Materialien 2001

Ikonen des 20. Jahrhunderts

Ein Seiteneinstieg in die Hochhausdebatte. Hochhausentwicklung, Großstadtgeschichte, Metropolenentwicklung sind zeitgleich mit dem Medium Film entstanden. Daß sich gerade der Film als künstlerisches Ausdrucksmittel mit der Entwicklung von Metropolen und Hochhäusern besonders auseinandergesetzt hat, ist kein Zufall. Ein Blick in die Filmgeschichte zeigt durchaus interessante Aspekte zur Hochhausdebatte auf:

Frage: Was haben denn Film und Großstädte gemeinsam?

Siegfried Benker: Sowohl Film als auch Großstadt sind Verdichtungen von Raum und Zeit. Filme sind ein künstlerisches Ausdrucksmittel, um mit einem gesellschaftlichen Phänomen umzugehen. Viele Filme haben sich der jeweils aktuellen Architekturdebatte gestellt. Noch mehr aber haben sich Filme der Frage gewidmet, welche Auswirkungen Hochhäuser auf das Zusammenleben von Menschen haben – oder noch genauer: wie ist eine Stadtgesellschaft verfaßt, die Hochhäuser baut. Welche gesellschaftlichen Strukturen prägen diese Städte?

Frage: Und, wie sehen diese Strukturen aus?

SB: Es gibt so gut wie keinen Metropolenentwurf im Film, wo Hochhäuser vorherrschen und diese Städte noch demokratisch regiert werden. Hochhäuser sind der Ausdruck für hierarchische und totalitäre Strukturen. Sicher gibt es Filme wie Woody Allens Manhatten, die die Metropole New York als Hintergrund für ihre Filme nehmen. Aber diese Filme meine ich nicht. Ich meine Filme, in denen Städte von Architekten und Filmemachern konstruiert wurden, um den Handlungsrahmen für ihre Helden zu entwerfen. Filme wie Metropolis, Blade Runner, Brazil, das fünfte Element usw. Hier sind Hochhäuser das Symbol der Ungleichheit. In Metropolis residiert der Herrscher im 200. Stockwerk, die Arbeiter unter der Erde, im Blade Runner residiert der Herrscher der Allmächtigen Tyrell-Corporation im 700. Stockwerk weit weg vom multikulturellen Straßengeschehen. Hochhäuser sind der Ausdruck eines Mangels an Demokratie und demokratischen Umgang mit Stadtgestalt.

Frage: Das wollen Sie ja wohl nicht so ohne weiteres auf die aktuelle Hochhausdebatte in München übertragen?

SB: Nein, aber das Medium Film erlaubt, einen Blick darauf zu werfen, wie Hochhäuser in demokratischen Stadtstrukturen wirken: sie beherrschen das Stadtbild, bzw. einen Teil davon. Sie sind Ikonen des privaten Kapitals im öffentlichen Raum. Es ist die Schaffung der erdabgewandten Räume in 146 m Höhe. Es ist immer die Zementierung privaten Geltungsanspruches im öffentlichen Raum. Die Diskussion zum Thema Hochhaus immer nur architektonisch zu führen so wichtig das ist, greift zu kurz. Die Debatte ist eigentlich eine Frage der Stadtdemokratie. Wer kann sich beherrschend einkaufen in die Stadtsilhouette und in die Stadtgesellschaft?

Frage: Sie sind also gegen Hochhäuser, weil sie Herrschafts- und Vorherrschaftsansprüche darstellen?

SB: Ich bin überhaupt kein strikter Hochhausgegner, dazu gibt es viel zu gelungene Beispiele. Aber: Hochhäuser immer nur unter architektonischen Gesichtspunkten zu diskutieren, berührt nur einen Teil des Problems. Frankfurt hat sich irgendwann dafür entschieden, der Vorherrschaft des privaten Kapitals auch entsprechenden Raum einzuräumen. München ist hier zögerlich, was ich begrüße. Die Debatte kann überhaupt nur geführt werden, wenn klar ist, daß es um die Zementierung von gesellschaftlicher Vormachtstellung in Form von Hochhäusern geht. Will diese Stadtgesellschaft weitere Wahrzeichen dieser Vormachtstellung privater Selbstdarstellung oder nicht? Eine selbstbewußte demokratische Gesellschaft wird die Wünsche der privaten Investoren weitgehend zügeln.

Frage: Und was haben Sie aus Großstadtfilmen gelernt?

SB: In guten Metropolenfilmen spiegelt die Stadtgestalt die Ängste der Protagonisten. In allen wirklichen Metropolenentwürfen sind Hochhäuser das Sinnbild für Ungleichheit, vertikale Gesellschaftsstrukturen und ungerechte Verteilung von Ressourcen. Das hat sich in 100 Jahren Filmgeschichte nicht verändert, sondern eher verfestigt. Aber lernen konnte ich aus den Filmen eher wenig: demokratische Zukunftsentwürfe gibt es im Kino so gut wie nie. Ich habe nur gelernt: wenn Filmemacher Ungleichheit, Unübersichtlichkeit und unökologisches Verhalten darstellen wollen, dann bauen sie Hochhäuser.


www.siegfried-benker.de.

Überraschung

Jahr: 2001
Bereich: Umwelt