Materialien 2009
Ein wunderbarer Sommerabend
Ein wunderbarer Sommerabend im NoMiYa, dem bayerischen Japaner in Haidhausen. Es hat mich hinein gezogen, weil ich die mitreißende Musik von den Landler-Gschwistern aus den Lautsprechern gehört habe. Ich kenne sie persönlich, lauter quietschjunge Musiker, die man optisch eher einer Punk- oder Reggae-Band zuordnen würde, die aber astreine bayerische Volksmusik spielen – zugegeben auch mal mit einem Schlenkerer zur Samba oder zum Balkan.
Wie habe ich früher diese bayerische Blasmusik gehasst bei unseren schwäbischen Dorffesten im Bierzelt, die angesoffenen Typen, die dich dauernd betatschen wollten, wenn du als 14jährige „Ehrenjungfrau“ Anstecker vom Feuerwehrverein verkaufen musstest. Aber heute, diese jungen Musiker mit ihrer offensichtlichen Begeisterung, die auch weitaus flotter drauflos spielen als unsere Dorfcombo, die haben mich damit versöhnt. Ich kann diese satten Bläsertöne und warmen Tubabrummer, die hellen Klarinetten und weichen Geigen mittlerweile richtig genießen.
Bevor ich ins NoMiYa ging, war ich noch mit Freunden im „Kloster“, eine Haidhauser Szenekneipe. Man kann dort draußen sitzen und es hat etwas altmodisches, mit dem Kopfsteinpflaster auf der Straße und den kleinen, denkmalgeschützten Herbergshäuschen rundum, manche über und über mit Grün und Blumen eingewachsen. Auch meine Freunde waren begeistert: „Wie im Urlaub.
Da muß man gar nicht wegfahren.“ – „Es erinnert mich an Wien, Grinzing, völlig untypisch für München, diese urbane Situation, ohne die Schickimickis oder Adabeis“. Ja, das ist es, man sitzt völlig entspannt, Kinder wuseln herum, aber nicht zu viele, es ist eine gute Mischung von Leuten. Zuletzt war ich hier am 1. Mai. Und es war einfach genial! Neben mir, an einem anderen Tisch, saßen drei junge Frauen:
Sie ziehen ihre Geigen heraus und fangen an zu spielen, eher so für sich, leise, tastend, manchmal singen sie auch dazu. Gut, dass ich dicht daneben sitze, so bekomme ich die fast private Musik wunderbar mit. Die Leute an den Tischen drehen ihre Gesichter zur Musik wie die Blumen zur Sonne. Nett. Obernett. Ja, Grinzing ist nicht weit. Und dann, von weitem, Musik, Blasmusik. Es kommt immer näher und dann biegen sie ums Eck, 5, 6, 8, 10, 15 Musiker und Musikerinnen aller Couleur. Sie plazieren sich vor dem Wirtshauspublikum in der Straßenkneipe. Und sie spielen derart mitreißend auf, dass überall die Fenster aufgehen, kleine Kinder mit ihren Eltern begei-
stert herunter schauen, Nachbarn Tische, Stühle, Bänke in die kleine Straße stellen, die Leute überall anfangen zu tanzen und mitzusingen. Es ist unglaublich: auf einmal redet jeder mit jedem, auch ich am Tisch mit dem fremden Ehepaar. Die Frau ist total begeistert: „Endlich zeigt München, dass es eine Großstadt ist“. Vereinzelt versuchen Autos durchzukommen, keine Chance. Und bitte – es ist 1. Mai! Da wird überall in der Welt gefeiert!! So ähnlich muß es in Paris zu-
gehen, wenn am 14. Juli alle auf den Straßen tanzen … Die Atmosphäre ist elektrisch positiv geladen. Alle schmunzeln, fühlen sich wohl, kollektiv, egal ob bayerische Musik ihr Ding ist. Die Augen blitzen, die Körper wiegen sich im Takt, die Stimmung ist kommunikativ, alle fühlen sich mitgerissen. Umara neune macht die Band eine Pause. Ich bin schon seit mittags in der Stadt unterwegs, und ergreife – bedauernd – die Gelegenheit, mich von der wunderschönen Situation zu verabschieden und gehe nach Hause.
Tage später erfuhr ich von einem der Musiker, wie es ausging: Sie spielten weiter, die Polizei kam (wohlgemerkt: es war noch nicht 22 Uhr!) und sagte, das wäre eine unangemeldete Veranstaltung, der Wirt müsse 300 € zahlen. Die Musiker versuchten die Situation zu retten und sagten, dass das ein spontanes Konzert gewesen sei, sie einfach aus Freude an der Musik aufgespielt hätten, aber es nutzte nichts. Der Wirt musste 300 € zahlen, wurde nicht einmal vorgewarnt, z.B. so: „Wir haben Beschwerden, bitten sorgen Sie dafür, dass die Musik aufhört, sonst müssen wir Sie verwarnen“, sondern es wurde sofort zur Kasse gebeten. Der Wirt wird sich in Zukunft gut überlegen, ob er je wieder eine so spontane musikalische Darbietung stattfinden lassen will …
Karin Sommer
per Email am 21. Juli 2009