Materialien 2010
Haltbarkeitsdatum 11/2013
Am 30. Oktober 2010 zogen die christlichen Fundamentalist_innen mit ihrem „1000-Kreuze-Marsch“ durch München. In mehreren Städten finden jedes Jahr diese Märsche der ProLife-Bewegung statt. Sie treten mit der Behauptung auf, dass jeden Tag in der BRD tausend „Kinder“ abgetrieben würden. (Die reale Zahl der abgetriebenen Föten liegt – laut Statistischem Bundesamt – bei etwa einem Drittel.) Gegen diesen Marsch hatte das Münchner Bündnis ProChoice unter dem Slogan „My body – my choice“ aufgerufen.
In Vorbereitung der Aktionen gegen den „1000-Kreuze-Marsch“ hatte Henriette Blümke die Auf-
gabe übernommen, Konfetti, Glitzerzeugs und Luftschlangen zur Vor-Ort-Verschönerung der Pro-
Lifer_innen käuflich zu erwerben. Mit dem Bewerfen von Kondomen sollten die marschierenden Christ_innen an die zeugungsfreie Variante des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs erinnert werden. (Eine kontrovers diskutierte Frage im ProChoice-Bündnis war es, ob die Kondome ein abgelaufenes Haltbarkeitsdatum haben dürften. Nur zum Werfen wäre es zwar egal. Doch wurde gemutmaßt, dass sich mancher Mensch eine Packung aufheben könnte, um sie anderswo nicht zweckentfremdet zu benutzen. In einer politisch-erotischen Phantasie zum Beispiel ein erregter, zeugungsunwilliger Fundi-Christ.)
Der Erwerb von Glitzerzeugs und Luftschlangen war kein Problem. Für Konfetti war es nicht die richtige Jahreszeit. Der Markt vermutete keine Nachfrage. Aus der SaferSexSchwulen Ecke hatte Henriette Blümke den Tipp bekommen, dass es in einem Gayshop1 im Münchner Glockenbach-
viertel preiswerte 100-Stück-Kondom-Packungen gäbe. Henriette betrat vorsichtig den Laden und hoffte auf einen nicht misogynen Verkäufer. Im Geschäft standen viele Vitrinen mit Sexspielzeug. Nicht immer war Henriette klar, was damit gemacht werden kann. Beim Anblick von Riesendildos hatte sie dann doch etwas Mitleid mit den betroffenen Körperöffnungen. (Der schwule Erkan vom ProChoice-Bündnis klärte Henriette später auf: das wäre eine „Sache des Trainings“.)
Henriette fragte also den freundlichen Verkäufer nach Kondom-Großpackungen. Sie bekam mehrere 100er Varianten vorgeführt. Besonders reißfest. Besonders feucht … Sie sagte, dass es keine teuren Spezialausführungen sein müssen. Die Kondome würden ausschließlich zum Bewer-
fen von Abtreibungsgegner_innen gebraucht. „Ach, Ihr braucht die Kondome zum Bewerfen von Abtreibungsgegnern?! Dann schenke ich sie Euch!“ Sprachs und ging nach hinten, um mit drei Paketen á 144 Kondomen wiederzukommen.
Dankbar und begeistert zog Henriette mit 432 schwarzen Gummis mit dem Haltbarkeitsdatum 11/2013 in einer schicken blauen Papiertüte mit Firmenlogo ab.
Am 30. Oktober war der Kondomregen leider nicht sehr intensiv. Die Polizei ging hart gegen die ProChoicer_innen vor. Zwischen dem Sendlinger Tor und dem Viktualienmarkt gab es 35 Fest-
nahmen. Da bereits am 13. November die nächste Demonstration – gegen den „Heldengedenk-
marsch“ der Nazis – anstand, wollte die Polizei schon jetzt zeigen, wo der Hammer hängt.
Was aus den übrigen Kondomen geworden ist, weiß ich noch nicht.
Felicitas Hübner
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Gesendet an GG. am 23. November 2010.