Materialien 2008

Presseinformation vom 7. Februar 2008

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei der „Münchner Sicherheitskonferenz“ dokumentiert und beurteilt seit Jahren eine Gruppe von Abgeordneten, ÄrztInnen, JournalistInnen, JuristInnen, TheologInnen und Angehörigen von Men-
schenrechtsgruppen, wie die DemonstrantInnen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahr-
nehmen, und wie die Polizei es garantiert. Sie kennen die Arbeit der OSZE-Wahlbeobachter, und beim letztjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm haben Sie die JuristInnen des Republikanischen Anwältevereins gesehen, die die Rechtmäßigkeit der Proteste und des polizeilichen Vorgehens vor Ort beobachteten. Andernorts sind es die „Pastorengruppe bei den Castorentransporten“ oder das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die in bürgerrechtlicher Tradition „Demo-Beobachte-
rInnen“ stellen.

[ Unsere (Münchner) Pressemitteilung direkt im Anschluss an die vorjährige Sicherheitskonfe-
renz finden Sie am Fuß nochmals wiedergegeben. Sie stellt unsere (überwiegend leider regelmä-
ßig wiederholten) hauptsächlichen Kritikpunkte mit Kenntnisstand direkt nach den (vorjährigen) Demonstrationen zusammen. Unser Schreiben an die Mitglieder des Münchner Stadtrats mit der Bitte, auf eine Zivilisierung des Polizeieinsatzes hinzuwirken, finden Sie unten, zusammen mit der freundlichen Antwort des Stadtvorsitzenden der Freien Wähler Michael Piazolo. (Seine KollegIn-
nen hatten noch keine Gelegenheit zu reagieren.)
] …

Bitte achten Sie mit uns darauf, dass Menschenleben nach Kräften geschont werden: Im Nachgang auf die in paramilitärischer Weise durchgeführten in-Gewahrsamnahmen nach Abschluss der vor-
jährigen Demonstration hatte die stellvertretende Vorsitzende des Landtags-Innenausschusses MdL Helga Schmidt-Bussinger beim zuständigen Innenminister nachgefragt, wie sich vermeiden lässt, dass in Gewahrsam genommenen Personen auf dem Bauch liegend die Hände auf den Rük-
ken gefesselt werden – was nach ärztlicher Auskunft reflektorisch zu bedrohlicher Atemnot führt. Innenminister Dr. Günther Beckstein antwortete am 24. Mai 2007, dass ein „Zu-Boden-bringen von Personen durch die Polizei … nur praktiziert wird, wenn die Situation ein derartiges Einschrei-
ten unumgänglich macht.“ Unsere Beobachtung sieht bisher leider anders aus, wir wären geneigt, es für ein gefährliches Standard-Vorgehen der Polizei zu halten.

In der Berichterstattung hat sich ein unseres Erachtens verharmlosender Terminus etabliert: oft ist von „Rangeleien“ am Rande einer Demonstration die Rede – als ob gleich Starke oder Gleichrangi-
ge freiwillig eine Rauferei begönnen. Unserer Beobachtung nach verhält es sich dagegen so, dass man es sich nicht aussuchen kann, ob man als friedlicher Demonstrationsteilnehmer in die Hände gleich einer ganzen Einheit durchtrainierter und bestens ausgerüsteter Bereitschaftspolizisten (oder gar USK-Polizisten) gerät, das passiert sogar den harmlosesten „Friedensomas“. Im Rahmen ihrer Ausbildung lernen die kasernierten Polizistinnen und Polizisten, die natürliche Schlaghem-
mung zu überwinden (was sicher für manche Einsätze auch erforderlich ist). D.h. sie schlagen zu, bevor ein friedlicher Mensch das gewahrt, und es gibt auch Befehle wie „mit den Füßen treten“.

(Demgegenüber blieben durchaus mögliche Gefährdungen durch etwaige fliegende Flaschen oder Steine von Demonstrationsteilnehmern o.ä. in der Vergangenheit völlig überwiegend rein theore-
tisch.)

Die Proteste der Demonstration richten sich gegen die Sicherheitskonferenz, nicht gegen die Poli-
zei. Unserer Ansicht nach ist es mehr als ungeschickt, wenn junge und ältere Menschen Jahr um Jahr Polizei in einer Art und Weise erleben, die sie langfristig auf ein „Feindbild Polizei“ konditio-
nieren wird. Demokratisch fragwürdig ist auch, wenn der Mehrzahl der rund 70 Prozent Bundes-
bürger, die gegen den Afghanistan-Krieg sind, signalisiert wird, sie würden sich durch eine Teil-
nahme an einer angemeldeten und genehmigten und friedlichen Demonstration selbst in Gefahr bringen.

Sie tragen mit Ihrer Berichterstattung zur öffentlichen Wahrnehmung bei. So werden erschrecken-
de Fotos von Polizeigewalt kontextabhängig völlig gegensätzlich bewertet: die Bildunterschrift bei einem weißrussischen Foto würde etwa lauten: „Polizei knüppelt Opposition nieder“, und bei einem identischen aus München: „Vereinzelt gab es Ausschreitungen“. Bei uns wird einfach unter-
stellt, dass Polizei nur dann unmittelbare physische Gewalt einsetzt, wenn sie „unumgänglich“ (Beckstein) ist. Bitte recherchieren Sie diese „Unumgänglichkeit“ in jedem von Ihnen dokumen-
tierten Fall!

Wenn Sie sich selbst ein Bild machen, beachten Sie bitte, falls Sie erwägen, dies in enger Fühlungs-
nahme mit der Polizei zu tun, die Problematik des „embedded journalism“: Es hat sich erwiesen, dass man, ist man „eingebettet“, sich auch der Sichtweise seiner Partner verpflichtet fühlt.

Mit freundlichen Grüßen,

Luise Rauschmayer
für die „Beobachtergruppe zur Sicherheitskonferenz“


Email an G.G. am 7. Februar 2008