Materialien 2010

Siemens: Rekord-Protest in München

28. April 2010

Während in der Siemens-Zentrale der Aufsichtsrat über ein neues operatives Rekordergebnis informiert wurde, stellten vor dem Gebäude protestierende Beschäftigte ihren eigenen Rekord auf: Noch nie haben so viele Menschen gegen Stellenabbau bei Siemens demonstriert wie am Mittwoch. Rund 3.500 füllten den Wittelsbacherplatz.

Gedränge bis in die Nebenstraßen …

Ab elf Uhr versammelten sich die ersten Demonstranten, und von da ab riss der Zustrom über eine Stunde nicht mehr ab. Aus Perlach und anderen Münchner Siemens-Betrieben waren über 1.000 gekommen, dazu Delegationen aus Fürth und anderen Standorten; die Mehrheit aber war am frühen Morgen mit über 40 Bussen aus der Rhön angereist. Selbst nachdem die Kundgebung am Mittag begonnen hatte, strömten die Rhöner weiter aus Nebenstraßen auf den Platz.

… und ohrenbetäubender Lärm

Zu diesem beeindruckenden Anblick, wie ihn der Wittelsbacherplatz noch nicht geboten hat, kam eine entsprechende Geräuschkulisse. Trillerpfeifen, Rasseln, Trompeten und eine Alarmsirene nutzten jede Pause in den Ansprachen zu lautstarker Zustimmung. Und Anlass dafür gab es reichlich.

Erste positive Signale …

Den Anfang machte der Bad Neustädter Betriebsratsvorsitzende Bernhard Omert, der die Entwicklung am Standort seit Bekanntgabe der Abbaupläne zu Jahresbeginn schilderte. Die übergreifende Solidarität in der ganzen Rhön, die auch zu diesem Anlass wieder sichtbar wurde, zeigte gemeinsam mit einer ganzen Reihe von Aktionen bekanntlich bereits Wirkung: Die Ansiedlung eines neuen Technologiezentrums in Bad Neustadt und die mögliche Reduzierung der Abbauzahl um 200 Stellen sind zweifellos ein willkommenes Signal aus dem Vorstand – aber noch längst nicht das Ziel der Beschäftigten, so Omert:“ Wir machen weiter, bis der Abbaubeschluss vom Tisch ist!“

… aber das reicht noch nicht!

Diese Ankündigung unterstützte als nächster Redner der bayerische IG Metall-Bezirksleiter Werner Neugebauer. „Es ist saugut, hier oben zu stehen und das zu sehen“, begrüßte er die Menge, und wetterte gegen das Vorgehen des Siemens-Managements: „Beschäftigte sind nicht nur Produktionsfaktoren, sondern Menschen“ – und zwar die Menschen, die es mit ihrer Arbeit überhaupt erst ermöglicht haben, heute Millionen in China oder Indien zu investieren. Gegen Expansion im Ausland an sich hat Neugebauer grundsätzlich ebenso wenig einzuwenden, wie gegen die erwartete Korrektur der Gewinnprognose auf über 7,5 Milliarden Euro und die Gehälter der Manager, aber: „Das Management bei Siemens und anderswo muss vor dem Beschluss einer Verlagerung erst einmal sagen, wo der Ersatz her kommt, welche Technologie, was für Produkte.“ Für Siemens heißt das derzeit aus seiner Sicht: „Erstmal muss dieser Beschluss weg, und dann können wir vernünftig weiterreden.“ Den Siemensianern rief er zu: „Macht weiter, ihr seid auf dem richtigen Weg. Wir müssen denen weiter Feuer unterm Hintern machen!“

Ein Konzept für SIS und eine Beschäftigungsstrategie für Deutschland

In die selbe Kerbe schlugen anschließend Ulrike Schröder, Betriebsratsvorsitzende von Siemens IT Solutions and Services in Perlach, sowie Gesamtbetriebsrat Johann Höcherl. Beide betonten die Forderung nach einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell für SIS; zur Fokussierung auf die BRIC-Staaten erklärte Höcherl: „Es ist nichts dagegen einzuwenden das Unternehmen international weiter zu verwurzeln, man sollte nur die Wurzeln an den deutschen Standorten nicht abschlagen. Das gilt auch für Bad Neustadt. Deswegen haben wir vom Vorstand eine gezielte Strategie für Beschäftigung in Deutschland gefordert.“

Die Rechnung ist nicht ohne die Beschäftigten zu machen

Unklare Konzepte, realitätsferne Zahlenspiele am grünen Tisch mit Beschäftigtenzahlen als Manövriermasse – so kann Siemens mit seinen Beschäftigten nicht umspringen. Dass sie das bei Bedarf dem Vorstand und der Öffentlichkeit unübersehbar vor Augen führen können, haben sie am Mittwoch in München bewiesen – und nicht nur dort: An zahlreichen SIS-Standorten wie Berlin und Paderborn hatten die Beschäftigten ihre Montagsaktionen auf Mittwoch verlegt, um die Münchner Demonstration zu unterstützen.


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