Materialien 2010

Praxis mit und trotz Butler

Ein Seminartag des Kurt-Eisner-Vereins suchte nach Bedingungen und Möglichkeiten einer queeren politischen Arbeit.

Etwas ratlos ließen Prof. Dr. Paula-Irene Villa vom Genderlehrstuhl der Soziologie an der LMU und die Leiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt München, Dipl.-Soziologin Michaela Pichlbau-
er, am vergangenen Samstag die Teilnehmer_innen zurück. Der Kurt-Eisner-Verein hatte zum Se-
minar „Gender und Politik“ geladen und rund zwanzig Zuhörer_innen waren gefolgt.

Zunächst ging Prof. Villa auf den Genderbegriff bei Judith Butler ein. Dabei wies sie dankenswerter Weise darauf hin, dass Butler keineswegs alles erklärt (und erklären will) und auch nicht die Erste war, die sich mit dem Themenkomplex gender/sex/race/class beschäftigte. Manche, leicht ober-
flächliche Jünger_innen knallen einer ja gerne mal Butler auf die gleiche Art hin, wie es sonst nur Marx-Ultras tun. Der Fokus auf Judith Butler aber überstrahle auch vieles, mit dem es sich zu be-
schäftigen lohne.

Villa kritisierte, dass Butler kaum Bezug auf die erste und zweite Frauenbewegung oder andere Fe-
ministinnen nimmt. So beispielsweise auf die ehemalige Versklavte Sojourner Truth in ihrer Rede „Ain’t I a woman“ (1851).

Wer ist gemeint?

Die Soziologin Villa zeigte, dass die Rede von „uns Frauen“ immer schon schwierig war. Schon lange erfreue sich die Debatte darum, wer mit den „Frauen“ gemeint ist (und wer nicht), „einer lebhaften politischen Auseinandersetzung“. Hier fehle bei Butler eine Anknüpfung an die Rassis-
mus- und Klassen-Debatten innerhalb der zweiten Frauenbewegung. Die politische Auseinander-
setzung beginne erst dort, wo Kategorien wie „Mann“ oder „Frau“ in Frage gestellt würden, so Villa. So zeige etwa der intersectionality-Ansatz von Kimberle Crenshaw, dass eine mehrfach Dis-
kriminierte eben nicht – zum Beispiel – „als Schwarze“ und „als Frau“, sondern als „schwarze Frau“ (oder „als schwarze Arbeiterin“) diskriminiert werde, was einen Unterschied mache, bei-
spielsweise in Hinblick auf die so genannte „Kopftuchdebatte“.

Obgleich der Begriff also nicht trennscharf verwendet werden kann und oft nur wenig Aussagekraft hat, kann es aus Villas Sicht politisch durchaus Sinn machen, etwa die Kategorie „Frau“ zu verwen-
den. Solcherlei Identitätspolitik lehnt Butler zwar ab und muss auch immer wieder hinterfragt werden. Solange aber „als Frauen“ definierte Menschen als solche Benachteiligung erfahren, ist eine Intervention in diesem Namen notwendig und sinnvoll.

Auch in Hinblick auf die Inhalte der Kategorisierung gebe es (diskursiv) durchaus (bedeutsame) Unterschiede: „Männer sind Menschen, Frauen ein Geschlecht“, so die Professorin. Bei einer Sit-
zung der „Piratenpartei“ soll es sich zugetragen haben, dass eine Delegierte gefragt wurde, ob sie „als Frau“ überhaupt die Interessen der vielen männlichen Piraten vertreten könne. Eine Frage, die männlichen Delegierten oder Sprechern eher selten gestellt wird.

Körper als Diskurs

Solche Unterschiede aber lassen sich nach Butler überhaupt nicht aus unterschiedlichen Körper-
lichkeiten erklären. Mit Judith Butler geht auch Villa davon aus, dass es sich auch beim „weibli-
chen Körper“ um einen (wirkmächtigen) produktiven Diskurs handele, der wie alle (hegemonialen) Diskurse andere Lesarten ausschließe, also tendenziell repressiv sei. Als Beispiel für die Unmög-
lichkeit, sich außerhalb bestimmter herrschender Diskurse zu stellen, nannte Villa die vorherr-
schenden „Mutterdiskurse“.

Es ist gerade dieser Körper-Begriff, der Butlers „Unbehagen der Geschlechter“ soviel Kritik vor allem von Seiten antikapitalistischer und antipatriarchaler Feminist_innen einbrachte. „Was ist mit der Materialität des Körpers, Judy?“, fragten enttäuschte Feminist_innen, so Villa. Der Phi-
losophin gehe es jedoch gerade nicht um die Frage, „wie aus ‚sex’ ‚gender’ wird“. Vielmehr suche sie nach der „gesellschaftlichen Konstruktion von ‚sex’ und ‚gender’ und nach ihren Folgen“.

Diese Konstruktion unterliege einer starken gesellschaftlichen Norm, nämlich der der Zweige-
schlechtlichkeit. Zwar ließe sich diese binäre Sichtweise auf Körper historisch und kulturverglei-
chend hinterfragen, vorherrschen würde jedoch ein Diskurs, in der „Mann sein“ durch „nicht Frau sein“ definiert sei und „Frau sein“ als „Verfehlung einer sozialen Norm“ gelte.

Körper, Geschlecht, Sexualität

In dieser Konzeption sind „sex“ und „gender“ eng mit dem Begriff des „Begehrens“ gekoppelt, wo-
durch zur binären Körpernorm die Heteronormativität tritt. Nach dem Motto „sage mir wen du be-
gehrst und ich sage dir, wer du bist“ wird ein gesellschaftliches Koordinatensystem aufgespannt, in dem es nur „Männer“ gibt, die „Frauen“ begehren, und umgekehrt. Hintergrund dieses Diskurses sei eine die Reproduktionsnorm. Die Anforderung einer „stabilen“ gesellschaftlichen Reproduktion führt in dieser Hinsicht zur Pathologisierung aller nicht-heterosexuellen Identitäten.

Vor diesem Hintergrund lasse sich „Heterosexualität“ als reine „Phantasmagorie“, als unerreichba-
res Ideal begreifen, das dennoch sehr wirkmächtig ist. Die Tatsache, dass diverse Medien ständig erneut reproduzieren müssen, was und wie „Frauen“ bzw. „Männer „sind, zeigt nach Paula-Irene Villa gerade die Brüchigkeit dieses Konzeptes wie auch der Kategorien „Männer“ und „Frauen“ an sich. „Gender“, so Villa mit Butler, „ist performativ“.

Dieser „Aufführungs- und Darstellungscharakter“ ermöglicht laut Judith Butler alternative „gender performances“, also Subversivität. Ihr früherer Versuch, dies anhand der Travestie darzulegen, wurde jedoch mehrfach als Trivialisierung kritisiert.

Als Antwort auf die Frage nach Möglichkeiten von Subversion im „gender-Diskurs“ kann nun die queer theory gesehen werden. Queere Politik ist insofern – jenseits der umgangssprachlichen Ver-
flachung und Entpolitisierung des Begriffs – eine Politik der Uneindeutigkeiten und der Anti-Nor-
malisierung, oder wie Villa mit Annamarie Jagose sagt:

„Queer ist keine Identität, sondern eine Kritik mit Identität, insofern queer auf die unausweichli-
che Gewalt von Identitätspolitiken verweist und nicht auf die eigene Vorherrschaft setzt. […] Queer ist immer eine Identitätsbaustelle, ein Ort beständigen Werdens.“
(Jagose 2001 in: Villa 2003: „Judith Butler“ (108))

Im Anschluss an diesen Vortrag herrschte im von Politaktiven geprägten Publikum zunächst mal Schweigen. Dann aber zeigte sich in den Fragen die Schwierigkeit vieler Teilnehmender, den theoretischen Diskurs Butlers in die praktische Arbeit zu überführen. Der Widerspruch zwischen theoretischer Dekonstruktion und praktischer Politik mit und für Frauen schien für manchEn unüberbrückbar.

Paula-Irene Villa hatte hierfür auch keine einfacheren „Tips“ parat, hält aber z.B. gleichgeschlecht-
liche Zusammenhänge für sinnvoll, da in solchen Gruppen die „Erfahrung gleichgeschlechtlicher Differenzen und Komplexitäten“ gemacht werden könnten. Sie räumte aber ein, dass solche Grup-
pen gerade für junge Frauen das „abtörnendste Identitätsangebot“ sei. Schließlich gäbe es ja nun schon Kritik, „wenn einmal kein Mann auf dem Podium sitzt“.

Wie nun also umgehen mit diesem Widerspruch? Vielleicht muss mensch ihn bis auf weiteres einfach aushalten. Und derweil versuchen, durch alternative Angebote, Handlungsweisen etc. das binäre Geschlechterbild aufzuweichen. Wenn das Spektrum dessen, was „Frauen“ sind/machen/wollen/können, durch alternative, auch identitätspolitische Praxen erweitert wird, kratzt dies immerhin schon an den festen Kategorien.

Anders herum muss sich „Frauenpolitik“ immer fragen (lassen) für wen, für welche Frauen sie spricht. Und nicht zuletzt wird es auch für die Männer Zeit zu erkennen, dass „auch sie ein Ge-
schlecht sind“, wie Villa meinte. Ein (zaghaftes) Beispiel dafür war das Macker Massacker Mitte Mai. Auch hier kann das Spektrum dessen, was (kritische) „Männlichkeiten“ sein können, erweitert werden.

Schwierige Praxis

Wie mit dem gendertheoretischen Background Butlers praktische Politik gemacht werden kann, konnte auch die zweite Referentin nur ansatzweise erläutern. Michaela Pichlbauer, seit zwei Jah-
ren Leiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt München, sieht die theoretische Auseinanderset-
zung zwiespältig.

Im Grunde genommen handele es sich bei ihrer Arbeit im Butlerschen Sinne um sehr eng gefasste Identitätspolitik. In diesem Sinne würden Theoriedebatten über Butler etc. ihre Arbeit „unmöglich machen“, ein Punkt der durchaus instrumentalisiert werden könne, „um die Arbeit der Gleichstel-
lungsstelle zu torpedieren“.

Die Gleichstellungsstelle werde nämlich von vielen eher als „erkämpftes Übel“ verstanden. Es wer-
de daher zwar „viel getan, damit möglichst wenig passiert“, theoretische Diskussionen seien jedoch „eher schwierig“.

Auch könne Theorielastigkeit die jeweilige Beratungspraxis negativ beeinflussen: „In der Theorie kann ich ausdifferenzieren, aber in der Praxis steht eine ganz konkrete Frau vor mir“, so Pichlbau-
er. Sie selbst bestimme daher die jeweilige Kategorie anhand der politischen Handlungsfähigkeit (womit „kann ich dagegen agieren?“).

Auf der anderen Seite sieht Pichlbauer das Problem, dass die Beauftragten für „Behinderte“, „Frauen“, „MigrantInnen“ sich nicht nur „kümmern“, sondern diese Kategorien auch beständig reproduzieren. Hier zeigt sich der Nachteil einer zu dünnen theoretischen Unterfütterung der Praxis, entscheidend sei hier die Selbstreflexion“.

Der Soziologin Pichlbauer ist der Widerspruch also durchaus bewusst. Und doch hat ihr die Theorie auch „geholfen es auszuhalten, auf einer Stelle zu sitzen, die eigentlich nicht geht.“ Sie brauche eine „theoretische informierte Praxis, um all diese Widersprüchlichkeiten auszuhalten.“ Daher müsse auf zweierlei Weise gearbeitet werden: „theoretisch antikategorial und praktisch ontologisierend“ (also die Kategorien als gegeben hinnehmend). Auch Pichlbauer hält es für sinnvoll, mithilfe konkreter Kategorien „politisch zu skandalisieren“.

Ob es an der fehlenden konkreten Handlungsanweisung oder einfach nur am vielen Stoff lag, ist unklar. Nach rund fünf Stunden jedenfalls blieben die Zuhörer_innen, die sich klare Analysen und Eindeutiges erwartet hatten, etwas ratlos zurück. Dennoch – oder gerade deshalb – war es durch-
aus ein sehr interessantes und lehrreiches Seminar mit der richtigen Mischung aus Theorie und Praxis, (moderiert übrigens von einem Moderator Dr. Stefan Breit), der sich geradezu vorbildlich zurückhielt, was vielleicht auch an der geballten Fachkompetenz der Referentinnen gelegen haben mag.

Redaktion Luzi-M
18. Juni 2010


www.luzi-m.org/nachrichten/artikel/datum/2010/06/18/350
und: Münchner Lokalberichte 13 vom 24. Juni 2010, 9 f.

Überraschung

Jahr: 2010
Bereich: Frauen

Referenzen