Materialien 1967

Wir sind alle paar Monate ...

in der DDR gewesen zu Planungsbesprechungen, wo aber – und das hat eine wichtige Rolle gespielt bei meinem Entschluß wieder auszutreten – in Ostberlin nicht eigentlich unsere Fragen oder unsere Erfahrungen wichtig waren, sondern unsere Bereitschaft, die Planung aus Ostberlin zu übernehmen, das wurde jedes Mal geprüft. Besonders krass war es, als ich mit einem Arbeitergenossen aus München, einem Gewerkschafter und illegalen Kommunisten drüben war, und wie der in einem Wochenendbericht entwickelt hat, was für ein Dreck die Papiere aus Ostberlin sind für die Arbeit in den Betrieben. Das hat er so gesagt, derb und klug und differenziert. Das war ein Mann, der bei Adenauer zwei Jahre im Knast saß, und als die Genossen seine Begnadigung durchgesetzt hatten, hat er sich beschwert bei den Genossen hinterher, weil er sein Arbeitsprogramm noch nicht fertig hatte. Er hatte im Knast zum ersten Mal so richtig Zeit, sich die Bücher zu holen. Der ist in Ostberlin zurechtgewiesen worden und hatte keine Chance, mit seinem Urteil Wirkung zu erzielen, während ein anderer, der schmeichlerisch von den „Kräften“ und den „Zukunftskräften“ der Partei gesprochen hatte, das Wochenende für sich hatte. Der hat die Parteispitze dann auch ermutigt, uns wieder so eine Scheiße mitzugeben. Also Heuchler oder Lügner hatten da viel mehr Chance als Proleten, die sagten, wie ihnen zumute ist und was sie für Erfahrungen machen …

Christian Geissler


Prozess im Bruch. Ein Gespräch mit Christian Geissler1 nach dessen Eintritt in das achte Lebensjahrzehnt von Klaus Mellenthin in analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis 431 vom 21. Oktober 1999.

1 Christian Geissler (1928 Hamburg – 2008 Hamburg), 1944/45 Flakhelfer, 1949 Abitur, 1949/50 Studium der evangelischen Theologie in Hamburg, danach kaufmännischer Lehrling in einem Industriebetrieb. 1951 Landarbeiter in Großbritannien, anschließend erneut Studium der evangelischen Theologie in Tübingen. 1953 Konversion zum Katholizismus. Studium der Philosophie und Psychologie in München, daneben Gelegenheitsarbeiten. 1956 Abbruch des Studiums. 1960 – 64 Redaktionsmitglied der Werkhefte katholischer Laien. 1962 Austritt aus der katholischen Kirche, 1962 – 68 Mitglied des Kuratoriums der Kampagne für Abrüstung und Ostermarsch. 1965 – 68 Mitherausgeber der KP-nahen Literaturzeitschrift Kürbiskern. Seit 1958 Hörspiele, Romane und Fernsehspiele.

Überraschung

Jahr: 1967
Bereich: KPD

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