Materialien 2007

10. Februar

Gedächtnis-Protokoll zur willkürlichen Gewahrsamnahme im Anschluss an die Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz am 10. Februar 2007

Gegen 17:00 Uhr teilten die Veranstalter mit, dass die genehmigte Demonstration vom 10. Februar 2007 wegen der ständigen Störungen durch die Polizei vorzeitig am Stachus abgebrochen werden musste.

Um mich zu verabschieden, begab ich mich auf die Suche nach meinen Bekannten, die ich im Lau-
fe unseres Marsches aus den Augen verloren hatte. Die Veranstaltung war im Begriff sich aufzulö-
sen.

Gerade stand ich mit zwei meiner Bekannten vor dem Hotel „Königshof“, als jemand auf uns zu-
kam und um Hilfe bat. Wir sollten dieser Frau folgen, um als Augenzeugen gerade stattfindende Misshandlungen durch mehrere Polizisten an einem jugendlichen wehrlosen Demonstranten zu bezeugen. Sie führte uns links – die Bayerstraße entlang – am Hotel „Königshof“ vorbei. Hinter dem „Königshof“ bogen wir nach rechts ab und gingen die Passage zwischen dem Eingang vom „Hertie“ und dem Hotel „Königshof“ in Richtung Justizpalast. Wir überquerten die Straßenbahn-
schienen auf der Prielmayerstraße und standen somit an der Haltestelle der Straßenbahn. Ein Fotograf, der dort mit einer Gruppe von anderen Augenzeugen stand, bestätigte, dass er gesehen hatte, wie acht Polizisten auf einen jungen wehrlosen Demonstranten einschlugen.

Meine beiden Bekannten und ich gingen die Prielmayerstraße in Richtung Stachus hinauf, um zu sehen, ob man uns vielleicht doch noch als Augenzeugen bzgl. der Misshandlungen an dem jungen Demonstranten brauchen konnte. Dabei bemerkte ich eine sehr junge Frau, die von mehreren schwerbewaffneten kräftigen männlichen Polizisten umzingelt und mit aller Gewalt zu Boden gedrückt wurde, während sie völlig bewegungsunfähig und verängstigt versuchte, Umstehende darum zu bitten, ihren Freund zu informieren.

Meine beiden Bekannten und ich begaben uns wieder zurück zur Straßenbahn-Haltestelle, als plötzlich ein Tumult ausbrach. Eine Horde von schwerbewaffneten Polizisten in schußsicheren Westen – in grüner und schwarzer Uniform – warfen sich auf harmlos wirkende, schmächtige Jugendliche. Ein junger Demonstrant wurde vor meinen Augen von zwei Beamten in die Erde vor dem Justizpalast gepresst, während einer der auf ihm knieenden Polizisten mit der Faust in die Nieren des Wehrlosen prügelte. Dieses Unrecht versuchte ich mit meinem Fotoapparat festzuhal-
ten. Die meiner Ansicht nach außer Kontrolle geratenen Beamten packten wahllos und ohne Vor-
warnung junge umstehende Demonstranten, die offensichtlich wie ich als Augenzeugen fungieren wollten, und schubsten sie NUR mit den Worten: „In Gewahrsam“ in ihre Mitte, wo die einge-
schüchterten jungen Leute mit Plastikbändern gefesselt wurden. Einer dieser Polizisten warf mir einen Blick zu, während ich nur da stand und versuchte die gewaltsamen Festnahmen mit meinem Fotoapparat festzuhalten. Plötzlich griff er auch nach mir und zog mich an meinem Anorak zu den anderen Festgenommenen. Entsetzt über so viel Willkür fragte ich den Beamten nach dem Grund. Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und verwies auf seinen Vorgesetzten. Der habe ihm den Befehl erteilt mich in Gewahrsam zu nehmen, mehr interessiere ihn nicht. Verzweifelt rief ich nach meinen Bekannten, da ich nicht wusste, was mit mir geschehen würde und wollte, dass auch dieses offensichtliche Unrecht bezeugt werden kann. Meine Kamera, mein Ausweis und meine beiden Taschen wurden mir abgenommen. Dann fesselte man auch mich mit den Plastikbändern. Kurz bevor wir abgeführt wurden, bekam ich meinen Rucksack, wie eine Kuhglocke um den Hals ge-
hängt und wurde durch ein Metallseil mit vier bis fünf anderen Personen im Kreis zusammenge-
bunden. Wir waren so eng miteinander verschnürt, dass es nicht mehr möglich war zu gehen. Wir stiegen uns den gesamten Weg über gegenseitig auf die Füße und in die Hacken. Auf den Treppen musste ich von einem Beamten gestützt werden, weil ich sonst die Stufen hinabgestürzt wäre. Mindestens einer der mit mir in Gewahrsam genommenen Demonstranten war gezwungen, wäh-
rend dieser entwürdigenden Situation rückwärts zu gehen – oder besser gesagt: zu stolpern. Kolle-
gen der uns abführenden Beamten feixten vor Freude bei diesem Anblick und zollten Beifall, als wäre alles ein Wettbewerb um die meisten Festnahmen. Zu Fuß wurden wir durch die Straßen wie Schwerverbrecher geführt. Auf meine Fragen, warum ich in Gewahrsam genommen wurde, sagten mir die Polizisten nur immer wieder, dass ich das erst auf dem Revier in der Ettstraße erfahren werde. Als wüssten sie selbst keine Antwort.

Auf dem Polizeirevier angekommen, wurden wir losgebunden. Endlich erfuhr ich den angeblichen Grund meiner in-Gewahrsamnahme: Laut Aussagen der Beamten hätte ich einen Platzverweis nicht befolgt.

Tatsächlich hat mit mir am Ort des Geschehens kein einziger Polizist geredet. Die ersten Worte eines Polizei-Beamten mir gegenüber waren NUR: „IN GEWAHRSAM!“ Ich weiß, dass es min-
destens zwei weiteren Jugendlichen, die in meiner Nähe standen, genauso erging.

Nachdem ich auf dem Revier bis auf die Unterwäsche durchsucht worden war, wurde ich in den Innenhof des Reviers zu einem der dort geparkten Polizei-KIeinbusse geführt, wo man an einem der Computer darin anscheinend meine Personalien aufnahm. Dort erfuhr ich, dass man auch noch die Unverfrorenheit und Dreistigkeit besaß zu behaupten, es hätte sogar mehrere Platzver-
weise gegeben, die ich nicht befolgt hätte.

Abermals durchsuchte mich eine Beamtin, durchwühlte meine Taschen. Sie fragte mich, ob in meinen Taschen irgendetwas sei, dass ihr gefährlich werden könne. Da ich nur fotografiert hatte, bevor ich ohne Vorwarnung willkürlich in Gewahrsam genommen und wie ein Schwerverbrecher durch die Stadt geschleift worden war, musste ich davon ausgehen, dass mein Fotoapparat für die Polizei eine erhebliche Gefahr darstellt. Darum teilte ich der Beamtin auf ihre Frage pflichtbewusst mit, dass sich genau diese Kamera in einer meiner Taschen befindet.

Der schwarzgekleidete Beamte wurde von seinem Polizei-Kollegen gefragt, ob ich mich widersetzt hätte. Er sagte, dass er nicht dabei war und es deshalb nicht wüsste, doch er glaube es nicht, „denn sonst …“ fügte er grinsend hinzu.

Anschließend wurde ich in eine geräumige Zelle geführt, in der ich dann mit vier weiteren Damen eine gewisse Zeit verbringen musste, bis man meinen Namen aufrief. Eine junge Beamtin führte mich dann durch das Gebäude in ein Büro, in dem eine andere Beamtin ein Formular ausfüllte und mir mit den Worten: „Irgendwie ist da etwas schiefgelaufen. Sie hätten eigentlich schon längst frei-
gelassen werden sollen“ überreichte. Allerdings müsste man, um der Bürokratie Genüge zu tun, eine Akte von mir anlegen, die aber ganz schnell wieder verschwinde und mich nicht weiter bela-
sten müsse.

Zuletzt überreichte sie mir die Rechtsbehelfsbelehrung. Es war ca. 19:15 Uhr, als ich endlich das Gebäude verließ.


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