Materialien 2008
Dies ist ein Flugblatt von uns für Euch
Immer wieder stehen wir uns gegenüber, auf Demos, auf Veranstaltungen, bei den unterschied-
lichsten Aktionen. Manchmal seid Ihr auch ungebetene Gäste, wenn Ihr bei uns Hausdurch-
suchungen und Razzien vornehmt oder uns bei einer Kontrolle herauszieht. Euch wird oft erzählt, wir seien Eure Feinde, wir seien Verbrecher, Gewalttäter, Chaoten.
Eines ist wahr, wir sind für eine andere Gesellschaftsordnung; wir lehnen das weltweit organisierte Chaos mit seinen Kriegen, unzähligen Hungertoten und Armen auf der einen Seite und auf der anderen Seite mit den Reichen und Herrschenden ab. Wir sind gegen diesen Staat und seine Gesetze, weil sie fast immer nur den Reichen und Herrschenden nutzen und in den wenigsten Fällen allen Menschen.
Wer sagt, dass die Gesetze hierzulande ewig Bestand haben?
Wir sagen: Nein, wenn es eine bessere Alternative für uns alle gibt! Und damit es diese Alternative gibt, dafür kämpfen wir.
Deshalb können und dürfen wir nicht gehorsam sein, denn die Welt, für die wir kämpfen, kann nur aus dem Bruch mit dem Bestehenden entstehen. Die Geschichte ist eine endlose Veränderung von Gesellschaftssystemen, eine endlose Folge von Reformen, Reformationen und Revolutionen.
Vertauscht nicht Euren Kopf mit Eurem Helm!
Wenn Ihr den Befehl bekommt, Schutzausrüstung und Helm anzulegen, denkt nach und hinterfragt Eure Befehle! Wen sollt Ihr schützen, wen sollt Ihr bekämpfen?
Wir wissen, viele von Euch sind nur bei der Polizei, weil es Euer Einkommen und das Eurer Familien sichert. Viele auch, weil Ihr für die gute Sache sein wollt. Doch das ist meistens nur in Krimis so. Wenn Ihr nachdenkt: Seid ihr nicht manchmal die, die Ihre Köpfe hinhalten sollen für den Vorteil anderer? Werdet Ihr nicht manchmal gezwungen, gegen Eure eigenen Überzeugungen Unrecht zu tun? „Die Krawalle von Rostock waren politisch gewollt“, mutmaßten auch Kolleginnen und Kollegen von Euch. Gerade Rostock und der G-8-Gipfel zeigten nur allzu deutlich, wie Ihr angelogen wurdet, wie Ihr verheizt wurdet. Nur zu Recht beschwerten sich viele von Euch über völlig unzureichende Unterkünfte und mangelhafte Verpflegung bei den G-8-Einsätzen. Die aber, die dort tagten und tafelten, litten keinen Mangel, sie litten eher am Überfluss.
Was erwarten wir von Euch?
Nicht dass Ihr heute eure Uniformen auszieht und hinschmeißt, aber:
► dass Ihr den Lügen über uns nicht glaubt,
► dass Ihr Euch bei befohlenen Maßnahmen an Eure eigenen Vorschriften (Polizeiaufgabengesetz, Strafprozessordnung, Grundgesetz) haltet, was wenigstens ein Mindestmaß ein Korrektheit wäre,
► dass Ihr nicht auf dem rechten Auge blind seid, wenn z.B. Faschisten Antifaschisten angreifen und Ihr nicht die Täter, sondern die Opfer kriminalisiert,
► dass ihr das Streikrecht und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung achtet und dass Ihr Euch nicht zu Erfüllungsgehilfen der Konzerne und Unternehmer machen lasst,
► dass Ihr den Euch verbliebenen geringen Handlungsspielraum im Sinne von Menschlichkeit, Offenheit, Ehrlichkeit und Fairness nutzt.
Wusstet Ihr, dass Ihr unter bestimmten Voraussetzungen die Teilnahme an Einsätzen verweigern könnt, zum Beispiel, wenn Euer Einsatz sich gegen Verwandte richten könnte? Es kann eine Zeit kommen, wo Euch Eure Taten vorgehalten werden, wo manche von Euch die eigenen Handlungen als Fehler erkennen werden. Denkt deswegen darüber nach, was Ihr tut, und tut nur, was Ihr selbst bei genauem Nachdenken vor Eurem Gewissen verantworten könnt.
Was ist eine revolutionäre Situation?
Eine revolutionäre Situation entsteht niemals durch die Aktion einer Partei oder Gruppe, sondern entsteht nur durch objektive Tatsachen wie Verarmung, Verfolgung oder Entrechtung großer Bevölkerungsteile oder sogar der Bevölkerungsmehrheit. Global gesehen ist die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten verarmt und entrechtet, also kann es durchaus zu einer revolu-
tionären Situation kommen, wenn die Mehrheit Ihre Lage erkennt und handelt.
Beispiel: Spanische Revolution 1936
1936 versuchte General Franco die Macht durch einen Putsch zu erobern. Die Mehrheit der Bevölkerung stellte sich dem aber entgegen, ging indes zur Offensive und zur sozialen Revolution über. Große Teile der Armee und der Polizei unterstützten sogar das Volk in seinem Widerstand. Da das damals faschistische Deutschland gemeinsam mit Italien den Putschisten half, da die anderen europäischen Länder stillhielten und da die Sowjetunion, die schon lange kein soziali-
stisches Land mehr war, nur ihre eigenen Interessen eigennützig durchsetzte, musste die isolierte Revolution der Spanierinnen und Spanier scheitern.
Utopie? Ausnahme?
Eine kleine Parallele sehen wir im Verhalten der Polizeiorgane in jüngerer Zeit, als es zu den Auseinandersetzungen um das WAA Wackersdorf kam. Bei den Platzräumungen kam es immer wieder zum Stillstand, Gespräche fanden statt. Die meisten eingesetzten Polizisten fühlten sich unwohl in Ihrer Rolle; Demonstrantinnen und Demonstranten sowie Polizisten sahen sich nicht mehr unbedingt als Gegner. Daraufhin handelte die Einsatzführung und befahl das geschlossene Zurücktreten in die Formation; den Polizisten wurde das Reden untersagt.
Oder: Was wäre gewesen, wenn die Regierung der DDR 1989 nicht geahnt hätte, dass ein Schießbefehl gegen das eigene Volk nur teilweise befolgt worden wäre.
„Uns, den Arbeiterinnen und Arbeitern, machen die Ruinen keine Angst, denn wir tragen eine neue Welt in unserem Herzen. Und diese Welt wächst in diesem Augenblick.“
Buenaventura Durruti
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Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.