Materialien 2008
Rechte Politik unter falscher Flagge
— kulturelle Intoleranz hinter baurechtlichen Einwänden
Die Diskussion in Sendling
Anfang Juli fand in Sendling die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung im Rahmen des Bebauungs-
planverfahrens statt. Zu der von Moscheegegnern erhofften Massenveranstaltung gegen das musli-
mische Leben in München kam es dabei nicht, ein grauer Tag für die kommunale Selbstverwaltung war die von vielleicht zweihundert Leuten besuchte Versammlung trotzdem. Die Anhörung wurde ausgenutzt, um Polemiken an die Adresse des Islam im allgemeinen und die DITIM1 im speziellen anzubringen.
Es fielen die bekannten Stichworte vom hl. Krieg, der Unterdrückung der Frau, der fehlenden Trennung von Kirche und Staat. Diese Argumente spitzten sich darauf zu, dass der Islam in Deutschland keinen Platz haben dürfe, gefordert wurde auch die Erleichterung christlicher Mission in der Türkei. Dazu kamen Anklagen und Kritiken von Menschen, die mit ihren Familien aus der Türkischen Republik fliehen mussten. Die DITIM hängt mit der Religionsbehörde des türkischen Staats, der D.I.T.I.B. zusammen. Der türkische Staat setzt seit seiner Gründung durch Kemal Atatürk auf Türkisierung.
Vertreibungen, Massaker und massenhaften Tötungen an Armeniern, Griechen, Kurden und ande-
ren Bevölkerungsgruppen, die sich von der sunnitisch-türkischen Bevölkerung oft auch durch das Bekenntnis unterscheiden, sind traurige Kennzeichen der kemalistischen Politik. In die Legitima-
tion solcher Verbrechen ist die D.T.I.B. als staatsnahes Religionsamt verstrickt.
Den anwesenden Beamten der Stadt, neben den Fachbeamten des Bauamtes war auch OB Ude da, gelang es nicht, die Diskussion vom Gleis einer giftig geführten Islamkritik herunter zu holen.2 Auch die Repräsentanten der Kirchen und großen Religionsgemeinschaften, drangen mit ihren Plädoyers für religiöse Toleranz nicht durch. Es gab auch besonnene Stimmen, aber die meisten Wortmeldungen brachten Argumente, die sich keineswegs bloß gegen Standtort Gotzinger Platz richteten, sondern gegen islamisches Leben in München. So gelang es zum Kulturkampf ent-
schlossenen Politikern der Rechten zwar nicht, breite Bevölkerungskreise zu mobilisieren und
sie hatten unter den vielleicht zweihundert, die gekommen waren, auch keine Mehrheit für sich. Trotzdem war die Veranstaltung eine Manifestation der Intoleranz.
Offenbar reicht der in der Alltagskultur der Stadt fest verankerte Grundsatz vom „Leben und leben lassen“ zur Gewährleistung der weltanschaulichen Toleranz nicht aus, sobald Leute es darauf anlegen, einen Kulturkampf vom Zaun zu brechen. Ist das für Sendling sonst typische ruhige Zusammenleben nur eine Kulisse, die von einer Handvoll entschlossener Rechtsextremer jederzeit beiseite geschoben werden kann?
Untersendling: Ein Kind der großen Industrie
Die Moschee soll auf der östlichen Seite des Gotzinger Platzes in München Sendling errichtet werden. Das Stadtviertel im Süden Münchens, zwischen dem linken Ufer der Isar und dem alten Sendling, ist ein Kind der großen Industrie. Erst mit der Anlage des Isar-Werkkanals wurde das von Überschwemmungen geplagte „untere Feld“ der Sendlinger Flur Ende des 19ten Jahrhunderts zum sicheren Baugrund. Im dem neuen Viertel war Platz für typisch großstädtische Gewerbe. Zur Isar hin fallen Bauwerke zur Nutzung der Wasserkraft und andere große Anlagen der Stadtwerke ins Auge. Dem 1900 eröffneten Fruchthof folgte 1912 die von vorneherein an die Eisenbahn ange-
schlossene Großmarkthalle; damals und heute noch eine zentraler Umschlagplatz für Lebensmit-
tel, etwas stadteinwärts liegt der Schlachthof.
Das städtebauliche Konzept der Gründerzeit sah den Gotzinger Platz offenbar als Standort öffent-
licher Einrichtungen vor. Ein großzügiger Schulneubau aus dem Jahre 1906 steht noch heute, er begrenzt den Platz nach Süden hin, die Westseite wird von einer 1912 geweihten katholischen Kirche beherrscht. Mit fast schon klotzigen Türmen und riesenhaften Apostelfiguren kündet sie vom ungebrochenen Geltungsanspruch des Katholizismus in der anbrechenden modernen Zeit. Nach Osten hin zum Gelände der Großmarkthalle tut sich seit dem Zweiten Weltkrieg eine durch Bombenschäden entstandene Baulücke auf.
Das Viertel wird seit seiner Gründung nicht vom Glanz des hauptstädtischen Lebens beschienen. Nicht die Einrichtungen der Verwaltung, der Wissenschaft, der Kunst und Kultur, prägen das Bild, sondern die Bedürfnisse der Industrie und des Gewerbes. Transport, Großhandel, Weiterverar-
beitung von Massengütern verlangen auch heute noch harten körperlichen Einsatz, wie ihn Men-
schen gewöhnt sind, die aus dem bäuerlichen, dörflichen Milieu kommen. Sie bevölkerten das neue Viertel der damals rasant wachsenden Großstadt, weil sie ein neues, besseres, auch freieres Leben suchten, aber schon damals brachten sie neben ihrer Lust auf ein neues Leben auch ihre Traditio-
nen und religiösen Bindungen mit.
Schon 1895 gründete sich in dem neuen Viertel ein katholischer Kirchenbauverein. Die Stadt über-
ließ ihm 1911 in einer „Baracke“ Räume für eine Notkirche, erst 1926 konnte der wuchtige Bau am Gotzingerplatz dem in ganzen katholischen Bayern geliebten hl. Korbinian (der mit dem Bären) geweiht werden. 1906 wurde der Ostbau der Gotzinger Schule als katholische Grundschule eröff-
net. Es müssen auch viele Leute aus evangelischen Gegenden zugezogen sein. Schon 1907 wird im Westbau eine „protestantische Volksschule“ eröffnet. Bereits 1896/1897 hatte man in der Oberlän-
derstraße ein evangelisches Gemeindehaus errichtet. 1901 wurde ein Kirchenverein gegründet. 1919/1920 entstand durch Umbau des Sendlinger Vergnügungsetablissements Elysium die evan-
gelisch-lutherische Himmelsfahrtskirche, allerdings ohne Kirchturm; ein solcher durfte, wie die heutige Pfarrerin der Gemeinde bei der Moschee-Anhörung mit gut hörbar spitzigem Unterton anmerkte, erst 1963/1964 errichtet werden.3
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erwies das Viertel wiederum seine Anziehungskraft für Neuankömmlinge aus aller Herren Ländern, und auch sie kamen mit ihren Traditionen. 1989 ließ sich an der Schanzenbachstraße der Moschee-Verein DITIM nieder, der sich seither mit einem aufgegebenen Möbelhaus behilft und Träger des Moschee-Projektes ist.
Man kann mit Blick auf die letzten Jahrzehnte nicht behaupten, dass sich in diesem Viertel große kulturelle Spannungen aufgebaut hätten. Das Zusammenleben ist geprägt vom Respekt für den privaten Raum des Nachbarn, bis in die U-Bahn hinein gilt gegenseitige Nichteinmischung als der gute Ton. Man spürt eine Grundstimmung passiver Toleranz, von Konzentration auf die eigenen Sorgen, ungenierter Beanspruchung des öffentlichen Raums und freundlichem Desinteresse am Treiben der andern. Wie konnten in einem solchen Klima rechtsextreme Mobilisierungen und intolerante öffentliche Auftritte wuchern?
Religion, Bekenntnis, Lebensstil:
Privatsache, aber auch öffentliche Angelegenheit
Religion, Bekenntnis, Lebensstil entfalten in der modernen Welt ihre soziale Kraft vor allem im näheren persönlichen Umfeld, sie liefern Grundsätze und Regeln, die das enge Zusammenleben namentlich der Familien strukturieren, sie sind ein Mittel der sozialen Selbstorganisation. In diesem Bereich geht es um Regeln, die Menschen für „gut“ halten und aus freien Stücken für sich selbst gelten lassen. Solche Regeln müssen von Gesetzen unterschieden werden, die von einer politischen Mehrheit erlassen und mit Staatsgewalt durchgesetzt werden. Diese Trennung der Bereiche „vom Guten“ und „vom Rechten“, die der 2003 verstorbene Politikwissenschaftler John Rawls4 mit großem Scharfsinn entwickelt hat, erleichtert ein modernes Verständnis der Bekennt-
nisfreiheit, die sich nicht mehr nur auf ausgebaute, hoch organisierte Religionsgemeinschaften bezieht, sondern auch auf Zusammenhänge, die sich durch den Lebensstil ergeben.
Was die Bürgerinnen und Bürger für „gut“ halten, ist durchaus verschieden. Was geltendes Recht sein soll, ist Folge einer politischen, hoffentlich demokratischen, Entscheidung. Diese Dinge sind stets im Fluss. Ein passendes Beispiel bietet die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaf-
ten. Noch vor vierzig Jahren waren sie verboten, während es heute zum Glück strafbar ist, jeman-
den wegen seiner sexuellen Orientierung zu diskriminieren oder gar anzufallen.
Dieser Wandel war nur möglich, weil sich Menschen öffentlich zu derartigen Lebensentwürfen bekannten. Das Beispiel kann auch verdeutlichen, dass unter einem Bekenntnis keineswegs nur eine Religion in den herkömmlichen Formen verstanden werden soll, im Kern geht es um Werte, die von den Betroffenen frei und ohne Zwang gewählt werden und gleich oder ähnlich Eingestell-
ten signalisieren, was sie im näheren Zusammenleben voneinander erwarten können.
Die traditionellen Kirchen bieten ihren Anhängern eine ausgefeilte Konzeption vom Guten, die von der Wiege bis zum Grabe reicht. Der aktuelle katholische Katechismus, eine gedrängte Darstellung der Verhaltensweisen und Glaubenssätze die in dieser Religionsgemeinschaft gelten, besteht z.B. aus zwei Bänden von 432 und 478 Seiten. So umfangreiche Vorschriften kommen aus einer Zeit, in der das ganze gesellschaftliche Leben, im Geschäft und der Familie, im Krieg und im Frieden auf die Einhaltung kirchlich vorgegebener Gebote gegründet war.
Was der Mensch in der modernen Gesellschaft frei und selbst für sich verbindlich bestimmen kann, und was als Gesetz, d.h. unter Strafandrohung, gelten soll, ist heute eine Auseinandersetzung in den Bekenntnisgemeinschaften, es ist eine Auseinandersetzung zwischen den Bekenntnisge-
meinschaften, und es ist – nicht zuletzt – eine Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der breiten Öffentlichkeit, in der Religionsgemeinschaften ebenso mitspielen wie sonstige Kulturver-
eine, weltanschaulich geprägte Parteien usw. In diesem Diskurs vieler Kräfte neigen alle Akteure dazu, ihre Ansicht vom Guten durch Verwandlung in geltendes Recht abzusichern. Nur die Gleich-
berechtigung der anderen Bekenntnisse schiebt dem Marsch in den weltanschaulich gleichgeschal-
teten Staat einen Riegel vor und macht die Trennung der Bereiche Bekenntnis / Gesetz, Gemein-
schaft / Gesellschaft, Religion / Recht möglich. Da diese Trennungen nur durch die öffentliche Meinungsbildung vollzogen werden können, gehen Versuche fehl, Bekenntnisfragen als reine Privatsache aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.5
Die Grundrechte der Bekenntnis- und Religionsfreiheit sind mit der Meinungsfreiheit unzertrenn-
lich verbunden, aber die mit Religion, Bekenntnis und Lebensstil verbundenen Inhalte drängen werbend in die Öffentlichkeit und müssen Kritik aus der Öffentlichkeit ertragen.
Religion und Politik — Trennung und Zusammenhang
In der BRD werden Religionsgemeinschaften als Träger des Grundrechts der Religionsfreiheit an-
erkannt.6 Die soziale Funktion von Religion und Bekenntnis ist die Gemeinschaftsbildung, und so wäre alles andere nur ein böser Spott auf dieses Grundrecht. Die Grundüberzeugungen der Men-
schen, die sich im gelebten Leben festigen, sind wesentliche Quelle von Vorstellungen zur Gestal-
tung der öffentlichen Angelegenheiten. Sie kommen auch in den politischen Parteien zum Tragen. Die politischen Parteien, die wir heute kennen, sind geschichtlich ein Produkt der Trennung von Kirche und Staat. Im 19ten Jahrhundert stehen sich „klerikale“ und „antiklerikale“ Parteien ge-
genüber, geht der Streit um „liberale“ oder „kirchlich-konservative“ Lebensentwürfe, entstehen, flankierend zur Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung Volksbildungsvereine, die Freidenkerbewegung, die Frauenbewegung …
Während der direkte Einfluss der Kirchenorganisationen auf die Leitung des Staates als undemo-
kratisch zurückgewiesen werden muss, bleibt ihre Meinung zur Gestaltung der öffentlichen Ange-
legenheiten bedeutsam. In den Religions- und Bekenntnisgemeinschaften, die sich der Pflege des Lebens in der Gemeinschaft widmen, kommt eine Menge von Erfahrungen des sozialen Lebens an, gerade seiner Schattenseiten. Ohne die Bekenntnisgemeinschaften und ohne die von ihnen begrün-
deten sozialen Hilfsorganisationen würde die Öffentlichkeit von den traurigen Erfahrungen des Scheiterns viel weniger bemerken.
So ist die Beziehung zwischen den Bekenntnisgemeinschaften und ihren sozialen Einrichtungen und den Parteien heute nicht mehr von Konkurrenz um den Einfluss auf den Staat geprägt. Die Religionsgemeinschaften beteiligen sich nicht an Wahlen. Die Parteien respektieren die Religions- und Bekenntnisfreiheit.
Die Verantwortung von Bekenntnisgemeinschaften und die öffentliche Kritik
Bekenntnis- und Religionsgemeinschaften raten zur Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten, also gibt es Rede und Gegenrede. Soweit sie beanspruchen, eine zusammenhängende Konzeption vom „Guten“ zu besitzen, wird ihre gesamte Konzeption problematisch, wenn sie zum Falschen geraten haben. So konnten die christlichen Kirchen Deutschlands ihre Haltung zum Nazi-Staat und seinen Verbrechen letztlich nur verarbeiten, weil sie zeigen konnten, dass auch aus ihrer Reihen und auf der Grundlage ihrer Lehre Kritik und Widerstand entwickelt wurden. Aber die Frage, welche Mängel der Glaubenslehre dazu führten, dass auch Christen die Verbrechen des Naziregi-
mes duldeten (und nicht nur duldeten), beunruhigt auch heute noch Gläubige und Außenstehende.
Mit solchen Problemen stehen die Christen keineswegs nicht allein. So können und sollen sich auch Sozialisten fragen, wieso aus einer Theorie der Befreiung und der Menschenrechte eine Praxis staatlicher Übermacht abgeleitet werden konnte. Dieser Frage hat sich die aus der SED hervorge-
gangene PDS gestellt mit dem Ergebnis, dass die Grundrechte und Freiheiten der Person politi-
schen Zielsetzungen nicht untergeordnet werden dürfen.
Wer immer sich auf eine ausgebaute „Konzeption vom Guten“ berufen will, muss berücksichtigen, dass sein persönliches Handeln dadurch mit dem Tun von Leuten und Organisationen verknüpft wird, die sich auf diese Konzeption berufen, es sei an anderen Orten und zu anderen Zeiten.
Die weltanschaulichen Richtungen, Religionen, Bekenntnisse, die heute im öffentlichen Raum aufeinandertreffen, sind mit der Geschichte Europas und der Welt mit all ihren Schrecken ver-
flochten. Die Öffentlichkeit darf eine kritische Reflexion erwarten, ja sogar fordern.
Meinungsverschiedenheiten kein Grund für baurechtliche Einwände
Die moderne Großstadt entsteht als typische Form sozialen Lebens Ende des 19ten Jahrhunderts. Das Nebeneinander verschiedenster Gewerbe, Geschäfte, kultureller Einrichtungen, Wohnanlagen etc. bringt enorme ökonomische Vorteile mit sich. Neue Kombinationen ökonomischer Faktoren drängen sich im Ballungsraum geradezu auf. Die Vielgestalt des städtischen Raums bietet mannig-
fache Chancen der Lebenserfahrung. Während in der ländlichen Siedlung die soziale Umgebung als schicksalhafte Gegebenheit wirkt, prägen selbstgewählte Beziehungen das städtische Leben.
Die für das städtische Leben grundlegend wichtige Erwartung der ganz und gar privaten „eigenen vier Wände“ und des „anonymen öffentlichen Raums“ wird allerdings enttäuscht, sobald in der Nachbarschaft öffentliche oder private Bauherren aktiv werden (oder auch nur die Nachbarn laut). Das Recht zu bauen bedeutet nicht nur die Sicherheit, einen eigenen privaten Raum zu gestalten. Wer einen Platz einnehmen, ein Angebot an die Öffentlichkeit machen will, schließt andere von genau diesem Platz aus, beeinträchtigt Nachbarn, die nicht interessiert sind oder durch erhebliche Risiken und Nebenwirkungen im eigenen privaten Rückzugsraum gestört werden. Besonders herbe stellt sich das Problem, wenn es um Einrichtungen geht, die viel Platz beanspruchen, die Sicht auf den ganzen städtischen Raum ändern oder auch erheblichen Verkehr mit Lärm und Dreck auslö-
sen. So ist es in einer dicht gebauten Stadt schlechterdings unmöglich, etwas zu verändern, ohne in die Lebensgestaltung anderer einzugreifen und das oftmals sehr tief. Gäbe es nicht den oben er-
wähnten ökonomischen Sachverhalt, dass die irritierende Veränderung wenigstens der Möglichkeit nach neue Chancen mit sich bringt, die Aufgaben der Stadtplanung wären unlösbar. So aber be-
steht immer die Chance, auch für ein größeres Projekt die Unterstützung der öffentlichen Meinung in der Stadt zu gewinnen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die städtische Selbstverwaltung, die Struktur und Infrastruktur im Interesse der Standentwicklung plant. Dabei sind knallharte Kon-
flikte möglich, denn nicht selten mögen aufs Ganze gesehen die Vorteile eines Vorhabens über-
wiegen, während die Lasten sich in der unmittelbaren Nachbarschaft häufen. In solchen Fällen reicht die Klärung durch Mehrheiten nicht aus, die Anlieger können vor Gericht ziehen. Bei der Erteilung von Baurecht durch die Verwaltung gilt deswegen der Grundsatz der Beteiligung der Öffentlichkeit, damit derartige Probleme frühzeitig zur Sprache kommen, vielleicht im Zuge des Planverfahrens aus der Welt geschafft und, wenn es gar nicht anders geht, gerichtlich entschieden werden. Es leuchtet ein, dass in einer solchen Auseinandersetzung weltanschauliche Meinungs-
verschiedenheiten nichts verloren haben.
Selbstverwaltung und kulturelle Differenzen
Auf dem Wege der kommunalen Selbstverwaltung kann die zivile Gesellschaft einer Stadt heraus-
finden, welche baulichen Veränderungen der Gesamtanlage akzeptiert wird und wie die Interessen unmittelbar Betroffener gewahrt werden können. Im Einspruchsverfahren nehmen die Bürgerin-
nen und Bürger Einfluss auf die Entscheidung der Verwaltung. Wenn, wie es im Moschee-Streit scharf und polemisch geschah, Kritik an Inhalten eines Bekenntnisses zur Versagung von Baurecht führen soll, so schlägt das Recht auf inhaltliche Kritik in eine Verfolgung dieser Religion um. Das wird nicht etwa durch den Inhalt der Kritik bewirkt, sondern durch die Konsequenzen.
Während, um ein extremes Beispiel zu nennen, es durch die Meinungsfreiheit völlig gedeckt ist, die Katholiken zum Kirchenaustritt aufzufordern, weil der Katholizismus die Frauenordination nicht zulässt, kann ein kommunales Selbstverwaltungsorgan aus einem solchen Grund nicht den Bau oder die Renovierung einer Kirche unterbinden.
Warum kommen solch irrige Ideen so leicht auf? Jede Einzelperson hat das Recht eine Kritik vor-
zutragen und tut das dann und wann auch. Die Leute, an die eine solche Kritik gerichtet ist, kön-
nen sie annehmen oder zurückweisen oder sonstwie berücksichtigen. Im Verfahren der politischen Selbstverwaltung wird aber über einen Antrag entschieden. Die Kompetenz, Bürgern ein Recht zu versagen, haben in einer demokratisch geordneten Gesellschaft der Regel nur die politischen In-
stanzen, letztlich die Gerichte. Als Beteiligte in einem Planungsverfahren fällt auf die Bürgerinnen und Bürger aber eine Teil-Kompetenz, sie üben politische Gewalt aus. Sie sprechen nicht mehr in einem Diskurs, der zu Konsens oder Dissens führt, sondern in einem Verfahren, das über Bau- oder Nicht-Bau und damit letztlich über den Bestand der Gemeinde entscheidet. Der Unterschied zwischen Kritik einer Weltsicht und Verfolgung einer weltanschaulichen Gemeinschaft liegt also keineswegs auf der Hand, er muss in einer öffentlichen Auseinandersetzung – vielleicht mühsam – herausgearbeitet werden.
Die Stadtratsmehrheit, die den Münchner Muslimen eine angemessene Chance zur Pflege und Ent-
wicklung ihrer Religionsgemeinschaft bieten will, hatte zunächst versucht, die Mitwirkungsrechte im Bauplanungsverfahren zu unterlaufen und die absehbare Auseinandersetzung so zu umschif-
fen.7
Es entstand eine verquere Situation: Kräfte, denen es um die Zerstörung der Toleranz und Durch-
setzung einer Leitkultur zu tun ist, konnten sich als Vorkämpfer von Mitwirkungsrechten der Bür-
gerinnen und Bürger aufstellen. Wie nötig eine solche Maskerade die rechte Politik hat, lehren die Ereignisse in Köln. Als die Betreiber der dortigen Anti-Moschee-Kampagne ihre intoleranten Ziele offenbarten und zu einem Anti-Islam-Kongress aufriefen, scheiterten sie am Widerstand der Zivil-
gesellschaft.8 Es spricht alles dafür, dass es zur Wahrung von religiöser Toleranz und interkultu-
reller Verständigung keinen anderen Weg gibt als durch Demokratie.
Martin Fochler
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1 DITIM steht für „Türkisch-Islamisches Kulturzentrum München“. DITIM ist ein türkisch-islamischer Moscheeverein, der seit 1989 besteht und in Sendling die Moschee in der Schanzenbachstraße 1 betreibt. Der Dachverband, zu dem DITIM gehört, heißt D.I.T.I.B. und residiert in Köln. DITIM untersteht (wie D.I.T.I.B.) dem türkischen Religionsministerium bzw. der türkischen Religionsbehörde Diyanet. (www-gotzingerplatz.de)
2 Die sorgfältige und instruktive Begründung zum Bebauungsplan, die zu diesem Zeitpunkt auslag und dieser Zeitschrift vorliegt, steht derzeit der Öffentlichkeit leider nicht zur Verfügung, da sie Teil eines Rechtsstreits zwischen den Einwendern und der Stadt geworden ist.
3 Eine guten Einstieg in die Geschichte des Stadtteils liefert die Internetseite www.gotzingerplatz.de, die auch auf viele weitere Interneteinträge verweist.
4 John Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, Frankfurt am Main 2003, 44 ff.
5 A.a.O.
6 Siehe auch Seite 4 dieser Ausgabe: Johannes Kakoures, Religionsfreiheit und Grundgesetz.
7 Siehe auch Seite 1 dieser Ausgabe, Brigitte Wolf, Moschee am Gotzinger Platz – Gleichberechtigung der Religionen für Die Linke eine Grundsatzfrage.
8 Siehe auch Seite 6 dieser Ausgabe, Benjamin Wernigk, Jörg Detjen, Internationaler Rassistenkongress verhindert – Ganz Köln stellte sich quer.
Studienreihe. Zivilgesellschaftliche Bewegungen — Institutionalisierte Politik. 8/2008, 2 ff.