich ist und mit den Vorbereitungen begonnen werden soll. Der Zusammenhang zwischen diesem gigantischen Ausgabenprogramm und dem Sozialabbau liegt auf der Hand.

Paul B. Kleiser

Informationen finden sich auf www.contratransrapid.de; www.transrapid-muenchen.net und beim Münchner Sozialforum: www.m-sf.de.


SoZ – Sozialistische Zeitung vom Juni 2006, 13.

Überraschung

Jahr: 2006
Bereich: Umwelt

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