Materialien 2008

Wie immer: Millionäre auf der Messe - das Volk im Regen

Leider hatte man es nicht geschafft, ein Bündnis mit allen fortschrittlichen, physischen und meta-
physischen Kräften aufzubringen: Wie Walter Listl als Moderator der Kundgebung selber einräum-
te, war der Wettergott eindeutig und einseitig mit den Millionärinnen und Millionären, die sich in der Neuen Messe, die „Sachen anschauen konnten, die man mit dem Geld, das man uns für die Finanzkrise raubt, kaufen kann“, so weiter Listl. Aber vielleicht ist der Wettergott gar nicht so fort-
schrittlich, wie immer behauptet wird. Schade war es jedenfalls, dass die schön geplante Aktion des Münchner Sozialforums wegen durchgehenden Regens und Sturms zum einen nicht die Aufmerk-
samkeit fand, die sie verdient hätte, zum anderen verfrüht abgebrochen werden musste, in den Worten Listls: man die Millionäre eine Stunde früher, mit „ihrem traurigen Schicksal allein“ ließ. Immerhin: auch bei Medien mit unwesentlich größerer Verbreitung als unserem Blatt wie der BBC fand die Aktion Beachtung. Und die Passanten, die sich vom Regen abschrecken ließen, waren letztlich selber schuld, einige gute Gelegenheiten verpasst zu haben. So gab es auf einem Sklaven-
markt, selbige bereits ab einem Preis von 2.500 Euro, bei einer Auktion hätte man exklusive Alu- und Joghurtbecher, bereits ab 24.000 Euro ersteigern können (ein Genosse hatte zweiunddreißig Milliarden geboten, Gott sei Dank wurde, noch bevor er den Zuschlag erhielt, entlarvt, dass er über diese Summe seit der Finanzkrise nicht mehr verfüge). Gefährlich wurde es jedoch, als „Angela und Peer“, noch dazu unterstützt von der Clownsarmee, loszogen, um die fünfzig Milliarden, die im „Fi-
nanzcasino“ verschwunden waren, zu rauben. Die Ausgeraubten wurden wenigstens vom Attac Chor mit seinem abschließenden „Rationalisierungslied“ immateriell entschädigt. Nein, auch wenn die Rolle der Luxusgüterproduktion für die Wirtschaft vielleicht mal einer längeren Beschäftigung wert wäre: Dass die demonstrative, um nicht zu sagen, aggressive Zurschaustellung eines durch nichts mehr zu rechtfertigenden Reichtums, in einer Welt in der alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger stirbt, um sich erneut an Listl zu halten, etwas Obszönes hat, ist schwer zu leugnen. Darum an dieser Stelle Dank an das Sozialforum, dass es mit der kreativen Aktion auf diese Perversion aufmerksam gemacht hat.

J.K.


Münchner Lokalberichte 22 vom 29. Oktober 2008, 12.

Überraschung

Jahr: 2008
Bereich: Armut

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