Materialien 2007
Mietervertreibung durch Hartz IV
Die „soziale Grundsicherung“ für Langzeitarbeitslose beträgt 345,- Euro/Monat und die Mietko-
sten für eine „angemessene“ Wohnung. Für angemessen hält die Arge (Arbeitsgemeinschaft von Gemeinde und Arbeitsamt) einheitlich für ganz Deutschland als Höchstbetrag 500,- Euro/Monat. Für eine Person werden maximal 50 qm für angemessen gehalten. Es wird kein Unterschied ge-
macht, ob Mieter oder Mieterin in einem Ballungsraum wie München oder auf dem Lande lebt, wo die Mieten relativ billig sind. Praktisch wirkt sich das so aus, dass vor allem in den Ballungsräumen Hartz IV Empfänger aus ihren Wohnungen vertrieben werden, wenn diese die o.g. Grenzwerte übersteigen.
Herr Z., wir wollen ihn so nennen, um ihm Nachteile zu ersparen (Name und Anschrift sind der Redaktion bekannt) bewohnt eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Westend. Er lebt seit langem hier, mag das Viertel und will ungern wegziehen. Die Wohnung liegt geringfügig über den 50 qm. Sie kostet 631,- Euro/Monat. Es handelt sich um ein von der MGS saniertes Wohnhaus. Der Vormieter bezahlte 411,- DM. Nach der Sanierung verkaufte die MGS wie gesetzlich vorgeschrieben das Haus an private Investoren, in diesem Fall an den Immobilienkonzern Doblinger. Einige Zeit nach dem Verkauf zog der Vormieter aus und Herr Z. übernahm die Wohnung für rd. 800,- DM. Die folgen-
den Mieterhöhungen hielten sich im gesetzlich zugelassenen Rahmen. Herr Z. liegt also bei der Miethöhe über dem bundeseinheitlichen Höchstwert, aber durchaus auf dem in München üblichen Niveau für einfache und kleine Wohnungen. Mit 52 qm ist die Wohnung geringfügig „zu groß“. Die Arge forderte ihn auf, in eine andere Wohnung zu ziehen, die um 2 qm kleiner und billiger als 500,- Euro ist.
Das ist leicht gesagt und schwer getan. Wo soll Herr Z. eine solche Wohnung im Großraum Mün-
chen finden? Er erhob Einspruch bei der Arge. München hat bekanntlich das höchste Mietniveau in Deutschland. Die Zahl der preiswerten Wohnungen hat sich durch Luxussanierungen, Abrisse und Umwandlungen in Eigentumswohnungen seit Jahren drastisch vermindert. Man betrieb eine „Aufwertung“ alter Stadtviertel wie des Westends über den Mietpreis. Wo Geringverdienende oder Arbeitslose wohnen sollen, interessiert offenbar weder die Stadt noch die Arge.
Die bundeseinheitlichen Höchstgrenzen wurden gerichtlich angefochten. Herr Z. schloss sich der Klage an. Der Bundessozialgerichtshof (BSH) als höchste Instanz der Sozialgerichtsbarkeit erklärte diese Höchstgrenzen für rechtswidrig und hob sie auf. Er verlangte für die Angemessenheit der Mieten eine Einzelfallprüfung, bei der natürlich das örtliche Mietniveau berücksichtigt werden muss.
Alles in Butter für Herrn Z. ? Keineswegs! Die Geschäftsführerin der Münchner Arge, Frau Wieczo-
rek, erklärte seinen Einspruch für erledigt, da das BSH Urteil nicht für ihn persönlich erlassen wor-
den sei. Dass die Entscheidung des höchsten deutschen Sozialgerichts auch für die Arge in Mün-
chen verbindlich sein müsste, war ihr offensichtlich nicht klar. Immerhin wurde Herrn Z. bis Weihnachten 2006 ein neuer Bescheid zugesagt. Der ist aber bis Mitte Februar 2007 noch nicht bei ihm eingegangen. Die Abzüge vom Regelsatz laufen aber weiter. Herr Z. wird seit rd. 2 Jahren für seine „unangemessene“ Wohnung mit einem Abzug vom Regelsatz (345,- Euro) in Höhe von 113,- Euro je Monat bestraft. Ihm bleiben gerade mal 232,- Euro zum Leben. Da München auch bei den Lebenshaltungskosten ein teures Pflaster ist, kommt er gerade so knapp über die Runden.
Was soll er tun? Er könnte für seine Person einen Rechtsstreit neu beginnen. Die Arge, so steht zu befürchten, würde den Prozess wohl wieder bis zum BSH treiben. Das Geld für Gerichts- und An-
waltskosten kann der arbeitslose Herr Z. unmöglich aufbringen. So werden die gesetzlichen Be-
stimmungen hingebogen, damit die Stadt München möglichst viel an Sozialausgaben einsparen kann. So wirkt die „wirtschaftsfreundliche“ Miet- und Wohnungspolitik der Stadt mit der „Sozial“-
politik zusammen, um viele Menschen in die Armut zu treiben. Ähnliche Fälle wie den des Herrn Z. gibt es mittlerweile zu Hunderten. Für die haben die regierenden Parteien einige soziale Phrasen übrig und wundern sich dann über die „Verdrossenheit“ derer, die allen Grund haben verdrossen zu sein.
Peter Eberlen
Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 129 vom März 2007, 6.