Materialien 2009
Kritische Worte zu den Protesten gegen Münchner Sicherheitskonferenz
Aus den Aktionsbündnis, aber auch aus den meisten teilnehmenden Organisationen und Gruppen ist zu den diesjährigen Protesten wie immer eher positives wie negatives zu hören, trotzdem ist es an der Zeit auch die negativen Aspekte zu beachten, sollten Protest und Widerstand eine Perspektive haben. Besonders der ganz schwache Auftakt am Freitag Abend mit nur etwa 150 Menschen sollte zu denken geben. Und wurde in früheren Jahren noch was gegen Vorfeldveranstaltungen unternommen, blieb diesmal ein am 6. Februar stattfindender Kongress unter dem Motto „Von der Global zur Corporate Governance“ im Haus der Bayerischen Wirtschaft über die Auswirkungen globaler Risiken auf das Unternehmensmanagement komplett ungeschoren. Sogar die Polizei rechnete mit mehr, gehörte das Haus der Bayerischen Wirtschaft doch zu den zum Sperrgebiet erklärten Teilen der Stadt.
Ritualisierung der Proteste
Es muss einfach endlich gesagt werden, im Prinzip läuft nichts Neues ab. Demo, mal kürzer, mal länger, mal hier Auftakt, mal da Auftakt – aber es ist immer das Gleiche. Gerangel um Seitentransparente, ja schon eine kämpferische Stimmung vor allem im internationalistischen Block, ein schöner Event ja, aber war es das? Dann acht Monate Pause, und so langsam fängt die Mobilisierung für das nächste Jahr wieder an. Die Proteste sind für die Polizei leicht einschätzbar und zu steuern. War es wirklich unsere Stärke, dass es dieses Jahr weniger Repression gab? Die Ankündigung, die Demo bei starken Polizeiübergriffen aufzulösen, mag eine Rolle gespielt haben. Eine Demo auf der vorgesehenen Route ist der Polizei lieber als einige Tausend Menschen, die sich unkontrolliert in der Innenstadt befinden. Aber Ischinger ist nicht Teltschik und Seehofer ist nicht Stoiber. Der eine ist nicht besser wie der andere aber vielleicht etwas geschickter, wenn es darum geht mit Protesten umzugehen. Denn weniger direkte, offene Repression trägt eher zum mittelfristigen Versiegen der Proteste bei wie die Holzhammermethode. Mit Ritualen sind übrigens meistens alle Beteiligten zufrieden, so waren diesmal die GegnerInnen und die Polizei gleichermaßen zufrieden.
Protest – Widerstand?
Es macht durchaus Spaß im internationalistischen Block zu sein und mal einen Hauch von eigener Stärke zu spüren. Aber ist es nicht auch nur symbolischer Widerstand unter den Augen der Polizei? Sind wir nicht immer einzuschätzen, bestimmt nicht meist die Polizei Ort, Zeit und Art der Auseinandersetzung? Vielleicht sind wir sogar nur ein kostenloser Übungspartner für die Dokumentations- und Greiftrupps der Polizei? Es ist kein wirklicher Widerstand, der da geleistet wird. Es ist nicht einfach, dass wir es schaffen anzufangen, wirklichen Widerstand gegen die Münchner Sicherheitskonferenz zu leisten. Nur es hilft nicht, die Proteste und Rituale als Widerstand hochzustilisieren oder in der Öffentlichkeit radikal zu argumentieren und dies dann nicht einhalten zu können.
Aus früheren Kämpfen lernen?
Auffällig ist, dass bei allen sozialen Kämpfen meist immer wieder bei Null angefangen wird. Das heißt, alle Diskussionen fangen immer wieder von vorne an. Zu den Zeiten der Friedens- bzw. Anti-Kriegsbewegung 1983-1985 gab es Gutes und Schlechtes. Oder bei den Kämpfen gegen die WAA Wackersdorf gab es Gutes und Schlechtes. An den positiven Aspekten müsste weitergearbeitet werden, aus den negativen Aspekten sollte gelernt werden. Weder das eine noch das andere ist der Fall. Ein Fehler, den alle Bewegungen fast immer wieder machen, ist auch die Spaltung bzw. sich spalten lassen. Das weiß auch der Diplomat Ischinger. So gibt es jetzt Leute, die jede Kommunikation mit ihm verweigern, Leute die mit ihm diskutieren und Leute, die sich sogar zur Teilnahme an der Konferenz als Beobachter funktionalisieren lassen. Ein paar Leute aus der grünen Partei schwangen zudem unvermittelt die Antisemitismus-Keule, konnten auf Nachfrage ihre Argumente aber nicht belegen. Haben sich auch diese zum Instrument der Regierung bzw. von Ischinger machen lassen?
Kämpfende Bewegung?
Ja, doch jenseits von Parteien und althergebrachten Organisationsformen! Positiv an den Kämpfen der Friedens- und Antikriegsbewegung 1983-1985 war z.B. die Entstehung von zahlreichen vernetzten Aktionsgruppen z.B. für Blockadeaktionen vor militärischen Objekten. Durch Sprecherratsstrukturen und die Einbindung vieler in die Aktionsgruppen war für alle, die Interesse daran hatten, die Einbindung in die Entscheidungen möglich, auch spontanes Reagieren war möglich. Auch bei den Kämpfen gegen die WAA Wackersdorf gab es diverse koordinierte Gruppenstrukturen und ein bayernweites Netz von Initiativen. Sicherlich waren nicht alle DemonstrantInnen organisiert, aber viele. Negativ ist aber bis heute, dass es immer wieder diversen Organisationen und Einzelpersonen gelingt in der Öffentlichkeit als Sachverwalter für den Protest und Widerstand dazustehen. Durch die von Organisationsinteressen geprägten Strukturen bei Vorbereitung und Durchführung der Proteste gegen die Sicherheitskonferenz ist es noch nie zu breiteren Organisationsversuchen gekommen, dies ein faktisch nicht auflösbarer Gegensatz. Es muss auch angezweifelt werden, ob der Aufmarsch der Demonstration in vier Blöcke sinnvoll war: Internationalistischer Block, Jugendblock, Gewerkschaftsblock, Friedens-/Attac-Block.
Zielrichtung der Proteste ohne Perspektive?
Die Zielrichtung der Friedensbewegung 1983-1985 war durch die mehrheitliche Fixierung auf den NATO-Nachrüstungsbeschluss perspektivlos. Was war gewonnen durch den Abzug der Pershing II? Eigentlich nichts! Umso schlimmer, da antiimperialistische Ansätze sich nicht durchsetzen konnten, da die Kritik sich eher diffus fast nur auf USA und NATO erstreckte, wurde dem Wiedererstarken Deutschlands Tor und Tür geöffnet. Sogar Rechtsradikale wie Mechtersheimer konnten die Friedensbewegung beeinflussen. Und die Zielrichtung in München gegen die alljährliche Sicherheitskonferenz? Es geht nicht darum, allen eine revolutionäre Gesinnung aufzudrängen. Aber die Zielrichtung sollte stimmen! Es handelt sich um eine Veranstaltung der Bundesregierung. Die NATO ist nicht mehr das was sie war, 1983 führten alle Wege der BRD, ihre imperialistischen Ziele durchzuführen nur über die NATO. Dies ist heute nicht mehr so. Die BRD und Europa gehen auch eigene Wege, genauso wie z.B. die USA. Das Konzentrieren auf die NATO mag dieses Jahr noch zum letzten Mal zu dem Effekt geführt haben, dass vor allem aus überregionalen Zusammenhängen am Samstag Menschen nach München gekommen sind. Der NATO das Geburtstagsfest vermiesen ist ein ehrenwertes Anliegen, war und ist die NATO doch eine verbrecherische Organisation. Doch der Geburtstag geht bald vorbei, die nächste Sicherheitskonferenz wird in München stattfinden, die übernächste, immer wieder geben sich die Herrschenden ihre Hand …
Diskussionsforum Sicherheitskonferenz ist nur eine Ebene
Wenn gesagt wird, dass auf der Münchner Sicherheitskonferenz Kriege geplant werden, ist das richtig und falsch zugleich. Die schönen Reden, die öffentlich zugänglich sind und wo meist vom Frieden geredet wird, sind nur eine Seite. Der Bundesregierung wurde die Konferenz seit Jahren zunehmend wichtiger, eine Funktion der Konferenz ist die politische Profilierung der BRD im Chor der wichtigsten Staaten der Welt. Die andere Ebene sind die Treffen am Rande, da wird mit Sicherheit manche Intervention, mancher Massenmord abgesprochen. Diese beiden Tatsachen bieten eigentlich langfristig mehr als genug Angriffsflächen für Friedensbewegte und revolutionäre Bewegungen, warum fast immer nur von der NATO-Sicherheitskonferenz gesprochen wird, bleibt ein Rätsel. Vielleicht weil die NATO auf der Konferenz natürlich immer eines der Themen ist. Aber für langfristige Perspektiven muss der Ansatzpunkt und das Ziel eigentlich genau definiert werden. Auch das ist für Friedensbewegte und revolutionäre Bewegungen gleichermaßen wichtig. Und das Ziel sollte eines sein, das die Welt verändern wird. Mit und ohne NATO ist die Welt nicht besser oder schlechter. Wie gesagt, vor 25 Jahren wäre das noch anders gewesen, doch mit den Ansatzpunkten aus dieser Zeit und mit den gleichermaßen arg verstaubten Organisationsansätzen kommen wir nicht weiter. (chl)
Münchner Lokalberichte 4 vom 19. Februar 2009, 10 f.