Materialien 2009

Frieden? Ja, aber ...

Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen
6. April 2009, 19.30 Uhr
Frieden? Ja, aber …
Wie sich die Friedensbewegung verändert hat
Von Rosemarie Bölts

Spr. vom Dienst
Frieden? Ja, aber … — Wie sich die Friedensbewegung verändert hat — Von Rosemarie Bölts

Musik 1: Fasia Jansen und Dieter Süverkrüp: „Unser Marsch ist eine gute Sache“ (Original Ostermarsch 1963) unter den nächsten O-Ton ziehen:

O-Ton Claus Schreer
Seit 62/63 habe ich in München mit die Ostermärsche organisiert. Wir haben damals sehr klein angefangen. Wir waren am Anfang ganz wenige und sind im Gänsemarsch durch die Landschaft gezogen, weil, die Straße musste für den Verkehr frei gehalten werden.

Musik 2: Konstantin Wecker „Sage nein!“ wieder hochziehen — Parolen — unter O-Ton ziehen …

O-Ton Claus Schreer
Also, wir haben damals drei Tage-Märsche gemacht. Das ging Karsamstag los und endete dann mit ner Schlusskundgebung am Ostermontag hier in München, wo der Erich Kästner geredet hat am Königsplatz. Sowas findet man heute selten, dass Intellektuelle, Schriftsteller, bekannte Künstler – da ist der Konstantin Wecker eher ne Ausnahme – sich bei solchen Sachen engagieren.

Sprecherin
„Solche Sachen“ wie: „Nie wieder Krieg!“ „Kampf dem Atomtod!“ „Schwerter zu Pflugscharen“ „Ohne Rüstung leben“ Parolen auf Ostermärschen und Massendemonstrationen. „Frieden schaffen ohne Waffen“. „Solche Sachen“ wie: Menschenketten, Sitzblockaden, Protestaktionen gegen Gelöbnisfeiern der Bundeswehr und Nato-Doppelbeschluss, gegen Cruise Missiles in West- und SS-20-Raketen in Ostdeutschland. „Solche Sachen“ wie die über vier Millionen Unterschriften des „Krefelder Appells“ gegen die Stationierung von Atomwaffen in Europa. Solch eine gelungene Sache wie die friedliche „Revolution“ 1989 in der DDR, die die evangelisch geprägte Friedensbewegung dort in Gang gesetzt hatte. Und solch eine Sache wie die bislang größte Demonstration überhaupt gegen den Irakkrieg 2003, an der insgesamt weltweit fünfzehn Millionen Menschen teilgenommen haben sollen. Allein in Berlin schätzte man 500.000 Menschen auf den Straßen. Das Nein zum Irakkrieg bescherte Bundeskanzler Gerhard Schröder eine zweite Amtszeit.

O-Ton Peter Strutynski
Ohne das Wirken der Friedensbewegung wäre es undenkbar, dass wir heute eine Gesellschaft in der Bundesrepublik haben, die zum ersten Mal seit 150 Jahren nicht mehr militaristisch gesinnt ist, sondern friedlich gesinnt ist. Es gab vor zwei Jahren eine Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, die gesagt hat, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland pazifistisch eingestellt ist. Sie meinten, dass die Mehrheit der Bevölkerung zum ersten Mal auch in der Geschichte sich generell gegen Bundeswehreinsätze im Ausland richtet. Und ich sage, dass die deutsche Bevölkerung heute mehrheitlich kriegsabstinent und vielleicht sogar kriegsresistent ist. Das ist ein Ergebnis auch unseres Wirkens, wo sich diese pazifistische Struktur oder Gesinnung so Schicht für Schicht akkumuliert hat in den Menschen.

Sprecherin
Peter Strutynski ist Sprecher des Kasseler „Friedensratschlags“, der seit 1994 einmal im Jahr zum bundesweiten Treffen der Friedensbewegung nach Kassel einlädt. Um die 400 Teilnehmer kommen aus mindestens 130 Initiativen und Orten, nicht, um Aktionen zu verabreden, sondern um Inhalte zu diskutieren, betont Peter Strutynski. Die Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung und die Weltpolitik analysieren, um daraus Schlussfolgerungen für die Friedensbewegung zu ziehen. Solche Sachen. Kassel liegt nicht nur geographisch zentral, hier hat der Alt-Achtundsechziger an der Universität auch die Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung initiiert, die mit regelmäßigen Beiträgen auf ihrer Webseite für ständigen Informationsfluss sorgt:

O-Ton Peter Strutynski
Die Friedensbewegung macht keinen Frieden. Die Friedensbewegung rüstet nicht ab. Die Friedensbewegung sitzt nicht an den Schaltstellen. Sondern die Friedensbewegung wirkt durch Aufklärung in der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit. Und dadurch kann auf die Akteure in Verbänden, Vereinen, in der Politik, in den Parteien Druck ausgeübt werden, dass sich etwas ändert.

Regie: einblenden und überblenden von: Klickgeräuschen mit der Computermaus und Tastatur

Sprecherin
Wenn man „Frie-dens-be-we-gung“ und „Deutsch-land“ bei Google eingibt, erhält man über 140 000 Einträge. Trotzdem erfährt man nicht, wie viele Menschen es in wie vielen Friedensorganisationen denn nun sind. Es gibt keine Statistik. Es gibt keine Zentrale, wenn man von den so genannten „informellen“ Dachverbänden absieht. Dazu gehört der bereits erwähnte Kasseler „Friedensratschlag“ und das aus dem Forum der Großdemonstrationen der 80er Jahre hervorgegangene „Netzwerk Friedenskooperative“ in Bonn, das sich selber als „Koordinierungsstelle für außerparlamentarische Aktion“ beschreibt und ebenfalls eine sehr aktive Kommunikationspolitik betreibt. Die älteste, 1892 von der späteren Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner gegründete und immer noch größte pazifistische Organisation ist die DFG-VK, die Deutsche Friedensgesellschaft-

Vereinigte Kriegsdienstgegner, die mit der Abschaffung der Gewissensprüfung bis in die 80er Jahre über 20.000, jetzt immer noch viereinhalbtausend Mitglieder zählt. Und natürlich hat jeder mit allen zu tun. Denn es geht ums Anliegen: um Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit und nicht um Vereinsmeierei, erklärt der bayerische Landesgeschäftsführer Thomas Rödl:

O-Ton Thomas Rödl
Wie engagiert man sich für Frieden? Ich sag immer gern, bei der Bundeswehr gibt es eine zentrale Dienstvorschrift. Da ist alles geregelt, von der Unterhose bis zum Gewehr-Zerlegen und zum Zusammenbauen, nur eines haben sie nicht geregelt: wie man den Krieg gewinnt. Und bei uns gibt’s überhaupt keine zentrale Dienstvorschrift, und jede Generation, die sich engagiert und die sich empören über die Verhältnisse, machen ihre eigenen Erfahrungen und finden ihre eigenen Ausdrucksformen.

Sprecherin
Tatsächlich ist die Friedensbewegung eine im eigentlichen Sinn unüberschaubare „Bewegung“ geblieben, die in lokalen und regionalen Gruppen, Initiativen, Kreisen, Bündnissen, Netzen, Foren und so weiter netzartig über die Bundesrepublik mäandert. Zur Zeit des Nato-Doppelbeschlusses, der Hoch-Zeit der Friedensbewegung bildeten sich auch viele berufsbezogene Gruppen wie die weltweit agierende IPPNW, Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs; die IALANA, Internationale Vereinigung der Juristen gegen Nuklearwaffen; Friedensbetriebsgruppen wie bei Opel und Daimler, an den Universitäten, in den Stadtverwaltungen. Auf jeden Fall ist es heute noch ein ziemlich bunter Haufen, der quer durch alle Gesellschaftsschichten bis ins kleinste schwäbische Dorf wie Mutlangen oder ins Castor-Wendland zur – so der Name der Anti-Atomendlager-Initiative – „Kurve Wustrow“ reicht, und dessen einzige eindeutige Abgrenzung die nach politisch Rechts ist:

O-Ton Thomas Rödl
Es gibt manche, die sind weltanschaulich eher sozialdemokratisch, andere sind weltanschaulich mehr Kommunisten, andere sind mehr Anarchisten oder haben dazu überhaupt keine Meinung oder glauben an die Marktwirtschaft. Und solche Grundeinstellungen und Annahmen stoßen dann halt aufeinander.

Sprecherin
Bei den Allianzen und Dissonanzen geht es um Richtungsentscheidungen in Sachen Frieden: Mit oder ohne Bundeswehr? Blauhelm-Einsätze oder nur zivile Konfliktbearbeitung? Waffen für Befreiungskämpfer? Ist man Pazifist und gegen jede Art von Gewalt? Oder ist man „Antimilitarist“ und hält Waffengewalt unter historisch gegebenen Umständen für zulässig? Wie also geht man mit dem Unfrieden in Friedenskreisen um? Thomas Rödl hat als langjähriger Aktivist seit nunmehr über 30 Jahren genug Gruppen- und Gremienerfahrungen gesammelt:

O-Ton Thomas Rödl
Also, man verhält sich weitgehend friedlich. Man hält sich dann an so Sachen, dass man versucht, immer Konsens zu erreichen. Wenn’s keinen Konsens gibt, dass man dann Minderheitenvoten ausdrücken kann. Und wenn man sich nicht einigen kann zum Thema, dann sagt man: Friedensbündnis unterstützt mehrheitlich… Typische, pazifistische Reaktion ist dann die, aus so einem Bündnis eher rauszugehen und dann ein eigenes Ding oder eigenen Arbeitskreis oder eigene Projektgruppe zu machen.

Sprecherin
Trotz mancher Zellteilung sind es oft immer noch dieselben, die sich seit rund 30 Jahren in ihren Friedensgruppen treffen. Angesichts der vielen Ergrauten könnte man auch meinen, dass der Slogan sich gewandelt hätte zu: Gemeinsam in Frieden alt werden. Aber, wenden die Alt-Aktivisten ein, die Friedensbewegung sei doch noch nie eine Jugendbewegung gewesen. Auffallend sei eher das Fehlen der Generation zwischen 30 und 50, was auf die Entpolitisierung in der Ära Kohl zurückgeführt wird. Für den Bundesgeschäftsführer der DFG-VK, Monty Schädel, sieht die Lage heute so aus:

O-Ton Monty Schädel
Es ist sicherlich so, dass die Jugend heute nicht mehr die Kriegsgefahr als solche wie in den 80er Jahren wahrnimmt. Aber wir haben insgesamt doch sowieso in den letzten Jahren zunehmend junge Leute mit dabei, nicht nur bei den Demonstrationen. Wir haben ganz, ganz fürchterlich, nenn ich das mal, fürchterlich damit zu tun, dass außer-parlamentarische Kräfte nur dann zu Wort kommen, wenn sie wirklich mit Geld ausgestattet sind, mit großen Geschäftstellen, mit Hauptamtlichen ausgestattet sind.

Sprecherin
Der 39-jährige Monty Schädel hat in jeder Hinsicht eine friedensbewegte Ausnahmebiographie. In der DDR auf dem Land groß geworden. Mit 15 wild entschlossen, dem Frieden mit der Waffe in der Volksarmee zu dienen. Zuerst jedoch eine Lehre als Koch. Mit 18 dann Eintritt in die SED und nach dem Mauerfall Austritt aus der PDS. Da war Monty Schädel gerade 23. 1998 als Totalverweigerer zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt. Danach als Parteiloser vier Jahre bei der Fraktion der „Linken“ im Schweriner Landtag, zuständig für „Friedenspolitik“. Eine zweite Ausbildung als Erzieher. Bekannt wurde er 2007 als Koordinator der Gegenveranstaltungen zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Seitdem ist er Bundesgeschäftsführer der DFG-VK. Monty Schädel, der nichts mit der Friedensbewegung in den Kirchengemeinden der DDR zu tun hatte, ist heute der einzige prominente „Ossi“-Stern am Friedenshimmel.

O-Ton Monty Schädel
Wir haben keinen Milliardenhaushalt wie die Bundeswehr. Wir werden nicht einfach so in Schulen eingeladen. Sondern da gibt es Entscheidungen in den Landesbildungsministerien, die sagen, Friedensbewegung darf nur mit Bundeswehr rein, obwohl die Bundeswehr allein in die Schulen rein darf. Weil wir ja angeblich immer nur Mitgliederwerbung machen. Die Bundeswehr macht das natürlich niemals. Und wenn dann die Bundeswehr heute in Universitäten Einrichtungen finanziert und auch darauf achtet, dass sie Einfluss an bestimmten Punkten in der Industrie, in der Bildung hat, dann hat das auch die Auswirkung für uns, dass wir viel, viel schwieriger wahrgenommen werden.

Sprecherin
30 Milliarden Euro hat der Verteidigungshaushalt zur Verfügung. 30 Millionen Euro hat die Bundesregierung im Bundesentwicklungshilfeministerium BMZ für die Zivilen Friedensdienste der ohnehin von ihr unterstützten kirchlichen und staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen übrig. Die Friedensbewegung als solche bekommt keine staatliche Unterstützung. Flyer, Plakate, Informationsschriften, Tagungen, Dossiers, Vorträge, Podiumsveranstaltungen, Demonstrationen, das alles – wie auch Hauptamtliche zum Beispiel der DFG-VK- wird aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. Ein mühsames Geschäft. Monty Schädel:

O-Ton Monty Schädel
Die Freunde der DFG-VK in Kiel haben im Jahr 43 Infostände an nem Sonnabend gemacht. 43 Infostände, das heißt also fast jedes Wochenende ein Infostand. Dann kommt dann schon nicht mehr die Kieler Nachrichten, um ein Foto zu machen, weil, die machen das ja immer. Wenn die Bundeswehr dann dahin kommt mit nem Platzkonzert, dann sind die da. – Musik 3: Bots „Das weiche Wasser“ unter Text ziehen

Sprecherin
Quizfrage: Kennt jemand die drittälteste internationale Friedensorganisation, 1915 von eintausend Frauen aus ganz Europa und Übersee in Den Haag gegründet? Es ist die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ IFFF, die einen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen hat und deren deutsche Sprecherin Irmgard Heilberger die Ignoranz gegenüber der Frauenfriedensarbeit auch unter gleichgesinnten Männern feststellt:

O-Ton Irmgard Heilberger
Sie werden in der Friedensbewegung viele Männer treffen, die alle UN-Resolutionen betreffs Palästina mit allen Nummern runterbeten, aber wenn ich sag, die Resolution 1325 – dann sagen die, was ist das? Und die Resolution 1325 ist auch ein Erfolg meiner Organisation, die das erste Mal vom Sicherheitsrat verabschiedet 2003 und die erste Resolution, die Frauen nicht nur als Opfer von Kriegen definiert, sondern den Frauen auch eine tragende und führende Rolle im Friedensprozess zuschreibt.

Sprecherin
Nein, Frauen seien nicht die friedlicheren Menschen. Aber: „Man fragt uns immer erst, wenn der Krieg schon los gegangen ist“. Dabei sei Prävention der Schlüssel zum Frieden:

O-Ton Irmgard Heilberger
Wenn man wirklich Krieg als letztes Mittel einsetzen würde, dann gäb es nicht so viele Kriege. Es gibt ganz andere Interessen, warum man Kriege macht. Man verdient am Krieg. Man kann alte Waffen entsorgen. Man kann sich bereichern mit Ressourcen, die einem eigentlich nicht gehören. Inzwischen behauptet man sogar, für uns Frauen macht man Krieg, ja. In Afghanistan – für die Frauenrechte wird gebombt!

Sprecherin
Die Internationale Frauenliga zieht immer mehr jüngere Frauen an, die ihr Friedens-Engagement beruflich verbinden, was wiederum mit der Themenkomplexität zu tun hat. Um das „Friedensrisiko Klimawandel“ im Zusammenhang mit Flucht und Menschenrechten für Migranten in Europa geht es zum Beispiel auf der Tagung, die die IFFF mit der Petra-Kelly-Stiftung veranstaltet. Auch dieses Bildungswerk der Grünen ist ein Relikt aus früheren Zeiten. Gehörte doch Petra Kelly 1979 zu den Gründern der Grünen, die als politischer Arm der Friedensbewegung in die Parlamente einzogen. Und dann 1999, Tabubruch Jugoslawien. Mit dem Grünen Joschka Fischer als Außenminister. Kosovokrieg. Auslandseinsatz der Bundeswehr.

Atmo 1 Friedenssteuer Blenden, dann hochziehen „…www.netzwerkFriedenssteuer.de“ – (0.35 )/ ab 0.28 frei stehen lassen?

Sprecherin
Zwölf Leute, fast alle um die 60, treffen sich am arbeitsfreien Samstag in einem geräumigen, hellen Büro einer Ingenieur-Genossenschaft zum letzten Schliff an ihren Formulierungen für eine 29 Seiten umfassende Verfassungsklage, die sie in Karlsruhe einreichen wollen. Sie sind eine Basisgruppe des 1983 gegründeten, lokal bis international agierenden „Netzwerks Friedenssteuer“. Bis zu zwanzig Prozent der Steuergelder werden für Rüstung und Militär ausgegeben. Also wollen sie erreichen, dass jeder Steuerzahler selbst bestimmt, ob er seine Steuer für Kriegs- oder für zivile Zwecke abgeben will:

O-Ton Ulla Klotz
Was politisch wirksam ist, fängt beim Individuum, bei sich selber an. Auf der anderen Seite sehe ich die militärischen Strukturen, die Gewaltstrukturen, die wir ja ermöglichen, indem sie durch Steuergelder bezahlt werden. Und ich stell mir die Frage des Kreislaufs. In welchem Kreis kursieren meine Mittel, meine Kreativität, mein Geld, meine Energie? Die Frage: Was nährt mich? Wen nähre ich?

Sprecherin
Ulla Klotz, 61, verheiratet, drei Kinder, fünf Enkel, Geschäfts-, inzwischen wieder Hausfrau. Hat eine Karriere hinter sich, die mit der „Kampagne ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“ und Sitzblockaden in Mutlangen begann, die ganze Familie nach Wackersdorf marschieren ließ, durch die Tschernobyl-Reaktorkatastrophe in die Öko-Bewegung und zum eigenen Naturkostladen führte und als Expertin für Energiewirtschaft und Friedenssteuer sicher noch nicht zu Ende ist. Vorträge halten, Unterschriften sammeln, Papiere formulieren, und immer wieder Infostände. Nein, Karriere würde sie das nicht nennen, eher einen konsequenten Weg zu einem „guten Leben“. Wir können die Verantwortung dafür doch nicht den Politikern überlassen, meint Ulla Klotz:

O-Ton Ulla Klotz
Es geht immer drum, Tatsachen zu schaffen, kleine Projekte, Alternativen, wie wir zu Frieden kommen können, ohne Gewalt einzusetzen. Und da bin ich wieder bei der Effizienzfrage. Gewalt ist unglaublich viel teurer, als wenn wir gleich den sanfteren Weg gehen. Das sehen wir jetzt im Gaza-Konflikt. Wir sehen es in Afghanistan: Wo lebenswichtige Strukturen zerstört werden, wächst der Hass.

Sprecherin
Zweimal wurde Ulla Klotz bei der Blockade der Pershing II-Raketen in Mutlangen verhaftet, wegen Nötigung verurteilt und viereinhalb Wochen ins Gefängnis gesteckt. Vorbestraft, wie viele der 2998 anderen Festgenommenen auch. Dreizehn Jahre später hob das Bundesverfassungsgericht alle Urteile wegen Verfassungswidrigkeit wieder auf.

O-Ton Ulla Klotz
Zu Anfang war ich voller Wut und Hass und hätte auch gern mal so nen Zaun vom Militärgelände durchgeschnitten. Aber ich hab gemerkt, wenn ich bereit bin, Gewalt gegen Sachen einzusetzen, ist die Grenze – ja, niedriger. Und da hab ich eine ganz gute Schule durchgemacht durch das Zusammenarbeiten in der Friedensbewegung.

Atmo 2 Infostand einblenden, als Hintergrund-Atmo im nachfolgenden Sprecherin-Text durchziehen

Sprecherin
Ulla Klotz wieder mal am Infostand, diesmal bei einer Veranstaltung des Münchner Friedensbündnisses im Alten Rathaus. Seit vier Jahren gehört auch Münchens Oberbürgermeister zu den „Mayors for Peace“, den Stadtoberhäuptern weltweit, die sich für eine atomwaffenfreie, friedliche Welt einsetzen. Man kennt sich, man umarmt sich, man trifft sich wieder und schwelgt in Erinnerungen, zum Beispiel an den G8-Gipfel in Heiligendamm vor eineinhalb Jahren:

Atmo 2 wieder hochziehen – „Ich denke an das gute Leben, das wir im Bombodrom hatten“ – Lachen – „zauberhaft schöne Besetzung – ganz spontan haben sich Leute gefunden, die getanzt haben, ein Beispiel, wie schön Leben sein kann“…Stimmengewirr…

Sprecherin
Alljährlicher öffentlicher Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Krieg und Frieden ist die „Münchner Sicherheitskonferenz“ Anfang Februar, die seit sieben Jahren von lautstarken Demonstrationen und der alternativen „Internationalen Friedenskonferenz“ im Alten Rathaus begleitet wird. Beide Veranstaltungen sind hochkarätig besetzt. Der Aufwand im Luxushotel „Bayerischer Hof“ – über 300 Teilnehmer, Staats- und Regierungschefs, Militärs und Rüstungslobbyisten werden durch 3 700 Polizisten geschützt – ist jedoch unendlich höher als im Festsaal des Alten Rathauses beim Münchner Friedensbündnis, wo für ein mit drei Wissenschaftlern besetztes Podium ein Solidaritätsbeitrag von fünf Euro pro Zuhörer anfällt. Für die kanadische Ex-Präsidentin des IPPNW, Mary-Wynne Ashford. Den deutschen Friedensforscher Werner Ruf. Und den Stifter des Alternativen Nobelpreises und Gründer des World Future Council, Jakob von Uexküll. Der ehemalige UN-Koordinator für den Irak, Hans-Christof von Sponeck, und der Kernphysiker und alternative Nobelpreisträger Hans-Peter Dürr haben die Schirmherrschaft übernommen. Der Friedensreferent des Internationalen Versöhnungsbundes, Clemens Ronnefeldt, moderiert die Experten-Runde:

Atmo 3 Friedenskonferenz – Ich begrüße Sie zu unserer Auftaktveranstaltung der diesjährigen Internationalen Friedenskonferenz mit dem Titel: Globale Bedrohung für den Frieden – Zivile Antworten…

Specherin
311 Medienvertreter aus 29 Ländern sind im „Bayerischen Hof“ akkreditiert. Über die alternative „Friedenskonferenz“ und die Workshops zu Zivilen Friedensdiensten in Krisengebieten am folgenden Tag wird höchstens in der Münchner Lokalpresse berichtet, und dann nicht inhaltlich, sondern glossierend über die -so wörtlich – „älteren Damen mit gesunden Schuhen, ebensolchen Herren in Cordhosen, Jungs mit Ziegenbärten“ und das „solidarische Leuchten“ zwischen allen. Auch Klaus Mittlmeier gehört zu den persiflierten „älteren Herren“. Seit dem NATO-Doppelbeschluss ist er friedenspolitisch aktiv, saß für die Grünen im Gemeinderat, kommt von den „Christen in der Region München“ und gehört heute zu denen, die überzeugt sind, dass es Sicherheit nur gemeinsam gibt:

O-Ton Klaus Mittlmeier
Das Nato abschaffen, Smash Nato und was da alles Parolen sind, polarisiert. Und in der Bundesrepublik Deutschland sind 95 Prozent der Bevölkerung dafür eingestellt, dass wir Nato-Land sind. Dann denke ich, dass so eine Parole nicht ausreicht, um mit 95 Prozent der Bevölkerung sinnvoll zu sprechen.

Sprecherin
Die Projektgruppe „Münchner Sicherheitskonferenz verändern“ gehört zum Unterstützerkreis der „Friedenskonferenz“. Der umständliche, angesichts der Kräfteverhältnisse höchst anspruchsvolle Titel ist ein heftig umstrittenes Programm innerhalb der Friedensbewegung und symptomatisch für die Diskussion insgesamt. Während der eine Teil von der Feindesliebe gar nichts hält und lieber in der politischen Tradition der Linken eine mehrheitsfähige Gegenmacht aufbauen will, hat sich der andere, psychologisch orientierte Teil durch die, wie er sagt, gruppendynamische Erfahrung der „gewaltfreien Kommunikation“ „entwickelt“ und will jetzt den „Dialog“ mit der Sicherheitskonferenz. Warum?

O-Ton Klaus Mittlmeier
Wir wollen gehört werden. Ganz einfach. Zum anderen ist der Dialog der Weg zum Frieden ganz generell, ist das Grundelement für Gewaltfreiheit. Erst, wenn die Menschen miteinander reden, wird es möglich, das eigene Denken zu hinterfragen, und zwar für jede Seite. Und das ist produktiv.

Sprecherin
Gesprächspartner der „Dialoggruppe“ ist der neue Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Der ehemalige Diplomat weiß, wie er das – so nennt er es – „Imageproblem“ der Sicherheitskonferenz in der Öffentlichkeit beheben kann:

O-Ton Wolfgang Ischinger
Ich möchte dem kritischen Spektrum der Friedensbewegung, denen, die eine solche Konferenz für Teufelswerk halten, die mir öffentlich vorwerfen, diese Konferenz sei eine verkappte Jahreshauptversammlung der Rüstungsindustrie, denen möchte ich noch mehr Transparenz anbieten. Für mich ist wichtig, dass in der Öffentlichkeit deutlich wird, diese Konferenz hat nichts zu verbergen. Hier wird um Frieden und um Konfliktlösungen genauso ehrlich gerungen wie auf Sitzungen der Friedensbewegung.

Sprecherin
Lobbyisten der Rüstungsindustrie, Militärs in Uniform und überwiegend Politiker aus den Verteidigungsressorts und Außenministerien der NATO-Länder sollen dieselben Interessen haben wie die moralisch motivierten und politisierten Privatleute der Friedensbewegung? Wolfgang Ischinger:

O-Ton Wolfgang Ischinger
Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass wir mit einem solchen Versuch hoffentlich gegenseitiger Gesprächs- und Dialogbereitschaft tatsächlich zu einem gemeinsamen Runden Tisch zwischen den gerade von Ihnen beschriebenen Idealisten und den politischen Praktikern des täglichen politischen Handwerks zusammenfinden. Also, Politik ist Politik.

Atmo 4 „Wir sind das Volk“-Song.- (Kundgebung vor dem Rathaus)

Sprecherin
Die große Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz beginnt. Vor ihr warnen Polizei und Verfassungsschutz regelmäßig. Wegen der „Autonomen“. Wegen des „Schwarzen Blocks“. Wegen der, so das Mantra, „gewaltbereiten Chaoten“. Die vorgewarnten Bürger erleben anderes:

Atmo 5 – Demonstranten überblenden und hochziehen: „Ich sehe keine Schläger, keine Radikalen … gewarnt … Und die Polizei? … Schüchtert ein, und das ist ja auch bezweckt, oder?“

Sprecherin
6000 Menschen sind dieses Jahr nach Schätzungen der Veranstalter mitgegangen. Der größere Teil ist bunt. Linke, Christen, Gewerkschafter, Kommunisten, Unorganisierte. Es gibt eine große Trommelgruppe und fröhliche Tänzerinnen mit bunten Regenschirmen. Einige symbolische Attrappen wie die Rakete mit der „Abwrack-Prämie“. Viele rote Fahnen und noch mehr Transparente, die sich vor allem gegen Krieg, die aktuelle Sicherheitskonferenz und die Jubiläumsfeier der Nato richten. Zwei Lautsprecherwagen heizen mit Musik und Parolen die Stimmung an. Groß ist der wegen der einheitlichen schwarzen Kapuzen-Sweat-shirts so genannte Schwarze Block, eskortiert von Fünferreihen der hochgerüsteten Polizei. Neu ist die geschminkte „Clownsarmee“, die zwischen dem Schwarzen und dem Grünen Block hin- und herspringt und die beiderseitige Provokation zu mindern versucht.Gertrud Scherer von der „Dialoggruppe“ auf der Pressekonferenz zu den Journalisten:

O-Ton Gertrud Scherer
Wir haben starke Spannungen oft. Ich kann meinen Freunden von Pax Christi schlecht vermitteln, warum auf der Demonstration Parolen geschrieen werden, die die Polizei diffamieren. Das passt nicht zu unserem Stil. Aber ich geh trotzdem zu dieser Demonstration, weil ich deutlich machen will: wir gehören zu denen, die sich gegen die Kriegspolitik wenden, ganz gleich, ob wir das jetzt in Form von Dialog machen oder ob das gemacht wird in Form von Demonstrationen. Wir ziehen da am gleichen Strick.

Atmo-O-Ton 6 Sprechchöre „Feuer und Flamme der Bundeswehr“

Sprecherin
Eigentlich spricht man in der autonomen Szene nicht mit anderen, nicht mit den Pazifisten-Opas und-Omas und schon gar nicht mit den bürgerlichen Medien. Sie selber bezeichnet sich als „Antikriegsbewegung“ und bekämpft den kapitalistischen Imperialismus. Friedensbewegung ist nicht so ihr Ding, für Trubel sorgen schon. Frieden, ja. Aber?

O-Ton Peter Strutynski
Es gibt kein Aber.

Sprecherin
Kann man die Friedensbewegung tatsächlich aufteilen in Idealisten und Kommunisten auf der einen, Chaoten und Steinewerfer auf der anderen Seite? Ist es richtig, dass die Friedensbewegung in der offiziellen Politik kein Gehör findet? Hat die Friedensbewegung ausgedient? Hans-Peter Dürr ist als Atomphysiker und Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft international vernetzt und dementsprechend auch politisch aktiv gewesen. Er gehört weltweit zu den renommiertesten Friedensaktivisten. Sein Resümee klingt überhaupt nicht resigniert:

O-Ton Hans-Peter Dürr
Die friedliche Arbeit ist einfach nicht so laut als die zerstörerische. Man muss nur die Ohren aufhaben. Und es ist auch falsch, wenn die Regierung sagt, meckern können sie alle, aber bessere Vorschläge machen können sie nicht. Ja, die haben nie zugehört! Wir schreiben ununterbrochen und sofort, aber wer liest es denn? Es ist genügend Potential da. Aber wenn jemand sich die Ohren verstopft, dann heißt es, wie still überall. Ich hab überhaupt nicht den Eindruck, ich bin in der Stille. Es ist eine ungeheuer starke Bewegung, Friedensbewegung, im Augenblick.

Spr. vom Dienst
Frieden? Ja, aber …
Wie sich die Friedensbewegung verändert hat
Von Rosemarie Bölts
Es sprach: Nadja Schulz-Berlinghoff
Ton: Inge Görgner
Regie: Roswitha Graf
Redaktion: Stephan Pape
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009

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Manuskript, Sammlung Richy Meyer.