Materialien 2008
Der Preis des Gewissens
Kaum verwunderlich setzte nach dem spektakulären Freispruch des Majors Florian Pfaff durch das Leipziger Bundesverwaltungsgericht umgehend heftigste Urteilsschelte ein. Die Kommentatoren aus der rechtskonservativen Ecke der «Strategic Community» äußerten sich ebenso dreist wie ig-
norant über das höchstrichterliche Urteil. Der ehemalige Verteidigungsminister und vielzitierte Verfassungsrechtler Rupert Scholz befand, es sei nicht die Aufgabe eines Soldaten, zu bewerten, ob ein Krieg völkerrechtswidrig sei und ob er deshalb die Ausführung bestimmter Befehle verweigern dürfe. Gerade Berufssoldaten seien dem existenznotwendigen Prinzip von Befehl und Gehorsam verpflichtet. Deshalb könne es nicht sein, dass Rechtsfragen Gegenstand einer Gewissensentschei-
dung des Soldaten würden mit der Maßgabe, dass er den Befehl verweigern könne.
Diese Einlassungen mussten schon deshalb Erstaunen hervorrufen, weil bereits jedem Rekruten der Bundeswehr zu Beginn seiner Grundausbildung beigebracht wird, dass er Befehle, durch die eine Straftat begangen würde, gar nicht befolgen darf (§11 Soldatengesetz). Dieser Pflicht kann ein Soldat selbstverständlich nur dann nachkommen, wenn er die Rechtmäßigkeit von Befehlen prüft, bevor er sie ausführt. Dass einem ehemaligen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr derartiges wehrrechtliches Basiswissen offenbar nicht präsent war, konnte den Major Pfaff in seiner Haltung nur bestätigen.
Auch unter Bundeswehrgeneralen stieß das Urteil auf Ablehnung. Allerdings wagten wie üblich nur Pensionäre öffentliche Kritik. So sprach der ehemalige Inspekteur des Heeres, Jörg Schönbohm, der später sogar zum Staatsekretär auf der Hardthöhe befördert wurde und jetzt als Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident von Brandenburg fungiert, von einer »bedauerlichen Ent-
wicklung« und warnte unter Bezugnahme auf Theodor Heuss vor einem »Verschleiß des Gewis-
sens«. Darüber hinaus sah er die Bündnisfähigkeit Deutschlands in der NATO gefährdet, »wenn Bundeswehrsoldaten in wichtigen Funktionen plötzlich anfangen, sich auf ihr Gewissen zu beru-
fen«.
Kräftiger langte Jürgen Reichardt hin, der ehemalige Amtschef des Heeresamtes und jetzige Präsi-
dent des Bayerischen Soldatenbundes. In seiner Hauspostille mit dem bezeichnenden Namen Treue Kameraden Ausgabe 4/05 nannte er die Entscheidung der Leipziger Richter »eine befremd-
liche, unverständliche Gesetzesauslegung, vergleichbar jenem berüchtigten (sic!) ›Mörder-Urteil‹ des Bundesverfassungsgerichts. Sie liefert die Funktionsfähigkeit unserer Streitkräfte den persön-
lichen Anschauungen einzelner Soldaten aus, untergräbt somit die Grundlagen soldatischen Han-
delns und gefährdet die Verlässlichkeit unserer Streitkräfte.« Überdies witterte Reichardt Gefah-
ren für die »Fundamente des Staates« schlechthin. Den Gewissenskonflikt des Soldaten Pfaff an-
gesichts massiven Völkerrechts- und Verfassungsbruchs bezeichnete er als »eigentlich belanglose Sache« und unterstellte ihm »anmaßende politische Absichten politisierender Soldaten«. Bei dieser Gelegenheit schoß der General außer Diensten auch gleich eine ideologische Breitseite gegen das »sogen. ›Darmstädter Signal‹, eine kleine Gruppe politisch extrem linker Soldaten, die sich im Internet ihrer Kampagnen rühmen«, denn Pfaff sei dort Mitglied. Zu dumm nur, dass es sich bei Pfaff um einen tiefgläubig katholischen, politisch eher konservativen und unbeirrbar rechtstreuen Bayern handelt, der linken Umtrieben definitiv abhold ist. Bloß noch skurril wirkte dann Reich-
ardts Schlussappell an den Verteidigungsminister, die Revision des Leipziger Urteils als seine Auf-
gabe anzusehen. Offenbar hatte der General nicht mitbekommen, dass gegen die höchstrichterliche Entscheidung eine Revision gar nicht zulässig war.
Den Vogel schoss indes der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Oberst Bernhard Gertz (notabene Volljurist), ab, als er allen Ernstes zum Besten gab, man müsse hinsichtlich der Gewissensfreiheit für Soldaten »unterscheiden zwischen Wehrpflichtigen und Zeit- sowie Berufs-
soldaten«; für den Berufssoldaten gelte »eine deutlich stärkere Pflichtenbindung« (Westfälische Rundschau, 26. Juni 2008). Je höher Status und Besoldung, desto gewissenloser die Haltung, ließe sich daraus folgern. Konsequenterweise forderte Gertz, die Gewissensfreiheit für Soldaten einzu-
schränken; sie müsse gefälligst dort ihre Grenzen finden, wo die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr betroffen wäre.
Gottlob aber obliegt hierzulande die Rechtsprechung immer noch Richtern in Roben und nicht Schwadroneuren in Uniform.
In den Reihen der verteidigungsministeriellen Hofschranzen, wo man nach der Prozessniederlage die schmerzhaften Wunden leckt, denkt niemand an eine Geste des Bedauerns, gar ein Angebot zur Kompensation des dem Major Pfaff zugefügten Unrechts. Ganz im Gegenteil: Die Schikanen gegen ihn setzen sich fort. So wurde und wird ihm bis heute die beantragte »laufbahnrechtliche Schadlos-
stellung« mit der absurden Begründung verweigert, er selbst habe ja den Anlass für die Ermitt-
lungs- und Gerichtsverfahren gesetzt – als läge die Ursache der juristischen Auseinandersetzung bei dem rechts- und gewissenstreuen Major und nicht in den kriminellen Handlungen der damali-
gen Regierung und Bundeswehrführung. Denn messerscharf hatte das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die deutschen Unterstützungsleistungen für den Aggressionskrieg gegen den Irak geurteilt: »Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.«
Grotesk auch die Einlassungen, mit denen das Personalamt der Bundeswehr Florian Pfaff die ihm zustehende Beförderung versagt: Es bestünden »begründete Zweifel an seiner uneingeschränkten persönlichen Eignung und Befähigung«, einem höheren Dienstgrad gerecht zu werden. Dort, wo er seinen Dienst verrichtet, sieht man das völlig anders. In seiner dienstlichen Beurteilung schreibt der zuständige Vorgesetzte: »Major Pfaff ist ein gradliniger, eher ruhiger Stabsoffizier mit klaren Wertvorstellungen … Major Pfaff ist mit Überzeugung Soldat … Major Pfaff sollte nun auch zügig die durch seine Arbeit verdiente Beförderung zum Oberstleutnant zuteil werden.«
Zweitens aber – so das Personalamt – sei er »aus den anerkannten Gewissensgründen« nur »ein-
geschränkt verwendungsfähig«. Soll wohl heißen: Ein Soldat, der sich weigert, an einem Bruch der Verfassung mitzuwirken, ein Soldat, der seinem Gewissen folgt, während andere sich in Kadaver-
gehorsam üben, ein solcher Soldat ist in der Bundeswehr eigentlich fehl am Platze. Die Botschaft ist eindeutig: Wer nicht pariert, wird sanktioniert! Zwar hat das Verwaltungsgericht München Mit-
te Juni dieses Jahres die diffamierenden Winkelzüge des Verteidigungsministeriums verworfen und eine neue Entscheidung über Pfaffs Eignung für einen höheren Dienstgrad »unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts« verlangt (Aktenzeichen: M 21 K 06.1326), doch die kafkaeske Prozessiererei lässt sich mühelos noch jahrelang verschleppen, um den Bundeswehrmajor um sein gutes Recht zu betrügen.
Darüber hinaus herrscht bis auf den heutigen Tag in der gesamten Bundeswehr ein geradezu ohrenbetäubendes Schweigen über die Causa Pfaff. Totschweigen, aussitzen und den Soldaten Pfaff selbst mundtot machen, lautet die Devise. So antwortete der Chefredakteur der bundeswehrinter-
nen Desinformations- und Propagandaplattform Intranet aktuell , wo üblicherweise jede Nichtig-
keit, die sich in der Truppe ereignet, akribisch rapportiert wird, auf die explizit vorgetragene Anre-
gung, über die im Dezember 2006 erfolgte Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille an Pfaff gebührend zu berichten, mit Rückendeckung des Informations- und Pressestabes in Berlin: »Vie-
len Dank für den thematischen Vorschlag. Das Thema wird zur Zeit intern allerdings nicht gefah-
ren. Mit freundlichen Grüßen …« Im Hause des Franz-Josef Jung war und ist man, was den Um-
gang mit dem aufrechten Offizier Pfaff anbelangt, unübersehbar auf der Talsohle der Schäbigkeit angelangt.
Jürgen Rose in Ossietzky
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, begonnen im Ossietzky -Heft 1/08, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, dass er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
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Den Sicherungszugführer verunsichert
Bundeswehrmajor Florian Pfaff – er hatte 2003 seinen Einsatz im Irakkrieg aus Gewissensgründen verweigert und ist inzwischen in der Friedensbewegung engagiert – hielt in München eine Lauda-
tio zu Ehren der Soldatin Christiane Ernst-Zettl. Sie erhielt von der Humanistischen Union den Preis »Aufrechter Gang«. Als Sanitätsfeldwebel der Bundeswehr hatte sie sich persönlich für die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrechts im Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan ver-
antwortlich gefühlt – was ihr schlecht bekam. Sie wurde mit einer Disziplinarbuße von 800 Euro belegt und strafweise nach Deutschland zurückversetzt.
Warum? Was hatte sie getan?
Sie hatte Order erhalten, afghanische Frauen, die im ISAF-Camp in Kabul beschäftigt sind, mit der Waffe in der Hand zu kontrollieren und im Zweifelsfall zu schießen. Für diesen Sicherungsdienst sollte sie ihre Rot-Kreuz-Armbinde ablegen. Dagegen protestierte Christiane Ernst-Zettl bei ihrem Sicherungszugführer: Sie sei im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattantin und dürfe für Sicherheitsaufgaben nicht eingesetzt werden. Allein für ihre Meldung und den damit verbunde-
nen Versuch, sich an die Bestimmungen der Genfer Konvention zu halten, wurde die Soldatin be-
straft. Das Militärgericht befand: Christiane Ernst-Zettl habe mit ihrem Verhalten und ihren Zwei-
feln an dem Befehl den Sicherungszugführer verunsichert, den ordnungsgemäßen Dienstablauf be-
hindert, gar gestört; obendrein wurde ihr attestiert, dass ihr Handeln »ein bedenkliches Licht auf ihren Charakter« werfe. Keinen Gedanken verwendete das Gericht auf Fragen nach der völker-
rechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von SanitätssoldatInnen zu Wach- und Sicherungsaufgaben bei internationalen Einsätzen.
In ihrer Dankrede sagte die Preisträgerin, sie habe eigentlich nichts Besonderes geleistet, sondern sich lediglich auf Paragraph 10, Absatz 4 des Soldatengesetzes berufen und um Einhaltung des Völkerrechts, der Menschenrechte und des Genfer Abkommens von 1949 gebeten. Aber das ist eben der entscheidende Punkt: Ein Staat, der sich an Angriffskriegen beteiligt, verabschiedet sich damit von Menschenrechten und Völkerrecht.
Helga Killinger
20. Juli 2008 – www.linksnet.de/de/artikel/23302.